Thüringer helfen Rettung in letzter Sekunde: Vom Glück und wie man's schafft

Seinen 17. Geburtstag im Juli vergangenen Jahres verbrachte Patrick nach dem Brand seines Elternhauses im Koma. Dass es ihm und seiner Familie heute wieder gut geht, verdanken sie auch den Lesern der Heimatzeitung und dem DRK Meiningen.

 
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Den Brand, der von dem Einfamilienhaus mitten im Rhön-Dorf Stepfershausen (Schmalkalden-Meiningen) nicht mehr als eine abrissreife Ruine hinterließ, "den hab ich im Krankenhaus verarbeitet", sagt der junge Mann heute. "Ich hatte ja viel Zeit." Das klingt nicht sarkastisch; es ist so gemeint wie gesagt: Wochenlang lag er in einer Spezialklinik in Halle/Saale; seine Haut war am Oberkörper zu großen Teilen verbrannt. Wie durch ein Wunder hatten Gesicht und Hände nichts abbekommen. Patrick war der letzte, der beim Brand durchs Fenster der ersten Etage über die eilig von Nachbarn herbeigeschaffte Leiter flüchtete. Seine beiden Schwestern, 7 und 12 Jahre, waren schon unten, als hinter ihm die Flammen meterhoch aus dem Fenster schlugen. Rettung in wirklich letzter Sekunde, sollten die herbei gerasten Feuerwehrleute später sagen.

Wenige Worte genügten

Für die Eltern Manuela Kowalski und Marko Voigt-Kowalski, die während des Brandes nicht daheim waren, überstürzen sich danach die Ereignisse: Plötzlich kein Dach mehr über dem Kopf und an Habe nur noch das, was sie am Leibe tragen. Der Junge liegt im Koma in Halle. Die Jüngste steht kurz vor der Schuleinführung - und von der Zuckertüte bis zu den Schulsachen ist alles verbrannt. Da ereignet sich das erste Wunder: Diese Zeitung und ihr Hilfswerk haben nach einem kurzentschlossenen Spendenaufruf für Schulanfängerin Lilly innerhalb eines Tages all das zusammen, was gebraucht wird. Leser spenden eine Zuckertüte mit Inhalt, sämtliches Schulmaterial für die Linkshänderin, ein Festkleidchen. Erste Angebote für Möbel, Kleidung und Hausrat gehen ein.

Das zweite Wunder heißt DRK-Kreisverband Meiningen. Er ermöglicht es der Familie, deren klapprigem Auto die Strecke in die Klinik zu Patrick nicht mehr zuzumuten ist, den Besuch des Jungen, organisiert und bezahlt die Übernachtung. Wie die Eltern um Patrick bangen, dessen Leben am seidenen Faden hängt, mag man sich kaum vorstellen. Ebenso groß die Freude, als die Ärzte ihnen sagen: Er schafft es. Mit einem Tablet, das vom DRK gesponsert wurde, kann der junge Mann fortan mit Familie und Freunden in Kontakt treten, sich die schier unendliche Zeit im Krankenbett vertreiben.

Wunderbare Leserschaft

Zuhause in Südthüringen spielt sich zeitgleich Wunder Nummer drei ab: Die Leser der Heimatzeitung spenden auf das Konto des Vereins"Freies Wort hilft - Miteinander Füreinander", um der Familie ein Leben nach dem Brand zu ermöglichen. Rund 5000 Euro kommen zusammen, und beim Roten Kreuz werden weitere Angebote für Sachspenden koordiniert. Mitarbeiterin Marina Schmidt - mit dem Fall betraut - telefoniert, besichtigt, berät, organisiert. Familie Kowalski kommt erst bei Verwandten unter, zieht dann in eine kleine Wohnung, später in ein gemietetes Haus in Meiningen. Etliches von Lesern findet hier schon Verwendung. "Es war ja nicht wirklich viel, was wir aus Stepfershausen noch hatten - eine Wäschespinne und ein paar Blumentöpfe, die auf dem Grundstück gestanden hatten", sagt Manuela Kowalski.

Dieser Tage nun endet die Odyssee der Familie: Ein Umzugswagen fährt zu einem Haus in Sülzfeld unweit von Meiningen, das die Familie nach dem Tod des Vorbesitzers gekauft hat. Ein eigenes Haus, wenn auch alt und sehr renovierungsbedürftig - es soll für sie der Neuanfang sein. Wände haben sie schon herausgerissen, die Elektrik neu gemacht, Fußböden verlegt, gemalert.

Und: "Mit einem Spickzettel", so erinnert sich Marina Schmidt lächelnd, ist sie mit Manuela Kowalski losgezogen, um nun das Geld des Hilfsvereins in dringend benötigtes Mobiliar für die Kinderzimmer zu verwandeln. "Die Einrichtung aller drei Kinderzimmer, Lampen, Gardinen und Rollos, Sitzsäcke, Matratzen und Lattenroste für die Betten, Kuscheldecken und am Ende sogar noch ein bisschen Dekoration konnten wir von dem Geld kaufen", sagt Marina Schmidt. Geschmackvolle Sachen sind es, die die beiden Frauen am Ende ausgesucht haben. Lillys Zimmer, in Lila- und Rosatönen gemalert und dekoriert, soll die Kleine die Brandnacht vergessen lassen. "Neulich hat sie das erste Mal wieder bei geschlossener Tür geschlafen", sagt Manuela Kowalski. Zuvor musste diese immer offen bleiben - wie bereit zur Flucht ...

Und auch sonst ordnet sich das Leben der Familie langsam wieder. Das Wohnzimmer ist eingerichtet mit einer Schrankwand, die eine Leserin aus Stedtlingen gespendet hat, die Couch stammt aus Herpf, die Küche ebenso. Eine Sitzecke war aus Reichenhausen gespendet worden, viele weitere Dinge kann man gar nicht aufzählen. Manuela Kowalski hat Blumen in die Fensterbretter gestellt, die Sonne lacht herein. Die Familie freut sich gemeinsam auf die Terrasse, die bald fertig gestellt wird.

Die Zukunft wird klarer

"Mama, ich bleib noch ein bisschen hier sitzen", sagt Patrick und rückt sich auf dem Sofa zurecht. Er leidet noch an den Folgen der Verbrennungen - "Wenn ich in die Nähe von Lampen oder einem Ofen komme, der viel Hitze abstrahlt, muss ich weg", sagt er. Das Gymnasium hat er abgebrochen, aber er sieht sich auf einem guten Weg: "13 Woche hatte ich verpasst, das bricht einem in der elften Klasse das Genick", erzählt er. Seine Konzentrationsfähigkeit habe immer mehr nachgelassen, "im März ging gar nichts mehr." Physiotherapie- und Ergotherapie-Termine, Arztbesuche, Konsultationen beim Psychologen, alles das war am Ende zu viel für ihn. Die "Zukunftsfragen" plagten ihn, erzählt er - "Was wird aus mir?"

Mittlerweile sieht er klarer: Er wird eine Ausbildung zum Fachinformatiker, Spezialgebiet Anwendungsentwicklung, machen. Das Arbeitsamt unterstützt ihn dabei als Partner. Der sehr ernsthaft blickende Junge hat wieder ein Ziel. Auf anderes, das akzeptiert er, muss er verzichten: "Ich habe früher Kampfsport betrieben, das geht jetzt nicht mehr." Er, der vor nicht mal einem Jahr rauchgeschwärzt dem Feuer entkam, streichelt den kleinen Familien-Struppi. Auch dieser ist damals, fast betäubt vor Angst, vor den Flammen geflohen und hatte Glück. Sein Herrchen und seine Familie wissen ebenfalls um ihr großes Glück. Ein Teil davon ist, dass es in Südthüringen Menschen gibt wie die Nachbarn, die Feuerwehrleute, das DRK - und die Leser der Heimatzeitung, die noch keinen allein ließen, der Hilfe brauchte.

"Danke, danke im Namen meiner Familie", sagt Patrick.

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