Suhl – Authentizität, Nähe, ja Intimität – das ist es, was dieses wunderbare Buch ausmacht. Es erhellt deutsche Geschichte auf ebenso fesselnde und berührende Art, wie Christina von Braun, die Kulturtheoretikerin, Autorin, Filmemacherin und Professorin ihr neues Buch „Stille Post“ dem Publikum präsentiert, liest und erzählt. Eigentlich wollte sie nur mehr über ihre Großmutter wissen.

In Archiven, in Tagebüchern, in Erinnerungen und Briefen, im Schweigen, im Familiengedächtnis fand sie den Stoff für ein Buch, das sich nicht so ohne weiteres in eine Schublade stecken lässt. Irgendwie ist es Autobiografie, Familienchronik und Geschichtsbuch zugleich. Und das macht es spannend und lehrreich zugleich.

Christina von Braun erzählte am verregnet-kalten Montag in der Stadtbücherei über ihr Buch und den Weg dahin, der sie auch über verschlüsselte Nachrichtenketten und Botschaften, die zwischen den Zeilen von Geschriebenem, im Schweigen oder auch in Depressionen der Mutter liegen, führte. Obwohl sie ihre Großmutter Hildegard Margis nie kennenlernte, hat sie ein Bild von ihr, das sie ausfüllt mit Botschaften, die auf ihrem Recherche-Weg ankommen. Bewundernd spricht sie von der Großmutter, die Ende des Ersten Weltkrieges verwitwet mit zwei kleinen Kindern vor dem Nichts stand und binnen kurzer Zeit erfolgreiche Unternehmerin, Verlegerin und Vorkämpferin des technischen Fortschritts im Haushalt, ja, auch Frauenrechtlerin wurde. Die Autorin berichtet vom Widerstand gegen das Nazi-Regime, der ihre Großmutter ins Gefängnis brachte, in dem sie starb und schwenkt den Fokus auf zwei andere Frauen. Auf ihre Mutter Hilde und die Großmutter väterlicherseits. Mit deren Tagebüchern schafft Christina von Braun einen Lebens-Kontrast gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Mutter Hilde saß mit ihrem Mann und den Kindern im Vatikan, „im goldenen Käfig“, wie von Braun sagt. Sie selbst ist in Rom geboren und hat in Vatikanstadt fünf Jahre gelebt. Und Emmy von Braun, die andere Großmutter, beschreibt die Angst vor der Vertreibung aus Schlesien, die Not, den Schrecken.

Während sie Faden für Faden aufnimmt und die Geschichte ihrer Familie zusammen strickt, durchläuft diesen Prozess ein weiterer Faden – Briefe, die Christina von Braun an die Großmutter schreibt, Ereignisse kommentiert, von sich erzählt, Fragen stellt. Auffällig in „Stille Post“ ist, dass vorwiegend Frauen zu Wort kommen und männliche Familienmitglieder eher am Rande zu finden sind. Auch der berühmt-berüchtigte Raketenbauer Onkel Wernher von Braun, über den ohnehin schon viel geschrieben wurde.

Das tut dem Buch gut. Nicht nur, dass so deutsche Frauengeschichte im 20. Jahrhundert erzählt wird. Christina von Braun hat die „Stille Post“ entschlüsselt entlang der Schnittstelle von Persönlichem und Zeitgeschichtlichem. Und sie hat etwas sehr wichtiges geschafft. Sie hat Geschichte samt ihrer dunklen Kapitel dank eigener Perspektive und intimer Mitteilungen lebendig und verständlich gemacht und ihr neue Gesichter gegeben.