Thüringer helfen "Zeigen, was eine Harke ist"

Klaus-Ulrich Hubert
Gärtnern fürs Denkmal: Peter Winkler ist einer der freiwilligen Helfer, die den Park von Schloss Reinhardsbrunn bei Friedrichroda in Schuss halten. Foto: uhu

Welches neue Kapitel in der Geschichte des 190-jährigen Schlosses Reinhardsbrunn nach der Enteignung auch immer folgt: Hilfreiche Thüringer verhindern seit Jahren, dass der berühmte Schlosspark im Dornröschenschlaf verwildert.

 
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Friedrichroda - Schon kurz vor dem eigentlichen Bürger-Arbeitseinsatz an diesem Samstag müssen die Organisatoren und andere ehrenamtliche Helfer etwas lauter reden. "Eine Harke, wir brauchen bitte noch eine Harke, Klaus", ruft Christina Nußbicker ihrem Mann zu. Dann klappern sie mit ihrer Schubkarre hinter das frühere Kavaliershaus am Schlosseingang. "Nußbicker bitte mit weichem, mit babbschen ,b' in der Mitte", lacht die freundliche Rentnerin.

Schloss Reinhardsbrunn und seine Enteignung

Mit einem im deutschen Denkmalschutz bisher einmaligen Enteignungs-Verfahren will der Freistaat Schloss und Park Reinhardsbrunn retten. Seit Anfang Juli läuft das Verfahren beim Landesverwaltungsamt: Gläubiger wurden angehört, die Staatskanzlei erläuterte die Gründe für die angestrebte Enteignung. Aus Sicht der Landesregierung haben die Eigner des seit Jahren verfallenden Schlosses nichts zum Erhalt des kulturhistorisch bedeutsamen Denkmals getan. Bis Ende August könnten nun Besitzer und Gläubiger ihre Ansprüche schriftlich vorbringen. Dann will das Landesverwaltungsamt nach Aktenlage entscheiden, ob das Schloss enteignet wird. Für diesen Fall hat der Anwalt der aktuellen Besitzer, eine Consultingfirma mit Sitz in Hamburg, bereits den Weg vor Gericht angekündigt. Widerspruch wird auch aus den Reihen der Gläubiger erwartet, die um ihre finanziellen Forderungen bangen.

Im Frühjahr hatte sie mit zwei Dutzend anderen Helferinnen und Helfern aus Friedrichroda und Umgebung zu denen gehört, die der Einladung des Fördervereins "Schloss und Park Reinhardsbrunn" zu einem weiteren "Mach mit"-Einsatz folgten.

So wie das flotte Rentnerpaar sind viele derjenigen, die sich jetzt unter dem Vogelgezwitscher in den alten Parkbäumen mit Spaten, Sensen, Hacken und Sägen bewaffnen, Mitglieder im sehr aktiven Förderverein.

Subbotnik mit zwei ,b'

Aber nicht ausschließlich. "Ich bin einfach seit drei Jahren dabei, weil ich's toll finde, was hier geleistet wird", sagt Peter Winkler aus Gotha. Er setzt seinen Gehörschutz wieder auf, legt mit seinem Motorrasenmäher wieder los. Laut. Bahn für Bahn, auf der Wiese vor dem Kavaliershaus, dessen letzte Nach-Treuhand-Nutzung als Hotel 2001 endete.

Dort stehen an diesem sonnigen Maitag ein Dutzend Infotafeln. Sie erzählen Wanderern, Touristen, Schaulustigen und neuen Helfern die Kurzbiografie des Schlosses. Vom einst hier 1085 durch den Wartburg-Gründer Ludwig den Springer erbauten Benediktiner-Kloster über die Beisetzung Ludwig IV. durch seine später heiliggesprochene Frau Elisabeth .bis zur Fertigstellung des Parks 1905 rings um das ab 1826 umgebaute Neogotik-Schloss, das einst Sommerresidenz des Herzogs Ernst I. von Sachsen-Coburg und Gotha war.

Heute aber geht hier nicht Europas Hochadel ein und aus, wie einst bei Besuchen von Queen Victoria. Heute lädt hier ein Schild zum Subbotnik ein. "Ob mit einem oder zwei ,b' geschrieben...", so krault sich Christfried Boelter lächelnd seinen grauen Dreitagebart, es seien wohl beide Schreibweisen richtig. Das russische Kunstwort kommt von Subbota und Rabota, von Sonnabend und Arbeit. Boelter ist Pfarrer und nicht nur heute im Un-Ruhestand. Er ist der Vorort-Mann im Fördervereinsvorstand. Den leitet der Leipziger Rechtsanwalt Christoph von Berg.

"Wir wollen heute hier zeigen, was eine Harke ist", schmunzelt eine Frau in Latzhose. Sie reiht sich jetzt bei den Subbotnikern mit ein, hat jedoch kein Werkzeug. Aber die klare Meinung, "diesen Verspekulierern unseres Geschichtserbes" müsse das mit dem Harke-Zeigen ebenso gelten. "Unser Herr Paasche da drüben, der Mann mit der Baseballmütze, der hilft ihnen weiter. Danke für ihr Mittun", sagt Boelter.

Andreas Paasche ist der Logistiker. Heute und bei vielen anderen Anlässen. Einer, der sich nicht nur um Werkzeug, Container, sondern auch um den Imbiss- und Getränketisch im Schatten kümmert.

So wie Bernd Frank. Eines von 75 Vereinsmitgliedern. Der kam zunächst über den Bundesfreiwilligendienst als Schriftführer zum Verein; trägt viel zum Archiv bei.

Gleich neben dem alten Kavaliershaus-Tor, wo zu DDR-Devisenhotelzeiten des Schlosses der Intershop und später ein Biergarten war, schuften Andreas Köhn und sein Sohn Daniel mit Tobias Lehmann. "Das Schlossensemble verfällt doch seit der Wiedervereinigung immer, immer schneller", sagt einer der Helfer beim Anhieven eines umgestürzten, zentnerschweren Leuchtreklame-Aufstellers.

Eingangs des im 18. Jahrhundert von Fürst Pückler konzipierten Parks im englischen Stil - einst Generalprobe für den berühmten Wörlitzer Park - wuchten die jungen Männer das schwere Teil aus dem Weg. Zu besseren Zeiten hatte es verkündet: "Biergarten Kavaliershaus" .

Aber Bier gebe es auch noch, nachher. "Und Brause und Dankeschön-Bratwurst", lacht Andreas Paasche. Daneben wetzt ein junger Mann seine Sense, gekonnt wie ein alter Bauer: "Gelernt ist gelernt; auf den Wiesen der Großeltern", sagt Nicolas Reum. Regelmäßig, auch heute nach dem Arbeitseinsatz, der inzwischen den Duft von frisch geschnittenem Gras verströmt, macht Nicolas Führungen durch das Parkgelände.

"Ins Schloss selbst dürfen wir ja nicht rein; wir haben unser Vereinsdomizil deshalb gleich gegenüber außerhalb des Parks. Da drüben!" Der junge Sensenmann zeigt auf das alte Heizhaus aus DDR-Zeiten. Nach 1945 wurde das Schloss zeitweilig Schulungsgebäude der Feuerwehr und Volkspolizei. Dann Interhotel.

Objekt der Begierde

Als nach dem Mauerfall vermeintlich devisenkräftige Investoren mit vielen leeren Versprechungen und ersten Umbauplänen übernahmen, begann dessen Dornröschenschlaf und Verfall.

"Im Heizhaus, das inzwischen ein modernes Minimuseum beherbergt, da ist viel über die traurige Geschichte zu erfahren", sagt Christfried Boelter. Von dort aus habe man stets das Objekt der Begierde all derer im Blick, die ehrenamtlich so viel Liebe zum kulturellen Erbe der Region mitbringen. Und auch Wut im Bauch. Darüber, wie sich der Zahn der Zeit und die Vernachlässigung seit der Privatisierung ins Objekt fraßen - schneller als die immer wieder mal postulierten, aber wirkungslosen Rettungsversuche des 1991 in die Landesliste "Schlösser und Gärten" aufgenommenen Komplexes. Für die Mehrzahl derer, die hier gegen dessen traurigen Anblick zupacken, ist Reinhardsbrunn ein Stück Heimat.

Thüringer helfen: Sie werden sich hier beim nächsten Arbeitseinsatz wiedersehen. "Nicht vergessen, 26. August, 10 Uhr, Subbotnik. Mit doppeltem b und eben solchem Elan", so Boelter.

Er schmunzelt jetzt: "Früher sind wir im Sommer oft durch den Park mit dem Rad runter zum Freibad gefahren, hatten hier unsere Kindheit." Erinnerungen wird auch Bodo Ramelow haben. "Er wie auch unser Vereinsvorsitzender Christoph von Berg hatten hier nach der Wende ihre ersten thüringischen Unterkünfte."

Gescheiterte Vorhaben gab es in Reinhardsbrunn schon viele. Und lange bevor die heutige Schlossherrin, eine ominöse GmbH mit Sitz in Hamburg, nun endlich zur Rettung des Denkmals vor der Enteignung stehen dürfte. Vor 370 Jahren etwa, als Herzog Ernst der Fromme gehofft hatte, hier einen internationalen Senat zum Interessenausgleich zwischen den Kirchen der Reformation etablieren zu können.

Andererseits: Am Nordende des Parks befindet sich die mit bescheidensten Mitteln gepflegte Grablege des Landgrafen Ludwig IV. auf dem einstigen Klostergelände. Hier sollen sich Wunder ereignet haben. Und: 1521 besuchte Luther mehrfach von der Wartburg aus inkognito als Junker Jörg das Kloster, diskutierte mit Mönchen den rechten Glauben.

Wie der den vielen Ehrenamtlichen beim Erhalt des kulturellen Erbes noch nicht verging? "Herr Ramelow hat kürzlich drei Mal hervorgehoben, wie engagiert unser Verein hilft." Zuletzt "schien es mal unter dem früheren CDU-Wirtschaftsminister Franz Schuster gut um die Schloss-Nachnutzung auszusehen". Hier war sein Wahlkreis. Aber als der "nach dem Wahlsieg meiner Pfarrerskollegin Christine Lieberknecht gehen musste, sanken unsere Hoffnungen wieder", sagt Boelter. Nun seien alle Blicke auf "Ramelow gerichtet, dass er zurückholt, was uns allen gehört".

Das Land, sagt Fördervereins-Aktivist Boelter, dürfte "unser Schloss wohl kaum für einen symbolischen Euro von denen zurückkaufen, die sich verspekuliert, übernommen und dann nichts für den Erhalt getan haben. Und die dann gar noch ihre Grundschuld-Millionen weitergeben möchten." Dem Vernehmen nach hieß es, eine Klage der Eigentümer gegen Deutschlands bislang einzigartige Kulturgut-Enteignung würde für sie teuer; Streitwert geschätzte zehn Millionen Euro.

Der frühere Friedrichrodaer Bürgermeister Klaus Henniges legt auch heute wieder mit Hand an. "Die Leute meinten oft, das Schloss gehöre der Stadt. Welch dubiose Typen sich in meiner Amtszeit 1994 bis 2006 die Klinke im Rathaus in die Hand gegeben hatten!" Ein Pariser Journalist kam extra angereist, warnte: "Seien sie bloß vorsichtig mit denen!"

"Nein, Japanisch nicht"

Boelter hat sich gerade mit einer Säge durch einen abgestürzten Ast gekämpft. Dann hievt er mit Logistiker Andreas Paasche einige Holzpaletten aus Büschen - wahrscheinlich der letzte Rest vom Filmset für den jüngsten Lutherfilm. "Für den hatte man im Schlossinneren, in das wir nicht rein dürfen, aufwendig die Kulisse zu Luthers Wittenberger Studierzimmer zusammengenagelt."

Auch das ist "Thüringer helfen"-Ehrenamt: Fördervereinsmitglied und Denkmalpfleger Michael Hess führt mit dem 19-jährigen Vereinsmitglied und Sensenmann Nicolas Reum Gäste aus halb Europa durch den Park.

Bis ganz hinten, wo allmählich wieder die Konturen von Deutschlands ältestem Japanischen Garten erkennbar werden. Nein, Japanisch könne er nicht, schmunzelt Joachim Ortlebb, denn sogar der Botschafter aus Tokio bestaunte den schon. Das Friedrichrodaer Urgestein ist Fremdsprachenlehrer. Seine Führungen, auf Französisch und Englisch, werden demnächst wieder gefragt sein.

Am 21. September dürfte Ramelow vielleicht schon etwas in Sachen "viel, viel notwendiger Kohle" sagen.

Das hofft man zumi ndest bei den rührigen Ehrenamtlichen im Vereinshauptquartier neben dem Schloss. Im umgebauten alten Kohlebunker des früheren Heizwerkes wird dann ein attraktives Info-Zentrum zum Lutherweg eröffnet.

Auch eine Anerkennung der vielen Ehrenamtshelfer hier.

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