Schmalkalden/Brotterode - Der Krieg überkam Brotterode in den Mittagsstunden des 24. Februar 1944. Gleich drei amerikanische Bomber stürzten nahe der Bergstadt ab - durchsiebt von den Geschossen der Flakgeschütze, durchlöchert von den Bordkanonen der deutschen Jäger. 22 junge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere fanden hier den Fliegertod - acht konnten sich mit dem Fallschirm retten. Einen zentralen Landeplatz erwischte Elroy R Enlow. Der Bordmechaniker traf im Garten von Clemann Münch auf Brotteroder Erde.

66 Jahre später sind die fast in Vergessenheit geratenen Ereignisse dokumentiert, und einem breiten Publikum zugänglich.

Der Schleusinger Lothar Günther hat diese, und viele andere Details über Bombardierungen, Luftkämpfe und Flugzeugabstürze in Südthüringen zusammengetragen und die vielen Einzelteile zu einem großen Bild zusammengesetzt. Herausgekommen ist ein 323 Seiten starkes, umfassendes Werk über die Geschichte des Luftkrieges zwischen Rennsteig und Rhön in den Jahren 1944 und 1945. Sieben Rechercheure haben dem Autoren geholfen, die lokale Südthüringer Luke in dem großen Zeitfenster der Kreisgeschichte zu öffnen. Darunter sind mit Andreas Lauerwald und Björn Müller auch zwei Brotteroder.

Wer einen, auf wahren Begebenheiten basierenden, Kriegsroman erwartet, liegt ebenso falsch wie der, der auf das Werk eines ehemaligen Luftwaffenangehörigen tippt. Günther ist Jahrgang 1935 und studierter Maschinenbauer. Die Schrift erfüllt weder einen hohen literarischen noch fachlichen Anspruch für eine elitäre Leserschaft. Das soll sie auch gar nicht. Dafür haben der Autor und seine Mitstreiter einen authentischen lokalhistorischen Abriss publiziert, der die Heimatgeschichte um ein wichtiges Kapitel bereichert. "Es ist das besondere Anliegen des Buches, die Kontrahenten am Himmel aus ihrer Anonymität zu holen", heißt es treffend in der Zusammenfassung zum Buch.

Keine Heldensaga

Der fingerdicke Band ist keine Saga, die Heldengeschichten an den Südthüringer Luftkriegs-Himmel schreibt. Er gibt viele Erlebnisberichte von Augenzeugen wieder, die das Geschehen in der Luft oder vom Boden aus beobachteten. Die Bombenangriffe auf mehrere Südthüringer Städte werden beleuchtet, die Schicksale von 40 Bomberbesatzungen der Westalliierten, sowie von 39 Jagdfliegern der Deutschen Luftwaffe. Viele Tabellen und Bilder, vor allem im Anfang, sorgen für einen detaillierten Überblick. Gleichwohl sich die ersten 100 Seiten einer umfassenden Einleitung zur Entwicklung an den Fronten vorbehalten. Nach dem Blick auf die Hauptkampfplätze und den Beginn des Luftkrieges erfolgt der Schwenk auf den Nebenkriegsschauplatz zwischen Rennsteig, Rhön und Grabfeld. Dass auch Gotha und Eisenach als nördlichste Punkte im Korridor des Beobachtungsgebietes enthalten sind, ergibt sich aus der militärischen Großwetterlage. Gotha als Standort der Flugzeugproduktion lag im Zielgebiet der alliierten Bomberflotten. Südthüringen spielte eine untergeordnete Rolle. So war für 22 in dem Buch geschilderte Flugzeugabstürze der Angriff auf Gotha am 24. Februar 1944 der Auslöser. Das Schlachtfeld unterm Himmelszelt erstreckte sich über etliche Quadratkilometer. Die Luftkämpfe zwischen den monoton brummenden Bombern und den kreischenden Jägern zogen sich von Waltershausen über Brotterode bis nach Bermbach oder Buttlar und Oechsen in der Thüringer Rhön hin.

Offenbar keinen einzigen Flugzeugabsturz gab es dagegen am 20. Juli 1944 - jenem Tag, als Schmalkalden erstmals bombardiert wurde. Laut der amerikanischen Statistik sollen 80 schwere B 24 ihre Bombenlast über der historisch bedeutenden und für die Rüstungsproduktion unbedeutenden Kleinstadt abgeworfen haben. Doch der Autor widerspricht mit dem Hinweis, dass Schmalkalden dann in Schutt und Asche versunken, praktisch ausradiert worden wäre.

Weitere Bombenflugzeuge stürzten am 30. März 1944 bei Brotterode und am 28. September 1944 bei Schmalkalden ab. Am 13. September fiel bei Unterschönau ein amerikanisches Jagdflugzeug vom Himmel.

Aber auch die deutschen Stahlvögel kamen nicht ungerupft davon. Am 24. Februar 1945 stürzte ein deutscher Jäger bei Wernshausen ab, am 13. September und am 23. Dezember eine Messerschmidt bei Struth-Helmershof.

Am 5. März 1944, also vier Wochen vor dem Einmarsch der Amerikaner, ging eine Junkers bei Brotterode zu Bruch. Die vier Besatzungsmitglieder konnten sich retten.

Breiten Raum widmet Lothar Günther dem Angriff der britischen Royal Air Force am 31. März 1944 auf Nürnberg, dem schwarzen Freitag in der Geschichte der Königlichen Luftwaffe. Sie verloren beim Angriff auf die Frankenmetropole 106 Flugzeuge - eines davon bei Brotterode.

246 schwarze Nachtjäger

Was die wenigsten wissen: Der aus 710 Bombern bestehene Schwarm vollzog bei dem Örtchen Oberstadt, nahe der Grenze zum Kreis Schmalkalden-Meiningen gelegen, eine Wende, um die Jäger zu narren. Das ging schief.

"Unmittelbar nach Mitternacht, als die erste Lancaster durch die Flak bei Liege abgeschossen wurde, verließen 246 schwarz angestrichene Nachtjäger ihre Einsatzhäfen", schreibt der Autor. "Die Ablenkungsmanöver konnten die deutsche Luftabwehr nicht täuschen. Was es mit den taktischen Waffen "wilde Sau", "zahme Sau" und der "schrägen Musik" auf sich hatte, beschreibt er im Detail. Der gelernte Werkzeugmacher Günther versteht auch als Militär-Autor sein Handwerk. Aus seiner Feder sind zwei weitere Werke geflossen. Das Buch über den Luftkrieg, seit Ende 2009 im Buchhandel erhältlich, komplettiert die Triologie.