Suhl – Dass zur gestrigen Präsentation des Buches „Joggen am Rennsteig“ von Freies Wort-Chefredakteur Gerd Schwinger sowohl Lauf-Enthusiasten als auch Freunde des Rennsteigs im Publikum saßen, spricht für den Autor. Und dafür, dass er eben nicht noch ein Buch zu den vielen Büchern über das Laufen schlechthin, über Techniken und Trainingspläne auf den Markt gebracht hat. Gerd Schwinger beschreibt ein 168,3 Kilometer langes Lauf-Erlebnis, bei dem er mindestens ebenso viele Blicke für die Geschichten und Histörchen entlang des Rennsteigs hatte wie für seine Pulsuhr.

Den Rennsteig in seiner ganzen Länge rennend unter die Füße zu nehmen, das hatte Schwinger schon lange vor. Als ein Urlaubsplan platzte, hat er sich die Zeit, die er plötzlich hatte, genommen, um ihn zu bezwingen – den berühmten Höhenweg des Thüringer Waldes. Mit Tagebuch und Kamera sammelte er auf acht Etappen den Stoff für das, was nun zwischen zwei Buchdeckeln auf 168 Seiten vorliegt.

Als durchschnittliche Tagesdosis hat sich der erfahrene Marathon-Läufer etwa 21 Kilometer verordnet. Um Rekordzeiten geht es dabei nicht, eher um eine Art des Laufens, „bei der man in einen Trott verfällt, langsam, aber stetig viele Kilometer schafft und dabei noch Augen und Ohren für das hat, was einem am Rand begegnet“. Für die Natur an der einstigen Staatsgrenze zwischen Grumbach und Spechtsbrunn beispielsweise, die die Trennung von Ost und West und deren Zusammenwachsen auf ihre eigene Art bewältigt. Für die Begegnung mit Gerhard Grimmer hinterm Tresen an der Ebertswiese. Für Aussichten. Für den Großen Dreiherrenstein ... Und für Gedanken darüber, ob es früher für die Leute auf der alten Kurier- und Handelsstraße beschwerlicher war, über den Rennsteig zu kommen als für ihn. Sie hatten Pferde und Kutschen. Er hat nur seine Laufschuhe und Muskelkraft.

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Wer bezwingt wen?

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Gerd Schwinger beschreibt, wie er auf den knackigen Etappen Körner lässt, wie er in die vierte Etappe von Steinheid nach Neustadt am Rennsteig mit Halsweh, Husten, Fieber und Zweifeln eingestiegen ist. Und das mit dem Wissen, dass die schwerste Etappe – von Neustadt nach Oberhof – noch vor ihm liegt. Mit zwei Pillen gegen Schmerzen und Fieber, die beim Marathon in Chikago verteilt wurden und die er noch in seiner Waschtasche fand, ist er an den Start gegangen – zur Nachahmung nicht empfehlenswert. „Ich hatte das Unternehmen wohl etwas unterschätzt. Aber ich wollte den Rennsteig bezwingen. Und zwar komplett.“ Er habe gefühlt, wie sich die Radprofis bei der Tour der France fühlen müssen und sich kraft- und saftlos gefragt: Bezwinge ich den Rennsteig oder bezwingt er mich? Bloß nicht ständig auf die Strecke schauen. Das demoralisiert. Langsam laufen. Und auch am steilsten Anstieg nicht gehen. Immer weiter laufen, damit der Motor nicht stockt. Durchbeißen, dem inneren Schweinehund die Zähne zeigen. So gibt der Autor in mitunter spannende Schilderungen verpackte Lauf-Tipps und Enthusiasmus weiter und verführt vielleicht auch den Gelegenheitsläufer auf den Rennsteig und auf eine seiner Etappen. Der Rennsteig hat Schwinger in die Schranken gewiesen, aber er hat ihn nicht bezwungen. „Der Kammweg hat mir alles abverlangt, aber er hat mir auch alles gegeben. Sicher hat der Marathon in Chikago, New York, Honolulu, Boston, Köln oder Berlin seine Reize, aber der Rennsteig ist mir am liebsten“, so sein Fazit. Am Samstag zum Rennsteiglauf wird er ihm wieder begegnen – beim Super-Marathon über 72,7 Kilometer.

„Joggen am Rennsteig“ sei eine Homage an das Laufen und an den Rennsteig, lobt sein erster Turn-Trainer Dieter Petersdorf aus Jena, der ihm einst den Salto rückwärts mit Hilfe eines Trittes in den Allerwertesten beigebracht hat. Und auch er weiß, dass das Laufen ein ebenso schlimmer wie schöner Bazillus ist, „der mit Hilfe auch dieses Buches noch viele Menschen befallen möge“. Heike Hüchtemann

www.joggen-am-rennsteig.de