Neuhaus am Rennweg Kritische Fragen ans Management werden laut

Das Entsetzen über den Verdacht, der auf fünf Beschäftigten des Angelikastiftes lastet, ist immens. David Eckart, vor seinem Einzug in den Landtag bis 2006 Leiter der Einrichtung, spricht von unentschuldbaren Verfehlungen.

 
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Neuhaus am Rennweg - "Endlich sind die unhaltbaren Zustände im Angelikastift ans Tageslicht gekommen. Das ist aber nicht erst seit 2019." Schon ab 2007/08 habe sie die Entwicklung, die das Angelikastift nimmt, als falsch empfunden, schrieb am Freitag eine Leserin (Name ist der Redaktion bekannt) an Freies Wort . Das Management habe demnach Missstände nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Besorgte Angehörige lassen die Telefone bei der Polizei heißlaufen

Eine Schwemme besorgter Anrufe hielt am Freitag die Polizei in Atem. Nachdem die Landespolizeinspektion Saalfeld am Donnerstag ihre Ermittlungen gegen fünf Beschäftigte des Angelikastiftes und den im Raum stehenden Verdacht des Missbrauchs Schutzbefohlener öffentlich gemacht hatte, kam es am Freitag vermehrt zu Anfragen von nachvollziehbar besorgten Angehörigen betreffend der Vorfälle. Die Anfragen in geordnete Bahnen zu lenken, lautet nun das Bemühen. So wird darauf verwiesen, dass für Presse- und Sachstandsauskünfte allein die Pressestelle der LPI Saalfeld sowie die Pressestelle der Staatsanwaltschaft in Meiningen zuständig ist. "Wer jedoch Hinweise oder Anmerkungen als Zeuge hat, ist gebeten sich zunächst an die Beamten der Polizeiinspektion Sonneberg unter (03675) 8750 zu wenden." Anliegen oder Anfragen zu möglichen betroffenen Verwandten werden dort gesammelt und im Anschluss an die zuständigen Sachbearbeiter in der Kriminalpolizeiinspektion Saalfeld weitergeleitet. Verfahrensbezogene Auskünfte können jedoch nicht erteilt werden, so die Landespolizeiinspektion Saalfeld in einer Mitteilung vom Freitagabend.

Unbenommen des Wahrheitsgehaltes dieses Eindrucks der Frau lobt diese den einstigen Leiter des Angelikastifts: "Ab dem Tag, als David Eckardt in den Landtag ging und das Haus verlies, ging es mit den fürchterlichen Zuständen los. Das ist über ein Jahrzehnt gereift."

Der Sonneberger David Eckardt rückte bekanntlich auf dem SPD-Ticket 2006 ins Parlament ein und gab in der Folge den Chefposten eines Pflegeheimleiters in Neuhaus auf. Bis Anfang 2007 wickelte er noch seine Aufgaben als Regionalleiter in Diensten des privaten Dienstleisters, der das Stift betreibt, ab. Eckardt war hernach bis 2013/14 parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. Nachdem ihm ein neuerlicher Einzug in den Landtag versagt blieb, wechselte er im Frühjahr 2016 auf den Posten des AWO-Landesgeschäftsführers Sachsen.

Die Vorkommnisse in seiner alten Heimat und bei seinem vormaligen Arbeitgeber hat der 53-Jährige mitbekommen. So sehr ihn das Lob der Leserin freut, so erschüttert ist er gleichzeitig von den Vorwürfen, die gegen fünf - nunmehr vormals - Beschäftigte des Pflegeheims im Raum stehen: "Das ist einfach nur krank, durch nichts zu entschuldigen. Ich war absolut sprachlos, als ich davon am Donnerstag gehört habe".

"Die goldenen Zeiten"

Ansonsten mag Eckardt auf der Basis seiner Erfahrungen von vor knapp anderthalb Jahrzehnten nicht spekulieren über das, was zwischenzeitlich schiefgelaufen ist: "2006 und heute, das lässt sich überhaupt nicht vergleichen. Damals waren das goldene Zeiten. Da hattest du Fachkräftequoten von über 70 Prozent und keine Sorgen. Wenn jemand gegangen ist, hast du die Stelle angesichts der vielen Bewerbungen in ein paar Tagen sofort nachbesetzen können. Mittlerweile ist man ja in den Einrichtungen froh, wenn man auf einen Fachkräfteschlüssel von 50 Prozent kommt." Gleichwohl mag Eckardt nicht recht einstimmen in ein Szenario, welches die mutmaßlichen Geschehnisse in Neuhaus als Ausdruck struktureller Probleme interpretiert: "Natürlich ist das System der Altenpflege in Deutschland an vielen Stellen krank. Aber es gibt Schritte des Gesetzgebers, hier Abhilfe zu schaffen, die Löhne nachzuziehen, die Arbeit attraktiver zu machen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Aber eine richtige Debatte um die Personalausstattung darf und kann ja nicht herhalten als Entschuldigung für das, was da in Neuhaus passiert ist. Das ist einfach nur gestört und gehört unter Strafe gestellt."

Wo war die Leitung?

Auch der CDU-Landtagsabgeordnete Henry Worm reagierte am Freitag schockiert und tief betroffen. "Ich bin entsetzt über diese Vorfälle und erwarte eine lückenlose Aufklärung", so der Scheibe-Alsbacher. Die Lage von Pflegebedürftigen dürfe nicht ausgenutzt werden: "Sie dürfen weder Gewalt, Vernachlässigung noch Diskriminierung ausgesetzt sein", betonte Worm. Gerade weil die Äußerungen von Gewalt in der Pflege sehr unterschiedlich sein können, ist die Sensibilisierung aller Beteiligten besonders wichtig. "Wenn in einer Einrichtung übergriffige Pflege oder Gewalt auftreten, muss unmittelbar und klar eingeschritten werden."

Besondere Verantwortung tragen hierbei sowohl die Leitung des Angelikastifts als auch die Leitung der Maternus-Gruppe. An diesem Punkt stelle sich für ihn ganz offensichtlich die Frage, ob man an den genannten Stellen dieser Verantwortung vollumfänglich nachgekommen ist. Medienberichten zufolge soll unter den Beschuldigten auch eine Frau sein, die eine Leitungsfunktion in der Schönen Aussicht innehatte. "Allerdings dürfen wir die Pflegekräfte auch nicht unter Generalverdacht stellen", so Worm abschließend. Allein in Thüringen leisten mehr als 32 000 Pflegekräfte täglich eine sehr wichtige und bedeutsame Arbeit. anb

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