Schmalkalden Eine Herzenssache: Nähen für Sternchen und Frühchen

Klaus-Ulrich Hubert
Sie nähen Sachen für Frühchen und Totgeburten: Martina Neubert (links) und Simone Huhn in Schmalkalden. Foto: frankphoto.de Quelle: Unbekannt

Sie schneidern wunderschöne, winzige Babytextilien. Und sie helfen damit Eltern, deren Babys viel zu früh zur Welt gekommen sind oder den Kampf um ihr Leben schon verloren haben: Südthüringerinnen mit "Herzenssache".

 
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Schmalkalden - Da ist so viel Freude in den Frauengesichtern. Trotz aller Tragik, die hinter der künftigen Nutzung eines Teils dieser gerade fertig gestellten Babysachen deutlich wird. Stolz spiegeln die Gesichter von Simone Huhn und Martina Neubert sowie den Frauen im Schmalkalder Familienzentrum am vergangenen Samstag wider.

Simone aus Floh-Seligenthal ist regionale Koordinatorin, Martina ihre Stellvertreterin in einem bundesweit gegliederten, sehr aktiven Verein. Dessen Name ist buchstäblich Programm: "Herzenssache - Nähen für Sternchen und Frühchen". Hunderten Frauen ist das - sichtlich - ein von Herzen kommendes Anliegen.

"Um 11 Uhr haben wir hier im Familienzentrum Schmalkalden unsere ehrenamtliche Schneiderwerkstatt mit vielen hübschen Entwürfen, Zuschnitten und summenden Nähmaschinen aufgemacht. Erst gegen 22 Uhr haben wir dann die 70 neuen Teile sortiert und sie für das Zentrallager unseres Vereins bei Berlin fertig gemacht. Von da aus werden dann Bedarfs-Pakete in viele Krankenhäuser, wie auch ins Zentralklinikum Suhl, versandt."

Decke fürs Erdenbettchen

Martina sagt das auch als "Macherlohn", als öffentliches Dankeschön an alle, die diesmal wieder oder erstmals dabei waren. Einschließlich drei neuer Herzenssache-Frauen. Viele Mitmacherinnen - wie Simone mit ihrem zweijährigen Sohn Raphael - haben selbst Kinder oder sind bereits als Großeltern dabei.

Am vergangenen Samstagabend bestaunen 15 von ihnen untereinander das Ergebnis des jüngsten Südthüringen-Nähtreffs für diese winzigen Kinder-Textilien. Simone bewegt es auch nach fast zwei Jahren ihres Mittuns noch immer sichtlich, wenn sie daran denkt: "Die Größe hier - etwa einer erwachsenen Hand - haben die vielen winzigen Wesen, die es mit ihrem Start ins Leben bereits im Mutterleib nicht geschafft haben. Sternchen nennen wir sie."

Seit ein paar Jahren dürfen in Deutschland endlich Kinder, die mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm geboren wurden, beerdigt und standesamtlich eingetragen werden. Simone: "Wenn Eltern es schaffen, ihrem tot geborenen oder bald nach der Entbindung gestorbenen Baby einen Erinnerungsort zu geben, helfen wir ihnen ein klein wenig mit unserem Ehrenamt".

Die Frauen basteln dafür auch liebevoll gestaltete Grabbeigaben. Eine Hälfte wird mit bestattet, die andere findet bei den Eltern daheim ihren ehrenvollen Platz. "Stets so, als hätten wir selbst das Schlimmste vom Schlimmen durch", ergänzt die 35-Jährige.

Damit irgendetwas außer verblassender Erinnerung an Schmerz und den winzigen Lebensanfang bleibt, sind zunehmend auch ehrenamtliche Fotografen mit viel Taktgefühl gefragt. "Von unseren Herzenssache-Frauen bekommen die Betroffenen ganz kleine, schöne Einschlagdecken oder Kleidung. Sozusagen für das Erdenbettchen ihrer Kleinen", sagt Simone Huhn und vertreibt die Details dieses Gedankens. Zugunsten des schönsten Gedankens: "Für Eltern, die ihre Frühchen noch lange in der Klinik heranwachsen sehen müssen, wollen wir alles etwas bunter und kindgerechter machen."

41 Wochen dauert eine normale Schwangerschaft", sagt Simone. "Aber wenn das Kleine schon in der 25. Woche kommt, wird es bis zum normalen Entbindungstermin in der Klinik bleiben". Leider biete die Bekleidungs-Industrie dafür nichts an.

Dann strahlt die gelernte Augenoptikerin noch mal so richtig, als sie die schönsten neuen Frühchen-Textilien in Händen hält. Aus kuschelweichem Jersey, zumeist Strampler mit klitzekleinen Bündchen. "Dabei ist sorgfältig zu prüfen, dass Nähte und Material keine Scheuerstellen an der empfindlichen Babyhaut verursachen können", erläutert Martina Neubert. Frühchen-Kleidung muss zudem wegen Hygieneanforderungen auch für die Krankenhauswäscherei kochfest sein:

Simones Mitstreiterin ergänzt: "Schauen sie: Wenn Eltern in den mehr als 230 deutschen Kliniken mit perinatalen Zentren überall solch hübsche Sachen für ihr Kleines parat hätten, statt sie nur in steriles Krankenhausweiß wickeln zu lassen ...Gut 60 solcher Kliniken helfen wir aber bereits mit unseren Handarbeiten." Täglich kommen aus der ganzen Republik die Wunschlisten von Kliniken. Aber eben auch von Bestattern, die die regionale Ansprechpartnerin oder die Zentrale in Wandlitz bei Berlin kontaktieren.

Beide Frauen schmunzeln als Antwort auf die Frage: Vielleicht heben ja Eltern die allererste Kleidung ihres Nachwuchses auf, schenken die ihm später zur Hochzeit? "Hier, dein Fummel damals; hat dir mal gepasst."

Gründerin und Vorsitzende Dana Waschinsky umreißt ganz ohne Pathos, was die Helferinnen antreibt: "All unseren Ehrenamtlichen ist es echt Herzenssache, Freizeit für die kleinen Helden zu geben, die noch ums Überleben kämpfen. Oder schon verloren haben."

Viele Frauen tun mit

Was 2014 klein begonnen hatte, ist rasch zum gemeinnützigen Verein herangewachsen. "Auch durch die große Unterstützung aus Südthüringen", fügt Dana am Telefon hinzu. Simone Huhns stolzes Resümee zum jüngsten Schmalkalder Nähtreff: "Zu schön, mit wie viel Liebe, Talent, Fantasie, Elan und Spaß die Frauen diese eigentlich sehr ernste Sache angehen, wie sie sich solidarisieren. Mit Familien, die es in diesen Momenten so entsetzlich schwer haben."

Für den Nähtreff in Schmalkalden gelte das, "aber auch für andere Aktionen in unserer Regionalzuständigkeit für Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen. Oft hat man dabei das schöne Gefühl, sich schon Jahre lang zu kennen". Vielleicht, weil viele einst schon für den eigenen Nachwuchs geschneidert haben? "Ja", sagt Simone, "da blieb zunächst mal Material übrig für andere. Aber unserem Nähen für andere helfen längst auch sehr schöne neue Materialspenden von Sponsoren und Privat. Wir freuen uns darüber riesig."

Auch Martina Neubert aus Suhl ist, wie sie sagt, "immer wieder begeistert, wie viele Frauen mithelfen. Gerade meldete sich eine Ilmenauer Rentnerin, die das mit ihren Handarbeiten bislang daheim tut".

Nun koordinieren Simone und Martina in Hessen, danach in Ostthüringen das nächste Herzenssache-Nähen. Übrigens: Ein vorgeschlagenes 24-Stunden-Nähen beim Vereinstreffen in Berlin, bei dem "immer mindestens ein Maschinchen surrt, während 600 Teile entstehen, ist den Machern des Guinness-Buches zu uninteressant gewesen".

Simone und Martina laden schon jetzt an gleicher Stelle in Schmalkaldens Familienzentrum für den 25. November zum nächsten gemeinsamen Nähen ein.

Der alte Spruch "Herein, wenn's kein Schneider ist" hat offenbar ausgedient.

Info und Kontakt: Simone Huhn,
Martina Neubert, (01 71) 9 95 48 20

herzenssache-region-suedost@gmx.de

www.herzenssache-nfsuf.de

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