"Landolf Scherzers Verdienst, die literarische Reportage zu neuem Leben erweckt zu haben, hat ganz sicher auch mit seiner gesellschaftlichen und künstlerischen Außenseiterrolle zu tun. - Da ist jemand sich und seinen Lesern treu geblieben" - das schreibt Günter Wallraff im Nachwort zu Scherzers neuem Buch "Die alkoholfreie Hochzeit". Anlässlich der Premiere des Bandes am 8. April im Buchhaus sprachen wir mit Landolf Scherzer.

Wie fühlt es sich an, vom Meister der politischen Reportage Günter Wallraff derart geadelt zu werden?

Landolf Scherzer: Na, das würde ich jetzt mal nicht überbewerten, der Günter Wallraff und ich kennen uns schon sehr lange. Ich hatte ihn ja auch einmal zu einem Provinzschrei nach Suhl gelotst und saß mit ihm bei einer politischen Debatte auf dem Podium des Kulturhauses. Das Nachwort hat er übrigens nicht extra für diesen Band verfasst. Es ist jenes, das er 1997 für mein damaliges Buch "Mitleid ist umsonst, Neid musst du dir erarbeiten" geschrieben hat. Ich hatte ihn gefragt, ob ich es noch einmal verwenden kann, und er war einverstanden.

Eine Auswahl schon einmal publizierter Texte kommt in der Verlagslandschaft für gewöhnlich eigentlich nur vor, wenn ein rundes Jubiläum ansteht. Das ist derzeit bei Ihnen aber noch nicht in Sicht.

Landolf Scherzer: Es war die Idee des Verlegers Hans Westerheide vom NORA Verlag. Der wollte eine Reihe publizieren mit DDR-Büchern, die es heute nicht mehr gibt, und fragte mich, ob ich das gutheißen und mich beteiligen würde. Einzelne Bücher noch einmal auszugraben, fand ich nicht so gut. Faber & Faber macht ja schon etwas ähnliches. Aber ich schlug ihm vor, stattdessen bestimmte Geschichten aus Büchern, die auf Grund ihres Thema heute noch interessant und des Lesens wert sind, wieder zu publizieren.

The Best Of gewissermaßen?

Landolf Scherzer: So ungefähr, aber vor allem aus der Sicht, welcher Stoff, welches Thema die heutigen Leser noch erreicht und in die Zeit passt. Insofern ist der Titel der Reihe zutreffend: "Verlegtes Wiedergefunden".

Wieviel Verlegtes wurde schon wiedergefunden?

Landolf Scherzer: Mein Buch, das ich bereits auf der Buchmesse im Frühjahr in Leipzig vorgestellt habe, ist das erste in dieser Reihe, sie erlebt damit also ihre Premiere.

Wer wählte die Geschichten aus?

Landolf Scherzer: Das habe ich selbst gemacht. Ich gebe zu, dass es am Anfang für mich schwierig war, alle meine Bücher wieder aufzuschlagen und darin zu blättern. Dann habe ich aber festgestellt, und das sage ich ganz uneitel, dass einige tatsächlich nicht nur ganz gut lesbar, sondern auf ihre Weise auch aktuell sind. Viele leben ja heute in der Distanzierung der Dinge von damals. Ich bin froh, weil das für mich nicht zutrifft. Denn etliches von dem, was darin geschrieben steht, beschäftigt uns heute sehr wohl noch.

Was beispielsweise?

Landolf Scherzer: Geschichten, in denen ich Umweltprobleme thematisiere. Wie in "Silberdisteln und Millionengräber". Da habe ich mich mit den Folgen der Grünlanderneuerung in der Rhön beschäftigt. Um so viel Futter wie möglich für die Kühe von den Wiesen zu holen, hatte Aribert Bach in den siebziger Jahren die grasarmen Wiesen der Rhön, die dafür aber reich waren an anderen Pflanzen wie Blumen und Kräuter, mit Herbiziden totspritzen lassen, um stattdessen eiweißintensive Gräser anzubauen. Der Wahn um die größten Schnitzel, das ertragreichste Gemüse, immer mehr und mehr erzeugen zu müssen, geht heute genauso um, eigentlich noch viel schlimmer.

Und die Titelgeschichte?

Landolf Scherzer: Das ist eine über die doppelte Moral im Sozialismus und über das versoffenste Land der Welt.

In welchen Ihrer Bücher sind Sie noch einmal fündig geworden?

Landolf Scherzer: Die Texte stammen aus dreizehn Büchern beziehungsweise Anthologien, die es nicht mehr im Handel gibt. Das sind unter anderem Südthüringer Panorama", "Mitleid ist umsonst, Neid musst du dir erarbeiten, "Bom dia, weißer Bruder", "Auf Hoffnungssuche an der Wolga", "Spreewaldfahrten", "Neueres von den Meiningern", "Nahaufnahmen aus Sibirien und dem sowjetischen Orient", "Staatsmorast" und "Am Sarg der Sojus":

Hatten Sie in der Zusammenstellung ein ordnendes Prinzip?

Landolf Scherzer: Die Reihenfolge festzulegen, war schwieriger, als die Auswahl. Macht man's thematisch oder chronologisch? Beginnt man 1973 und endet 1994, um die Entwicklung des Autors zu dokumentieren? Dem Verleger erschien es interessanter, die Reportagen zeitlich ungeordnet zu platzieren. Insgesamt umfasst die Zeitspanne der ausgewählten Texte 21 Jahre.

Und nun, da alles eine Reihenfolge hat?

Landolf Scherzer: Denke ich, dass es auch etwas über meinen Werdegang als Autor aussagt. Das hoffe ich zumindest.

Interview: Lilian Klement