Wilhelm Dietl ist ein Autor mit der Affinität zu aufregenden, heiklen Themen. Nun hat er ein besonders heißes angepackt: das Agieren der Geheimdienste der islamischen Welt. Schattenarmeen nennt er sie. Nachlesen kann man über sie in seinem gleichnamigen, brandneuen Buch. Dietl hat in Abgründe geblickt. Dabei ist ihm eine kenntnisreiche, detailgetreue wie erschreckende Beschreibung gelungen, wie sie vor ihm noch niemandem verfasst hat. Ein Gespräch mit dem Journalisten und Nahost-Experten anlässlich seiner Lesung im Suhler Buchhaus.

Herr Dietl, wie lebt sich's nach einer solchen Beschreibung?

Nach wie vor gut. Was das Buch betrifft, habe ich bisher keine Probleme. Es hat noch keiner behauptet, das irgendetwas nicht stimmt. Und es hat auch keiner irgendwie Rache genommen. Aber ich sollte wohl den Nahen Osten für einige Zeit meiden, eventuell für immer. Dort leben zahlreiche Leute, die sich für das Buch an mir revanchieren würden, wenn sie könnten.

Haben Sie aus der Region, die Sie beschreiben, Resonanz vernommen?

Ich habe vor wenigen Wochen von einem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter, der lange Jahre in der Region stationiert war, die Information erhalten, dass mein Buch von den arabischen Diensten mit Spannung gelesen wird. Und dass die Betroffenen, beispielsweise im Libanon und Syrien, alles andere als froh sind.

Was bewog Sie, einem derart heiklen Thema nachzuforschen und öffentlich zu machen?

Ich wollte meine Zeit im Nahen Osten abschließen, und eigentlich habe ich alles geschrieben, was ich schreiben wollte. Diese Materie fehlte noch. Außerdem: Bisher hat das keiner getan. Das Innenleben der Geheimdienste im Nahen und Mittleren Osten war bisher wirklich geheim. Es gibt zwar verstreut ein paar Artikel darüber, aber richtig tief ging noch nie jemand.

Können Sie sich das erklären? Diese Dienste agieren ja schon lange.

Es gibt mehrere Gründe. Beispielsweise, dass nicht genügend Informationen verfügbar waren, und nicht genügend Kontakte zu Leuten existierten, die reden wollen. Zum anderen: Selbst im Westen, außerhalb der arabischen Welt, fehlten Drähte zu Insidern in England, in den USA oder Frankreich, die sich intensiv mit diesen Geheimdiensten beschäftigen und Informationen sammeln. Man erfährt nämlich viel mehr über diese geschlossene Welt der nahöstlichen Dienste in Paris oder London, als in Kairo oder Damaskus.

Sie sind bekannt für Ihre Courage. Dennoch: Wieviel Mut braucht es, so ein Buch zu schreiben?

Mut ist vielleicht nicht die Frage, weil meine bisherigen anderen Themen auch Mut brauchten. Auch das nächste braucht diesen. Eher würde ich sagen: Es ist viel Energie vonnöten. Das Buch wurde ja nicht in drei Monaten recherchiert. Ich war vier, fünf Jahre unterwegs, traf viele Leute und habe viele kleine Puzzle-Stücke gesammelt. Denn nirgendwo war die große Offenbarung dabei.

Kamen Sie bei den Recherchen in brenzlige Situationen?

Nicht so, dass ich es erkannt hätte. Ich glaube nicht.

Haben Sie als versierter Kenner der Region Dinge entdeckt, von denen Sie überrascht waren?

Nein. Ich wusste vieles von dem was da läuft, kannte zum Teil die Akteure. Über manche der Geheimdienst-Oberen im Nahen Osten schreibe ich, weil ich sie kenne. Deswegen ist das Buch sehr persönlich geworden und bietet für den Leser viel Neues. Es gibt in dieser Region eine große Kontinuität bei den Diensten, doch die Nachfolger sind nicht anders gestrickt.

Jene Generäle und Oberste zu der Zeit, als ich besonders aktiv im Nahen Osten war, leben heute im Ruhestand. Doch die Neuen sind nicht anders. Sie sind in mancher Hinsicht noch brutaler und noch kompromissloser geworden. Diese gesamte Welt ist sehr gewalttätig und gesetzlos - aus unserer Sicht.

Wo sehen Sie die größte Gefahr, die von diesen Schattenarmeen ausgeht?

Das ist der Staatsterrorismus. Diese Dienste dürfen alles und schaffen selbst die Regeln. Deshalb neigen sie dazu, sich zu überschätzen und übertragen ihre Racheaktionen nach Europa. Wir hatten ja eine Reihe von Anschlägen. Und wir hatten Morde an Dissidenten aus diesen Ländern. Ich spreche nicht von Zielen, die Deutsche betreffen. Die Machthaber im Iran beispielsweise versuchen, jegliche Opposition unter ihren Landsleuten in Europa zu beenden, indem sie vor Mordanschlägen nicht zurück schrecken. Sie haben kein Problem damit. Ihr Selbstverständnis sagt ihnen, dass sie jederzeit einen Landsmann ermorden dürfen.

Bisher erschienen Ihre Bücher in deutschen Verlagen, vor allem bei Eichborn. Warum der Wechsel zum österreichischen Residenz Verlag in St. Pölten?

Ein deutscher Verlag war interessiert. Er hatte mit mir bereits einen Vertrag geschlossen. Als die Recherchen beendet waren und ich gerade mit dem Schreiben beginnen wollte, kam vom Verlag die Mitteilung, dass man umstrukturiere, neue Schwerpunkte setzen müsse und das Buch nicht mehr machen wolle. Ich bekam den Vertrag ausbezahlt. Die Summe war nicht unbeträchtlich und die Recherchen gedeckt.

Ich fand dann einen neuen Verlag in Österreich.

Wie war die Erfahrung mit dem Residenz-Verlag?

Sehr gut. Kompetente, freundliche, kooperative Mitarbeiter, und sehr professionell.

Sie deuteten an, bereits mitten in neuen heißen Recherchen zu sein. Verraten Sie etwas davon?

Jetzt bin ich an ganz anderen Schattenarmeen dran. Mein neues Buch hat die ehemalige DDR zum Schauplatz. Es spannt den Zeitrahmen von der DDR bis zum heutigen geeinten Deutschland. Es trägt den Arbeitstitel "Seilschaften" und ist das Porträt einer Stadt im Osten mit 100 000 Einwohnern. Ich neige bekanntlich dazu, alles stets zu personalisieren und Namen zu nennen. Hier handelt es sich um zwanzig, dreißig Fälle, die ich über Jahrzehnte hinweg aufzudrösele. Ich zeige, was gewisse Leute vorher gemacht haben und was sie heute machen. Es ist ein Buch, das sich vor allem im wirtschaftlichen Bereich bewegt, Immobilien, Grund und Boden, Firmen. Da gibt es den ehemaligen Stasi-Offizier, der dreißig, vierzig Firmen gründet und wieder schließt, weil sie ihren Zweck erfüllt haben. Da gibt es den Bauunternehmer, der seit der Wende beinahe konkurrenzlos war in seinem Ort, und deshalb besonders intensiv geklotzt hat.

Es wird ein spannender Stoff. Bis jetzt schrecken Verlage noch davor zurück, weil sie Angst haben vor einer Klagewelle. Aber bei mir füllen sich inzwischen die Kästen und die Regale mit den Unterlagen. Ich denke, dass Buch wird bis Herbst 2011 zu haben sein.

Interview: Lilian Klement

Wilhelm Dietl: Schattenarmeeen - Die Geheimdienste der islamischen Welt, Residenz Verlag