Suhl - Auch Schriftsteller sind nur Menschen. Selbst berühmte können sich davon nicht ausnehmen. Manchmal lüften sie ja ein wenig den Schleier ihres normalen Menschseins und packen das sogar gelegentlich in Literatur.

So, wie der große alte Mann der Ost-Literatur Stefan Heym. Der hat seiner Ehefrau Inge ganz persönliche Geschichtchen als Geschenke vermacht. Und eigentlich sollten die auch immer privat bleiben, letztlich landeten sie aber doch in einem Büchlein. "Immer sind die Weiber weg", erschien zuerst, einige Jahre später, nach seinem Tod 2001, gewissermaßen die Fortsetzung dieser leichtfüßigen, ironischen Alltagsbeobachtungen "Immer sind die Männer schuld".

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Im Allgäu haben sie die politischen
Spitzen Heyms nicht verstanden

Jörg Gudzuhn

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Sie stehen im totalen Kontrast zu seinen gewichtigen Büchern, die sich stets einmischten und Zeitfragen thematisierten. Im Winter hatten die Suhler bereits das Vergnügen, die Schauspielerin Ursula Karusseit mit einigen dieser Geschichten zu hören, nämlich jene, die beschreiben, dass die Weiber immer weg sind. Ihr großartiger Kollege Jörg Gudzuhn hat nun am Freitagabend im Suhler Mimenspiel ebenfalls in einer Lesung eine köstliche Fortsetzung dieser Perspektiven gegeben.

Aber eigentlich war das ja eher Spiel als Lesung, denn Gudzuhn auf dem Podium, er theaterte sich regelrecht in Heyms Ich-Erzählungen hinein. Das Publikum im voll besetzten Bankettsaal amüsierte sich darob prächtig - Gudzuhn und Heym, die schienen für vergnügliche neunzig Minuten fast ineinander zu verschmelzen.

Dabei kam Gudzuhn erst kurz vor knapp mit dem Auto aus dem Allgäu, da gab's Schnee und überdies die Erkenntnis, "dass der Heym dort gar nicht so bekannt ist. Naja, dachte ich, da fangen sie wenigstens mal zu lesen an. Aber wenn's um den Kapitalismus geht, da können sie die Spitzen von Heym gar nicht verstehen", ätzt er mit leichtem Grinsen vom Podium herunter.

Dabei sind die meisten der Geschichten so etwas von harmlos und garantiert nachvollziehbar für viele Leser. Denn es menschelt doch gar sehr in allem, was Heym aus dem familiären Nähkästchen plaudert. Die kleinen Ehe-Reibereien mit seiner Frau, die nicht selten für den Schriftsteller in der Frage enden "was habe ich schon wieder falsch gemacht?" und zum Nachdenken über sein permanentes "Schuldbewusstsein" führen, die stellt Mann sich gelegentlich auch, selbst wenn er nicht Stefan Heym heißt. Nur aufschreiben tut's wohl kaum jemand so süffisant wie er. Die Übertreibung und die dichterische Freiheit, die seien ihm freilich zugestanden.

Und wenn er in "Altersweisheit" über sich als "wandelndes Ersatzteillager" plaudert - mit künstlicher Hüfte, Gebiss, Hörgerät und Glasauge - dann könnten viele Zuhörer diese Plagen gut vorausahnen, selbst wenn sie jetzt darüber lachen, weil die Plagen noch in weiter Ferne scheinen. Doch die Aufforderung: "Beißt in die Brötchen, so lange ihr noch könnt", das ist eine Empfehlung, die man gut und gern überall, ob als Ostler oder Westler, mit einem lachenden und einem weinenden Auge (so man schon Gebissträger ist) verinnerlichen darf. Schwieriger wird für Westler schon das Verstehen einer Anspielung, wenn Frau Inge ihn mahnt, "lauf anständig und mit aufrechtem Gang, das hast du den Leuten doch immer gepredigt."

Ja, Heym, das war einer von jenen mit aufrechtem Gang. Und unbequem obendrein. Gegen Biermanns Ausweisung 1976 hat er protestiert, und sein Roman "Collin" - eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stalinismus - brachte ihm 1979, weil das Buch im Westen erschien, den Ausschluss aus dem Schriftstellerverband der DDR ein. Die kritischen Blicke auf sein Land, in das er nach langjährigem Exil in den USA 1952 zurück gekehrt war, die hat er in vielen Büchern niedergeschrieben, sie bestimmten sein literarisches Oeuvre.

Jörg Gudzuhn ist ein großer Freund der Bücher von Stefan Heym, "er ist eine wichtige Figur für uns Ostler." Er möchte, sagt er in einem kurzen Gespräch, dass man seine Bücher nicht vergisst und liest. Für den Schauspieler selbst - er gehört seit über zwanzig Jahren dem Deutschen Theater in Berlin an - sind "Der Winter unseres Missvergnügens", "Collin", "Der König David Bericht" oder "Fünf Tage im Juni" die wichtigsten Werke aus Heyms Feder. Dass er nun nach diesen Geschichtchen gegriffen hat, begründet er damit, dass es Spaß mache, sie zu lesen, und dass sich viele Leute darin wieder erkennen könnten.

Einer saß an diesem Abend im Publikum, der kannte schon etwas von diesen Kabinettstückchen, als sie noch gar nicht veröffentlicht waren: Fritz Waniek. Er hatte Stefan Heym Mitte der neunziger Jahre zu einer Lesung aus "Hradek" ins Suhler Buchhaus eingeladen. Als man anschließend noch in geselliger Runde zusammen saß, gab der Schriftsteller daraus in kleiner Runde etwas zum Besten und sorgte für Heiterkeit. "Und welch ein Vergnügen hat er dabei gehabt, auch an dem jiddischen Sprachstil, den er darin im Satzbau verwandte", erinnert sich Waniek.

"Ich sehe ihn heute noch vor mir, mit rundem Hut und schwarzem Mantel, und wie ich ihn beim Laufen habe stützen müssen. Heym ist ein Mann, dem mein großer Respekt gilt. Ich erinnere mich ebenso, dass er mit großer Offenheit, Geduld und Gelassenheit die vielen Fragen der Zuhörer beantwortete. Auch wenn er es genoss, so viel Aufmerksamkeit zu erhalten."