Sonneberg - "Heute Abend ab 18 Uhr geschlossen" steht auf einem Schild vor der Gaststätte "Alter Fritz" in der Sonneberger Oberen Stadt. Die Tür lässt sich nur schwer öffnen. Dahinter reihen sich schon die Stühle für die auf 19 Uhr angesetzte Lesung aneinander. Jeder Sitzplatz ist besetzt. Wärme staut sich in der gemütlichen Wirtsstube.

An einem kleinen Tisch mit Leselampe und Mikrofon nimmt Klaus Luthardt Platz. Schon strömen die ersten Besucher herbei, um eines seiner Bücher mit Autogramm zu ergattern. "Ich bin doch kä Profi", rutscht es ihm raus. "Alle tun so, als wäre ich ein Schriftsteller. Dabei habe ich doch nur aufgeschrieben, was mir passiert ist." Aufgeregt ist er, der Mann, der im April 1965 gemeinsam mit zwei Freunden "rübermachen" wollte. Einmal im Leben die Beatles sehen - das war ihr Traum. Weit sind sie mit ihrer Flucht nicht gekommen. Am Isak wollten sie die Dunkelheit der Nacht ausnutzen und die deutsch-deutsche Grenze überqueren. Ein lautes Geräusch und die Stimmen der Grenzsoldaten zwangen sie zur Umkehr.

Traumatische Erlebnisse

Was folgte, waren "Verrat und Verhaftung", so die Überschrift des dritten Kapitels von Luthardts Biografie "Wir wollten zu den Beatles ... doch gelandet sind wir in der Hölle". Klaus Luthardt sortiert immer wieder seine Aufzeichnungen. Unterbrochen wird sein Vortrag immer wieder von Seufzern wie "ach, is dös aufregend". Doch bevor er, sichtlich nervös , mit seiner Lesung beginnt, prostet er dem Publikum zu. Er wolle "erstmal das Glas erheben auf den Tag der deutschen Einheit". Wirtin Brigitte Milewski hat eigens für den 61-Jährigen ein Mundart-Gedicht verfasst, das davon berichtet, wie es eigentlich zur Lesung im "Alten Fritz" kam. Seine erste Reaktion sei gewesen: "Dou kümmt doch känna." Noch kurz vor der Lesung hatte er die Befürchtung, er sitze mit dem Stammtisch allein im "Alten Fritz". Das zahlreich erschienene Publikum am Sonntagabend belehrte ihn jedoch eines Besseren. Und Brigitte Milewski hält abschließend fest, "hätte es die Teilung Deutschlands nicht gegeben, würdest du heute Abend nicht hier bei uns sitzen und aus deinem Leben erzählen."

Klaus Luthardt, der sich selbst nicht als Schriftsteller sieht, sondern eher als Hobby-Literat, fordert das Publikum im "Alten Fritz" dazu auf, den Kuli in die Hand zu nehmen und einfach alles aufzuschreiben, was im Leben passiert ist. "Ein Schriftsteller wird man dadurch zwar nicht, aber es erleichtert ungemein Herz und Seele."

Auch in einer Sonneberger Schule habe er schon aus seiner Biografie vorgelesen, vor 16-Jährigen, das Alter, in dem er damals aus der DDR flüchten wollte. Sie hätten ihm schweigend zugehört, dass selbst der Lehrer überrascht gewesen sei. "Sonst schauen sie alle fünf Minuten auf die Uhr. Aber bei mir hätten sie wahrscheinlich noch viel länger zugehört", berichtet Luthardt von diesem Erlebnis.

Sich schreibend Luft machen - das tat nach seiner Freilassung 1965, und das tut der 61-Jährige auch heute noch. "In den 80-er Jahren waren es Briefe an Erich Honecker", erzählt er. "Bis es ihm zu bunt wurde, und dann war ich weg." Heute seien es Briefe an Angela Merkel und verschiedene Ministerien. "Aber solche Antworten hätte ich von Honecker nicht bekommen."

Während des Vortrages kommen ihm immer wieder Anekdoten in den Sinn, die er spontan im Dialekt erzählt. Wie die von dem Lehrer, der ihm täglich eine Mark auf den Tisch legte, damit er sich seine langen Haare schneiden ließe.

Fast sei das Buch gar nicht zustande gekommen, berichtet der gebürtige Sonneberger. Eine Lungenkrankheit hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Während er aus dem Kapitel seiner Flucht vorliest, scheint es, als durchlebe er diese Momente der Furcht noch einmal. Auch die Verhöre in der Untersuchungshaft in Untermaßfeld haben sich tief in seine Seele eingebrannt. Noch heute habe er das Geräusch der klappernden Schreibmaschine im Ohr, auf der seine Aussagen bei der Kriminalpolizei protokolliert wurden.

Das Publikum im "Alten Fritz", bestehend aus vielen Freunden und Bekannten, lauscht an diesem denkwürdigen Sonntag andächtig und gespannt den Schilderungen Luthardts. Von Zeit zu Zeit fällt manchem etwas ein, das er dem Hobby-Literaten zuruft und ihm dadurch manchmal auf die Sprünge hilft. Als er von der Fahrt in die Jugendvollzugsanstalt Ichtershausen erzählt, fällt ihm das Sprechen schwer. "Beinah wäre ich sentimental geworden", versucht er den Kloß im Hals zu entschuldigen. Denn statt einer Strafe auf Bewährung erhielten die drei Freunde zwei Mal zehn und ein Mal 15 Monate Gefängnis, wo man die jungen Männer "umerziehen" wollte. Gelungen ist es dem DDR-Regime nicht.

Umerziehung misslungen

Nach gut zwei Stunden beschließt Klaus Luthardt seine Lesung, und Wirtin Brigitte Milewski läutet den "inoffiziellen" Teil des Abends ein. Noch lange saßen der Hobby-Literat und seine alten Freunde beisammen und ließen gemeinsam die letzten Jahrzehnte Revue passieren.

Der 61-Jährige wollte kein Geld für seinen "Auftritt". Stattdessen rief er das Publikum zu Spenden auf. "Ganze 200 Euro sind am Sonntag zusammengekommen", teilte Inhaber Matthias Milewski am Dienstag mit. Das Geld soll der Nachwuchsförderung des Rennrodelvereins Sonneberg/Schalkau zugute kommen.

Klaus Luthardt versuchte auch nach seiner Entlassung aus Ichtershausen immer wieder, mit systemkritischen Briefen an die Regierung, seine Abwanderung zu beschleunigen. 1984 wurde er deshalb erneut für ein Jahr verurteilt und inhaftiert. Nach elf Monaten kaufte ihn die Bundesrepublik frei. Vier Monate später folgten ihm seine Frau und die beiden Kinder in den Westen. Die Familie lebt heute in Euerdorf bei Bad Kissingen.

Klaus Luthardt: "Wir wollten zu den Beatles ... doch gelandet sind wir in der Hölle", ISBN 3-936983-40-2, ist im Digitalverlag Großrosseln erschienen und in der Buchhandlung Sonneberg für 12,90 Euro erhältlich.