Noch immer muss ich schmunzeln, zuweilen schleicht sich eine Träne aus dem Augenwinkel, wenn ich an das erste Weihnachten mit unserem Tannenbaum denke. "Wir haben einen Tannenbaum, hurra!", so höre ich noch heute unseren Jüngsten jubeln.

Das Haus hatten wir vor drei Jahren bezogen. Die Gartengestaltung nahm erste Formen an. Der Wunsch aller fünf Familienmitglieder: Wir wollen einen Tannenbaum. In der Weihnachtszeit durch unser verschneites Dörfchen laufend, hatten wir schon lange Zeit von einem eigenen Lichterbaum geträumt, wärmten doch die Lichter an den verschneiten Bäumen unser Herz auf so wunderbare Weise. So eine Pracht wollten wir auch vor unserer Tür.

Also pflanzten wir 1992 ein Bäumchen, etwa einen Meter von dem Häuschen entfernt, welches wir stolz unser Zuhause nannten.

Am 1. Dezember - die Adventszeit begann. Wie immer kam ich an einem Montag etwas später nach Hause. Die Mädchen hatten wohl eigene Ideen und mein Mann werkelte in seiner Kellerkammer. Doch was war das? Lichter in tiefer gelegten Regionen vor unserem Haus?

Strahlend empfing mich unser Sohn Norman: "Mama, wir haben einen Weihnachtsbaum!" So ein Leuchten, so eine Freude in seinen Augen. Ich stand da, einen Kloß im Hals. Freude, Rührung, Stolz?

Doch ich musste den Tatsachen realistisch ins Auge sehen: Wir hatten einen Weihnachtsbaum, unsere kleine Neuerwerbung im hellen Lichterglanz. Doch mit trauernd herabhängenden Zweigen. Dem Gewicht der Kerzen war das zarte Geäst noch längst nicht gewachsen. Schweren Herzens musste ich die Beleuchtung abnehmen. Norman stand neben mir, dicke Tränen kullerten über sein Gesicht. "Aber im nächsten Jahr, im nächsten Jahr Mama, da ist der Baum stark genug für die Kerzen?"

In den vielen nachfolgenden Jahren - es wurden über 20 - strahlte unser Tannenbaum fortan und wuchs, wuchs, das Haus überragend, empor.

Silberhochzeit

Die Kinder gingen mit den Jahren ihre eigenen Wege, doch die Tanne schmückten wir wie zuvor mit Akribie zu jedem 1. Advent. Mein Ehemann veranstaltete immer riskantere akrobatische Übungen, um unseren Tannenbaum für die Weihnachtszeit mit der Beleuchtung zu versehen.

Eines Tages reichte keine Leiter mehr. Pfiffig ausgedachte Schmuckhilfen in Form von langen Gestängen bewährten sich, brachten jedoch nach abermals vier Jahren keine Lösung, um die Lichter auf dem Wipfel zu platzieren. So musste unsere Tanne auf ihren Lichterglanz verzichten, der nun andere Gewächse unseres Vorgartens zierte. Doch wunderschön anzusehen waren die schneebedeckten Zweige, durch den Lichterschein, indirekt beleuchtet. Ein Balsam für die Seele in der dunklen Jahreszeit.

Unser Tannenbaum, der nun fast zwei Meter über das Dach ragte, strahlte in seiner Schönheit in jeder Jahreszeit auch ohne Kerzen für mich. In den Frühlings- und Sommermonaten war er Wohnstatt für Rotschwänzchen und Hänfling, ein Schattenspender für unsere Huskys an heißen Sommertagen.

Die Enkel freuten sich, wenn sie im Frühjahr dem Baum "beim Wachsen helfen" konnten. Hingebungsvoll zupften sie den bräunlichen Schutz des aufspringenden Maigrüns von den Spitzen.

2002, im Wonnemonat Mai, trug die Tanne noch einmal einen ganz besonders originellen Schmuck. Unsere Töchter verzierten sie mit silbernen Schleifen und überraschten uns mit dem Silberglanz des Baumes zum Hochzeitsjubiläum.

Am Heiligen Abend

Ein stattlicher Wuchs von neun Metern war erreicht. Im Wald nichts besonderes für eine Tanne. Doch in unmittelbarer Treppennähe an unserem Haus mussten immer wieder starke Äste weichen. Kann der Baum noch ein Jahr stehen bleiben? Ein Entschluss musste gefasst werden.

Eine wunderschöne Tanne, von Bürgern des Ortes gesponsert, schmückt traditionell den Kirchen-Innenraum in unserem kleinen Dorf zum Krippenspiel am Heiligen Abend. Ein Trüppchen von Männern fällt jeweils einen besonders schönen Baum als Christbaum und richtet ihn in der Kirche auf. Kunstvolle Strohsterne, die äußerst geschickte Hände angefertigt haben, lassen den Baum - angestrahlt von hundert Kerzen - zur Weihnacht in märchenhafter Pracht leuchten.

Unserem Tannenbaum wurde diese Ehre 2012 zuteil. Im hellen Glanz der Lichter und Sterne war er eine Augenweide für alle, die zur Christmesse kamen.

Roter Milan

Fotos und Filme bewahren für uns den Anblick der Tanne. Doch ich wollte mehr für mich, für alle, denen unser Baum ans Herz gewachsen war. Die "Parkwelten" in Meiningen offenbarten die Lösung. Ich lernte den Holzbildhauer Christoph Weisheit kennen, war beeindruckt von seiner Handwerkskunst. Lächelnd erklärte er, dass er gern seine Kunst unter Beweis stellt - wenn er denn keine Eule gestalten soll, da er diesen Vogel so oft schon erschaffen musste. Neue Herausforderungen wollte Christoph liebend gern annehmen. Und er tat es: Die Skulptur eines Roten Milans, dessen scharfer Blick auf unseren Hausberg, die Diesburg, gerichtet ist, vervollkommnet seit Januar 2013 den verbliebenen Stammrest der Tanne.

Unser Tannenbaum, der viele glückliche Jahre den Eingang des Hauses zierte, der unsere Töchter sah, als ihr Brautzug hier begann, und die Huskys beim rasanten Start mit dem Hundeschlitten - er lebt nicht nur in der Erinnerung für uns weiter.

Der weltweite Siegeszug des Weihnachtsbaumes begann mit Prinzessin Adelheid

Mit verschiedenstem Schmuckwerk, jedoch immer mit Lichtern bestückt, wird im Advent ein Tannenbaum aufgestellt. Zum Weihnachtsfest ziert er die Stuben hierzulande und gibt zur Christmesse dem Krippenspiel in den Kirchen einen märchenhaften Glanz. Dieser Weihnachtsbrauch, der im 18. Jahrhundert entstand, verbreitete sich im 19. Jahrhundert von Deutschland aus über die ganze Welt.

Mit Sicherheit haben große deutsche Dichter, die dem Weihnachtsbaum in ihren Werken einen Platz einräumten, beachtlichen Anteil daran. In den "Leiden des jungen Werther" von Goethe versetzt der aufgeputzte Baum 1774, mit Wachslichtern und Zuckerwerk bestückt, die Anwesenden in paradiesisches Entzücken. Der immergrüne Baum dürfte damit eine der ersten Erwähnungen in der Literatur erfahren haben. Seit Mitte des19. Jahrhundert wurde der Tannebaum selbst Gegenstand in Liedern und literarischen Werken. Das Weihnachtslied "O Tannebaum" ist ebenso wie die Geschichte von Hans Christian Andersen "Der Tannenbaum" weithin bekannt.

Adelheid von Sachsen-Meiningen, die 1818 nach England reiste, um den Herzog von Clarence zu heiraten, ließ den Weihnachtsbaum auf den britischen Inseln heimisch werden. Sie dürfte damit den Siegeszug des Weihnachtsbaumes in aller Welt eingeläutet haben. Auf dem Petersplatz in der Vatikanstadt wurde erstmals 1982 ein Weihnachtsbaum aufgestellt. In diesem Jahr bestimmt eine 20 Meter hohe Fichte aus dem Bayerischen Wald in Grenznähe zum Böhmerwald das Blickfeld vor dem Petersdom. Ob an Fichte, Kiefer oder Tanne -am 24. Dezember werden in vielen deutschen "guten Stuben" die Lichter am Weihnachtsbaum angezündet und werden wie im Weihnachtslied verkünden; "Überall, überall soll Friede sein".