Sonneberg Wegen einer Nacht vor 34 Jahren: "Hallo ich suche Dich!"

Cindy Heinkel
So hat Kerstin Albrecht als junge Frau ausgesehen. Sie hofft, dass sich der Vater von Christopher erinnert und meldet. Foto: Albrecht

Eine schwere Krankheit ist manchmal Anlass, mit der eigenen Vergangenheit reinen Tisch zu machen. Kerstin Albrecht will den leiblichen Vater ihres Sohnes finden - in Sonneberg.

 
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Sonneberg - Die Diagnose Krebs verändert in Kerstin Albrechts Leben so Einiges. Nicht nur der Gesundheitszustand rückt in den Fokus, sondern auch ihre Vergangenheit. "Solche Lügen kann man nicht von Generation zu Generation weitergeben. Damit muss man einfach aufräumen", ist die 55-jährige Frau aus Dresenow in Mecklenburg-Vorpommern sicher. Sicher, wie noch nie in ihrem Leben. Deshalb bittet sie auch die Zeitung um Mithilfe für ihr Anliegen.

Sie will den leiblichen Vater ihres Sohnes finden, einen Sonneberger, der bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in Hagenow stationiert war, im September 1983. Denn da beginnt die Geschichte, die Kerstin Albrecht zu erzählen hat. So einfach ist es für sie nicht, über "den jugendlichen Leichtsinn" von damals zu sprechen. Aber die Wahrheit muss jetzt ans Licht.

Geheimnis lüften

Mit ihrer Clique geht die junge Erzieherin Anfang 20 an einem Septemberabend 1983 tanzen und lernt dabei einen feschen Soldaten kennen. Braune Augen, dunkle Haare, Mitte 20 vielleicht und ein süßer Sonneberger Dialekt. Sie verbringt eine Nacht mit dem Mann aus der Hagenower Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne. Seinen Namen kennt sie nicht, ein zweites Treffen kommt nicht zustande und doch bleibt Kerstin Albrecht eine ganz besondere Erinnerung an diese eine Nacht.

Sohn Christopher kommt nämlich 1984 zur Welt. "Als der Kleine ein Jahr alt war, habe ich meinen heutigen Mann Manfred kennen gelernt", sagt Kerstin Albrecht. Die beiden sind durch dick und dünn gegangen, haben Christopher gemeinsam groß gezogen. "Mein Sohn ist behütet und liebevoll mit einem fürsorglichen Mann an meiner Seite aufgewachsen und ich bin sehr stolz auf mein Kind", so die Mutter. Vom biologischen Vater erfährt der Junge bis ins Erwachsenenalter hinein nichts.

2012 erkrankt Kerstin Albrecht an Krebs, ein sogenanntes Synovialsarkom hat sich in der rechten Kniekehle gebildet, ein seltener Weichgewebstumor mit ungünstiger Prognose und einer geringen Überlebenschance. Es folgen eine Operation, Chemotherapien und Bestrahlungen. "Ein harter Weg", so beschreibt es die heute 55-Jährige. Mehr als zuvor beschäftigt sie das Geheimnis, das sie schon lange mit sich herumträgt. Und dann kündigt sich das erste Enkelkind an. Es ist der Punkt, an dem Kerstin Albrecht entscheidet, dass sie ihrem Sohn zuliebe dieses Geheimnis lüften muss.

In der Geburtsurkunde von Christopher aus DDR-Zeiten ist kein leiblicher Vater eingetragen. Für die Geburt des eigenen Sohnes Vince ist das Dokument notwendig. Unmengen an Tränen fließen, als die Wahrheit endlich raus ist. "Es ist nicht schön, so lange mit einer Lüge rumzulaufen." Ein paar Tage herrscht Funkstille zwischen Mutter und Sohn. Dann meldet sich Christopher wieder. "Wenn er in den Spiegel schaut, möchte er wissen, wo er herkommt", sagt Kerstin Albrecht. Ein nachvollziehbarer Wunsch in ihren Augen. "Er hat ein Recht zu wissen, woher er stammt." Versuche, irgendetwas über den "Erzeuger" aus Sonneberg herauszufinden scheitern. Ohne Namen gleicht es der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Eine Vermissten- beziehungsweise Verwandtensuche im Fernsehen kommt für Albrechts nicht in Frage und so wenden sie sich an Freies Wort . Kerstin Albrecht schaltet eine Anzeige mit dem Anfangssatz: "Hallo ich suche Dich!"

"Ich erhoffe mir, dass etwas dabei herauskommt und sich die beiden kennen lernen können." Sie wolle keinerlei Forderungen stellen, das Thema Unterhalt sei sowieso verjährt. Doch weshalb sollte sich nach so langer Zeit ein möglicher Kindsvater melden. Noch zudem einer, der bisher gar nichts von seinem Glück wusste, weit weg wohnt und gar keinen Kontakt hat? Kerstin Albrecht geht es dabei nicht um sich. Im Gegenteil. Sie denkt an die Zeit, in der sie nicht mehr da sein kann.

Denn der Krebs kommt 2015 mit geballter Kraft zurück. Metastasen haben sich in der Lunge gebildet. In Hamburg wird sie operiert. An eine Tätigkeit als Kindergärtnerin - 33 Jahre arbeitete sie in diesem Beruf - ist nicht mehr zu denken. Mittlerweile ist die Frau EU-Rentnerin. Sie komme ganz gut über die Runden, auch gesundheitlich.

Die Medikamente machen das Leid halbwegs erträglich. Das Bein will nicht mehr so, wie es vor dem Tumor war. Vierteljährlich muss sie nun zum großen Check. Blutbild, MRT, CT - das volle Programm. Dann heißt es wieder warten auf die Ergebnisse. Hoffen darauf, dass nicht wieder eine schlechte Nachricht kommt. "Die Tage zwischendrin sind immer eine schlimme Zeit."

Ein 200-Prozent-Mann

Kraft und Halt geben ihr in diesen Phasen ihre "Männer". Ihr Ehemann Manfred, der treu an ihrer Seite steht. Ihr Sohn Christopher, der nebenan auf dem Dorf bei Hagenow ein Haus gebaut hat und als Industriemeister beim Back-Zutaten-Spezialist Dr. Oetker eine Abteilung mit 70 Leuten leitet. "Der kann zupacken, ist selbstbewusst und gibt bei allem 200 Prozent", beschreibt ihn die Mutter. Braune Augen wie sein leiblicher Vater hat er außerdem.

Und last but not least ist da noch ihr vierjähriger Enkelsohn Vince, der ihr große Freude bereitet. "Erst dieser Tage hat er mir das Internet erklärt", lacht Kerstin Albrecht. Sie klingt befreit, auch wenn sie nicht sicher ist, ob sich auf die Anzeige und den Beitrag in der Zeitung überhaupt jemand meldet. Trotzdem - sie hat es wenigstens versucht. Ihrem Sohn zuliebe.

Wer Kontakt zu Kerstin Albrecht aufnehmen möchte oder mehr weiß zu diesem Sonneberger, der im September 1983 bei der NVA in Hagenow in der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne stationiert war, der meldet sich bitte bei Freies Wort, Bahnhofstraße 60, 96515 Sonneberg beziehungsweise per E-Mail unter lokal.sonneberg@freies-wort.de oder telefonisch (0 36 75) 89 38 80. Selbstverständlich sichern wir auf Wunsch Vertraulichkeit zu.

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