Suhl - Zum zweiten Mal in diesem Jahr gab es am vergangenen Montag eine Literaturwerkstatt mit der Literarischen Gesellschaft Thüringen im Buchhaus Suhl, mit vorbereitet vom Südthüringer Literaturverein. Nun ließen sich Reiner Jesse aus Hirschbach, Ursula Schütt aus Dietzhausen und die aus Schönbrunn stammende Romina Voigt in die literarischen "Kochtöpfe" schauen, wie es Jens-Fietje Dwars formulierte.

Was da zu entdecken war, interessierte etwa 20 Gäste, Literaturinteressierte wie Schreibende, die mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hielten, aber auch den Tipps von Dwars und Bärbel Klässner lauschten. Dabei ging es nicht so sehr um die Frage, wie Literatur "schmeckt", sondern wie diese noch schmackhafter gemacht werden kann, was heißen soll: interessanter, farbenfroher, wirksamer.

Angerichtet war sorgsam: Der lesende Autor nahm zwischen seinen Kritikern Platz. Die Zuschauer bekamen die Möglichkeit, in Manuskripten die Texte nachzulesen. Schon begann die Fahrt durch Zeit und Raum, sicher gesteuert von Dwars, selbst Autor, und Bärbel Klässner, Lyrikerin aus Essen und jahrelange Thüringerin. Beide offenbarten nach der Stille nach dem jeweiligen Text ihr Vermögen, sorgsam auf Details einzugehen, eher fragend als wertend, mit vorsichtigen Hinweisen, was Literatur leisten könne, wenn...

Opulente Reise nach Nizza

Romanautor Reiner Jesse widmet sich in seinem neuen Buch dem Maler Amedeo Modigliani. Die vorgestellte Szene führt den Leser in ein Hotel in Nizza,. Unversehens fühlt er sich hineinversetzt in die Atmosphäre jener Zeit, wenn auch der Duft der Belle Epoque etwas modrig daherkommt. Lange Satzpassagen, verwirrende französische Namen halten den Zuhörer in Bann. So gab es denn auch spontan Beifall für Jesse.

Anmerkungen der Lektoren ließen jedoch nachdenken, wie viel Opulenz und wie viel Stuck Sprache brauche, um Zeiten lebendig werden zu lassen und Geschichten zu erzählen. Und wie viele Wiederholungen ein wacher Leser... Wie sehr es einem Wortmagier wie Jesse gelingt, über manche Detailbesessenheit hinweghören zu lassen, das war zu spüren.

Als eine echte Lyrikerin von hier erwies sich Romina Voigt. Die junge Germanistin brachte in beinahe lapidarer Kürze die Welt im Südthüringer Unterland auf den Punkt. Direkt in Szenen einsteigend entfaltete sie ein Kaleidoskop des Lebens auf dem Lande, geschichts- und geschichtenträchtig, mit dem wachen Blick der Zeugin, mit der Sprachmächtigkeit einer langjährig Schreibenden aufgezeichnet.

13 Gedichte stellte Voigt vor, die wahrscheinlich nur dank der Mitlese-Möglichkeit ihre Wirkung ganz entfalten konnten. Dank gebührt den Lektoren, dass sie die Lyrikerin aus Jena hierher zurückführten in ihre Beinahe-Heimat, wo Mundart noch verstanden wird. Solch kraftvolle Verse tun Thüringen, tun uns allen gut: "Berta / mit bloßen Händen / fuhr sie in die Nesseln, stopfte / sie - mit bloßen Händen! - / in einen Kissenbezug / und keifte, bellte nach dem Fellknäuel / auf der Ofenbank: Kåtz! / Kåtz, geah häar un frass dei Zäüch!"

Sorgsam die Kritik an den Versen: Was entsteht vor den Augen des Lesers, ohne dass man es benennen muss? Von dieser Lyrikerin wird man noch hören.

Die bekannteste Autorin dieses Abends war gewiss Ursula Schütt. Sie war in diesem Jarh schon mehrfach zu Gast in Suhl. Immer wieder sucht sie den Ratschlag von Kritikern, stellt sich ihrem Publikum. Diesmal hatte sie einen Ausschnitt aus ihrem entstehenden Roman mit dem Arbeitstitel "Das Tuch" mitgebracht. Die Szene führte zurück in die DDR und beinhaltete vor allem Erinnerungen einer der Hauptheldinnen an ihre eingeschränkten Möglichkeiten, den Zusammenhang zwischen Enge des Wohnens und Enge eigener Entwicklung.

Barrieren weglassen

Der Leser war geneigt, die Exkurse in die Vergangenheit dankbar anzunehmen, reflektierten sie oft auch eigene Erfahrung. Nicht so die Lektoren, die auf die Möglichkeiten des Erzählens einer Ursula Schütt verwiesen, die sie immer wieder in Erstaunen versetzt hätte, und die auch bei Rückerinnerungen und bei einem Roman durchaus Anwendung finden könnten.

Gleichsam nebenbei wurde dabei vermittelt, was ein Roman kann und was eine Erzählung. Und der Autorin mit auf den Weg gegeben, formale Barrieren einfach wegzulassen und die schlummernden Geschichten in ihr freizulassen...

Die Literaturfreunde verließen das Suhler Buchhaus mit dem Gefühl, Zeuge von Schöpfungsprozessen gewesen zu sein. Bleibt zu hoffen, dass solche Abende eine Fortsetzung finden. Wie Jens-Fietje Dwars sagte: "Die Töpfe brodeln jetzt weiter." hu