Suhl – Peter Wurschis „Rennsteigbeat“ erlebte im vorigen Jahr hier seine Buchpremiere. Am Dienstag kommt der Autor auf Einladung der Suhler Außenstelle der Birthler-Behörde und der Volkshochschule erneut zu einem Gespräch über sein spannendes Buch ins Haus Philharmonie. Wolfgang Schlott aus Bremen stellt es in nachfolgendem Text näher vor.

„In dem reichen Angebot an Untersuchungen zum jugendlichen Widerstand gegen das DDR-Regime überzeugen solche Arbeiten, in denen Zeitzeugen, Presseberichte und die Akten der staatlichen Organisationen wie auch des Ministeriums für Staatssicherheit als Quellen benutzt werden.

Der Bezirk Suhl, von seinen Bewohnern ironisch als sozialistisch unterentwickeltes Hinterland bezeichnet, erweist es sich in dieser Hinsicht als Glücksfall für die jugendsoziologische Forschung. Der provinzielle Landstrich mit einer 400 km langen Grenze zur Bundesrepublik Deutschland war nicht zuletzt aufgrund seiner Entfernung zum Ostberliner Machtzentrum bislang ein vernachlässigter Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Untersuchungen. Doch trotz seiner Marginalität stellte er gleichsam ein Brennglas für die widersprüchliche Entwicklung der DDR zwischen den 1950er und 1980er Jahren dar.

Zeitzeugen befragt

Diese Behauptung belegt der Soziologe Wurschi mit einer einleuchtenden These: Die Durchsetzung der offiziellen Jugendpolitik traf in dem südlichsten Bezirk auf einen marginalen jugendlichen Widerstand, dem ein hoher Aufwand an Repression und Erziehungsmaßnahmen gegenüberstand. Auf der Suche nach den Ursachen der oft widersprüchlichen Einstellung der provinziellen Machthaber gegenüber ihrer jüngsten Generation ist der Autor nicht nur in den Akten der damaligen Bezirks- und Kreisleitungen der SED und der FDJ fündig geworden. Auch die Bestände des Thüringer Archivs für Zeitgeschichte und des Bürgerkomitees Thüringen e.V. gaben Auskunft über die Repressionsmaßnahmen der Behörden wie die Auswertung der „Forschungsarbeiten“ einiger Stasi-Offiziere. Besonders hervorzuheben sind die Ergebnisse der Befragungen von 26 Zeitzeugen, deren Aussagen über brisante Ereignisse (Demonstrationen, Auflösung von inoffiziellen Veranstaltungen etc.) den widerständischen Aktivitäten eine bestimmte Authentizität verleihen.

„Rennsteigbeat“ – der Titel verweist auf den Kern der jugendlichen Unzufriedenheit mit den SED-Machthabern spätestens seit Beginn der 1960er Jahre. Sie richtete sich gegen die offizielle Volkslied- und Schlagerproduktion. Der jugendliche Protest gegen diese Verbrämung einer von oben geregelten sozialistischen Realität entfachte eine spontane Begeisterung für die Beat-Musik, die seit den frühen 60er Jahren auch die südlichsten Gefilde der DDR erreicht hatte.

Lokalstudie als Schwerpunkt

Zu diesem Zeitpunkt (1963), so Wurschi, tauchten aufmüpfige Jugendliche erstmals in den Akten der Stasi als staatsfeindliche Subjekte auf. Was sich in der Folgezeit als subkulturelles Potential vor allem in den südlichen Bezirken entfaltete, das ist inzwischen in zahlreichen Publikationen aufgearbeitet. Das Verdienst der vorliegenden Publikation besteht in der anschaulichen Auflistung der Aktionen, mit denen eine von Halbstarken, Hippies, Bluesmusik, Woodstock-Fieber, Punks und karnevalesken Politaktionen geprägte Szene den angepassten DDR-Spießern und den Staatsorganen nicht nur manches Schnippchen schlugen, sondern ihnen manchmal sogar „die Hölle heiߓ machten.

Im Zentrum der Untersuchung steht die Lokalstudie zu den nonkonformen Jugendkulturen im Bezirk Suhl. Besonders spannend ist die doppelte, oft dreifache Beleuchtung bestimmter spektakulärer Aktionen. Die offizielle Sichtweise in der Form von Presseberichten und Stasi-Berichten steht dabei im Kontrast zu den Zeitzeugenberichten, in denen sich ein hohes Maß an Kreativität und Pfiffigkeit bei der Unterlaufung des staatlichen Zwangsapparats widerspiegelt. Auf diese Weise gelingt dem Autor eine überaus lebendige Aufarbeitung eines Prozesses, in dem vormoderne, von autoritären, repressiven Maßnahmen geprägte staatliche Eingriffe auf moderne, in sich widersprüchliche Suchbewegungen einer jugendlichen Generation treffen.

Darüber hinaus verdeutlicht die Studie, die auf einer Fülle von Primär- und Sekundärliteratur beruht, auf welche Weise der staatsozialistische Unterdrückungsapparat in der DDR in der Gestalt eines abgelegenen Grenzbezirks auf legitime Formen des jugendlichen Widerstandspotentials reagierte. Mehr noch: Sie zeigt auch den konstruktiven Willen zahlreicher widerborstiger Jugendlicher, – trotz ihrer teilweise erschreckenden Erfahrungen mit den uniformierten Gartenzwergen – in ihren heimatlichen Lebensräumen auszuharren, um nach dem Zusammenbruch des Regimes ihre Lebensentwürfe zu realisieren. Ob ihnen dies in den von Treuhand und westlichen Kapitalverwertern de-strukturierten Industrielandschaften gelungen ist, sollte eine Folgestudie unbedingt untersuchen.“ Wolfgang Schlott

Peter Wurschi: Rennsteigbeat. Jugendliche Subkulturen im Thüringer Raum 1952-1989. Böhlau Verlag. Köln-Weimar- Wien 2007, 312 S., 29,90 (ISBN 978-3-412-20014-5)

27. Mai, 19. 30 Uhr Lesung im Foyer des Hauses Philharmonie, Eintritt frei