Sonneberg/Lauscha Corona-Helfer: Geben ist oftmals leichter als Nehmen

Tim Birkner
Einkaufshilfe, Apothekengang oder Fahrt zum Familiengrab: Die Corona-Helfer, deren Kontaktdaten regelmäßig in der Heimatzeitung veröffentlicht werden, sind für viele Menschen auch Gesprächspartner geworden. Symbol Foto: Markus Kilian

Viele Menschen haben während des Corona- Lockdowns im Freien Wort ihre Hilfe angeboten. Manchmal entstanden dabei starke Bindungen zwischen zuvor Fremden.

 
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Föritz/Lauscha/Neuhaus - Heute hat Bodo Geburtstag. Seine Mutter kommt ihn besuchen - und muss dafür auf den Neuhäuser Friedhof. Dort liegt ihr Kind, dort liegt ihr Mann. "Die beiden gehören zu meinem täglichen Leben", sagt Renate Hörnig aus Lauscha.

Mit dem Corona-Lockdown waren die täglichen Besuche nicht mehr möglich. "Ich war in Nöten, mit meinen Nerven fix und alle", erzählt Hörnig. Sie ist die Liste der Corona-Helfer im Freien Wort durchgegangen und hat die einzige Nummer aus Lauscha gewählt: die von Tobias Walter. Der 23-Jährige fährt sie nun immer wieder zum Friedhof, zum Arzt oder zu anderen Erledigungen. "Wir pilgern zusammen los", nennt Hörnig das.

Während der ersten Fahrt waren die beiden noch per Sie, inzwischen duzen sie sich. Er schätzt ihr Alter auf 70 Jahre - "Ich habe ihm die ganze Wahrheit dann doch nicht gesagt", sagt sie und findet seine Schätzung schmeichelhaft. "Wir sparen kein Thema aus, auch nicht die Formel 1 - uns ist nie langweilig", sagt Hörnig. "Wenn er nicht so zuvorkommend und höflich gewesen wäre, wäre ich kein zweites Mal mit ihm gefahren."

Überschaubarer Aufwand

Tobias Walter fährt sie gerne: "Wir verstehen uns super gut." Er hätte auch anderen gerne geholfen. Insgesamt hatte er zwei Anfragen, für eine ältere Dame ist er zweimal zum Einkaufen gegangen und eben die Fahrten mit Renate.

Ähnlich ging es auch Helferin Jana Hölzer aus Föritz. Auch bei ihr kamen zwei Anfragen "von älteren Kundinnen über 80. Die eine ist alleinstehend und hat keine Verwandtschaft in der Nähe, die andere hat einen schwerkranken Mann zu Hause". Hölzer hat zwei Kinder, arbeitet Vollzeit: "Für mich ist es kein großer Aufwand, ich muss doch sowieso einkaufen", sagt sie. Zu Beginn des Lockdowns hat sie etwas häufiger geholfen, dann wurde es seltener. "Insgesamt waren das vielleicht zehn oder 15 Mal."

Auch bei Riccardo Grimm aus Neuhaus kamen zwei Anrufe an. "Einmal konnte ich helfen." Er bot auch in der Gemeinde seine Hilfe an, doch sie wurde bislang nicht gebraucht. Grimm sieht das locker: "Man weiß ja nie, was noch kommt."

Zu einem, der Hilfe anbietet, gehört auch ein anderer, der diese Hilfe annimmt. Und Geben ist da oftmals leichter als Nehmen. Seit an der Sonneberger Straße gebaut wird, ist es von Lauscha zum Neuhäuser Friedhof "eine kleine Weltreise": Lauscha, Ernstthal, Lichte, Piesau... Zu oft will Renate Hörnig diese große Runde ihrem Helfer nicht zumuten. "Was der junge Mann für mich tut, ist einmalig", sagt sie. - "Das ist wirklich eine tolle Frau", sagt er.

Sie wurde von ihrer Schwester aus Berlin geschimpft, sich endlich Hilfe zu holen. Heute ist sie froh darüber, Tobias Walter aus der Helfer-Liste angerufen zu haben. Für die Fahrten zahlt sie ihm Benzingeld, "weil ich nichts geschenkt haben möchte". Das erste Mal fragte Tobias noch, ob er im Auto warten oder sie zum Grab begleiten solle. "Da habe ich ihm gesagt, dass ich es sehr schön fände, wenn er mitkommt." Also kam Tobias Walter mit. Er stand still da, sah, dass das Grab trocken war und holte Gießwasser. "Das ist so aufmerksam. Er sieht, was zu tun ist", beobachtet Hörnig - und ist begeistert davon.

Das Eis ist gebrochen

"Meine Kundinnen waren am Anfang zurückhaltend", erzählt Jana Hölzer. Sie haben "vorsichtig gefragt", ob und wann sie vielleicht das nächste Mal für sie zur Apotheke oder zum Supermarkt fahren könne. Inzwischen ist das Eis gebrochen. Die beiden Damen sind "sehr, sehr dankbar". "Jetzt", sagt die Helferin, "muss ich die beiden mal anrufen und fragen, wie es ihnen geht - die haben sich schon lange nicht mehr gemeldet."

Im Freundeskreis wurden die Corona-Helfer bemerkt. "Da war viel Interesse da, wer oder wie oft, das wollten meine Bekannten schon wissen", berichtet Hölzer. Die Rückmeldung war bei allen Helfern durchweg: "Das finde ich toll." - "Super, dass du das machst." Oder: "Klasse, dass es so Menschen gibt wie dich." Nachgemacht hat es keiner.

Morgen hat Tobias Walter Geburtstag. Die Geburtstagskarte für ihn hat Renate Hörnig schon. Es sind sich Menschen begegnet, die sich vorher fremd waren und feststellen, dass sie sich eine Menge sagen zu haben.

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