Meiningen-Unterharles "So schön ist es mal in Henneberg gewesen"

Antje Kanzler

Noch sind die Bagger nicht angerückt, die Wälder nicht gerodet, die Felder nicht aufgegraben. Doch der Südlink durch Südthüringen wird jeden Tag wahrscheinlicher. Höchste Zeit also für Protestaktionen mit überregionaler Ausstrahlung, meint man nicht nur in Henneberg.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Meiningen-Unterharles - So nah in Kontakt wie im neuen Meininger Ortsteil Unterharles wird der gefürchtete Südlink hoffentlich nur wenigen Ansiedlungen kommen. "Entweder geht es dort durch die Vorgärten oder es müssen Bäume gerodet werden", beschreibt Meiningens Bürgermeister Fabian Giesder das beklemmende Szenario für die Unterharleser. Aber auch in den Meininger Ortsteilen Herpf, Henneberg und Einödhausen sowie dem künftigen Ortsteil Stepfershausen könnte die Stromtrasse, deren Folgen sich momentan nur erahnen lassen, gefährlich nah dran sein an der Wohnbebauung. Ein letztes Anhörungsverfahren, das am 24. Juni endet, bietet noch einmal allen Anliegern und Betroffenen Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Reiner Hoßfeld, der bisherige Bürgermeister von Henneberg, Einödhausen und Unterharles und jetzige Ortsteilbürgermeister, appelliert deshalb an alle, diese letzte Chance einer öffentlichen Beteiligung nicht verstreichen zu lassen, die Pläne nicht einfach hinzunehmen, sondern sich zu wehren. "Das sind wir den künftigen Generationen schuldig", gibt er zu bedenken. Auch wenn seine Hoffnung mit jedem Tag schwindet, dass die Stromtrasse noch abgewendet werden kann, die Windstrom von der Küste in Schleswig Holstein nach Bayern und Baden Württemberg liefern soll.

Öffentliche Beteiligung

Die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Südlink ist in die zweite und entscheidende Runde gegangen. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) führt eine vertiefende Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung durch, in der jedermann seine Bedenken vorbringen kann. Anschließend soll verbindlich über die Trasse entschieden werden. Noch steht der Trassenverlauf nicht endgültig fest. Es geht darum, fundiert darzustellen, weshalb die beiden Trassenvarianten durch den Landkreis mehr Nachteile als Vorzüge beinhalten.

Die öffentliche Auslegung der Unterlagen findet bis Freitag, 24. Mai, im Landratsamt des Wartburgkreises in Bad Salzungen, Erzberger Allee 14, Raum 216, Mo, Di, Do und Fr 9-12, Do 13-18 Uhr, statt. Die Einwendungsfrist endet am 24. Juni. Die Bundesnetzagentur lässt nur eine öffentliche Auslegung im Wartburgkreis und in den Außenstellen der BNetzA zu.

Im Internet können die Planungsunterlagen bis 24. Mai eingesehen und kommentiert werden unter: www.netzausbau.de

Nur Stellungnahmen, die bis 24. Juni eintreffen, werden im weiteren Verfahren einbezogen. Die Bundesnetzagentur lädt auch nur die Bürger, die Stellungnahmen abgegeben haben, zum Erörterungstermin ein.

Wer direkt mit den Vorhabenträgern in Kontakt treten möchte, hat bei einem Infomarkt in Schmalkalden, Ortsteil Wernshausen, am 14. Mai, 16 bis 19 Uhr, Gelegenheit: im Bürgerhaus Werra-Aue, Werraweg 1-3.

Die Planungsunterlagen können alle Bürger auch im Landratsamt in Meiningen, Obertshäuser Platz 1, Haus 4, Raum 107, einsehen: Mo, Di, Fr 8.30-12 Uhr, Do 8.30-12 Uhr und 13-17.30 Uhr. Mitarbeiter des Landratsamts unterstützen bei der Orientierung in den Unterlagen. Das Landratsamt stellt einen Online-Zugang zur Bundesnetzagentur zur Verfügung, damit in Meiningen die Anregungen direkt auf der Internetseite der Bundesnetzagentur abgegeben werden können. Auf Wunsch wird auch beim Schreiben unterstützt.

Alle Argumente, die aus Bürgersicht für die Schutzbedürfnisse nicht akzeptabel sind, etwa im Hinblick auf Gesundheit, Natur, Artenvielfalt, Land-, Forstwirtschaft, Tourismus und Landschaftsbild können in Stellungnahmen formuliert werden.

Mit einem Fackelprotest am Heiligen Berg hatten die Henneberger ihre Ablehnung gezeigt. Trotzdem hätte sich Reiner Hoßfeld in den vergangenen Monaten bereits mehr Unterstützung gewünscht von anderen, die den Südlink ablehnen, aber ihre Kritik nicht oder nicht laut genug formulieren. Als Einzelkämpfer oder kleine Gruppe wird man nicht wahrgenommen. Deshalb kommt es so darauf an, sich zum gemeinsamen Protest zu formieren. So, wie das im Werratal und andernorts schon praktiziert wird. Zu viele Betroffene zucken nur entmutigt und hilflos mit den Schultern, weil sie glauben, sowieso nichts ausrichten zu können. Doch wer nicht kämpft, hat bekanntlich schon verloren.

Und gute Argumente gibt es schließlich zuhauf: "Man weiß nicht, welche gesundheitlichen Auswirkungen das Ganze haben wird. Das ist bis heute nicht geklärt", schüttelt Reiner Hoßfeld mit dem Kopf über so viel Verantwortungslosigkeit. "Ich verurteile es, dass man diese Starkstromtrasse baut, obwohl man nichts über die Folgen weiß. Und dann bleibt ja auch noch die Frage, ob sie überhaupt einen Effekt bringt. So viele Windkraftanlagen werden abgeschaltet, weil sie zu viel Strom produzieren. Die Zeit ist reif dafür, nachzudenken über regionale Lösungen für die Stromversorgung, über dezentrale Energieerzeugung. Es ist und bleibt doch eine Transitstrecke. Wir haben da gar nichts davon. Aber wir bezahlen es mit unserer Landschaft, unserem Grund und Boden und vielleicht auch mit unserer Gesundheit!", beklagt der Ortsteilbürgermeister.

Kommt der Südlink auf der aktuellen Vorzugstrasse, dann sind die Dörfer Henneberg, Einödhausen und Unterharles nicht mehr dieselben. Darüber ist sich Reiner Hoßfeld im Klaren. "Die geplante Trasse gehrt in allen drei Ortsteilen relativ nahe an den Gebäuden vorbei", weiß der Ortsteilbürgermeister. Wo es für die Stromleitung wegen der topografischen Bedingungen nicht weitergeht, etwa an den bewaldeten Steilhängen südwestlich von Henneberg, sprechen die Planungen zynisch von einer "technischen Engstelle" und schlagen einen Bogen, der die Trasse nun direkt an der Bebauung vorbeiführt. Reiner Hoßfeld kann - nicht ohne Sarkasmus - allen Bewohnern der Region nur empfehlen, den Frühling noch mal für einen Spaziergang in den Hügeln und Tälern rund um die Henneburg zu nutzen. "Die Leute sollten sich den Trassenverlauf vor Ort anschauen, die noch intakte Natur genießen und Erinnerungsbilder machen. Wenn das wirklich gebaut wird, was da geplant ist, dann ist unsere Heimat nicht mehr wiederzuerkennen. Dann sieht es nie wieder so aus wie jetzt. Diese Trasse mit allem, was dazu gehört - die Kabeltunnel mit Auffahrten und baulichen Anlagen - , wird unsere Landschaft verschandeln und die Natur zerstören. Die Leute können dann ihren Kindern und Enkeln die Fotos zeigen und sagen: So schön ist es mal gewesen in Henneberg."

Doch noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Darüber ist er sich mit den Ortsteilräten, mit dem Meininger Bürgermeister und auch den Stadträten einig. Innerhalb der Anhörungsfrist, möglichst noch im Mai, soll dort, wo die Einschnitte am dramatischsten sein würden, in Unterharles, eine Protestaktion starten. Eine gut organisierte mit großer Beteiligung und öffentlicher Aufmerksamkeit schwebt den Initiatoren vor. "Wir müssen so lange, wie die Anhörungszeit noch läuft, zeigen, dass wir das nicht kampflos hinnehmen. Der Südlink bedeutet einen massiven Verlust an Lebensqualität", kritisiert Fabian Giesder und betont, dass gleich mehrere Meininger Ortsteile massiv betroffen sein werden. "Die Grundstücke verlieren an Wert, wenn die Trasse über die Vorgärten führt. Das ist eine kalte Enteignung. Andernfalls braucht es wenigstens eine Kompensation für die Betroffenen. Man müsste die Leute doch wenigstens entschädigen dafür! Das ist ein Ausverkauf des Ostens!", ärgert sich der Bürgermeister.

Wie auch die anderen Südlink-Gegner der Region stört er sich besonders daran, dass der Erdkabelkorridor nicht nur alles andere als geradlinig verläuft, sondern in den Osten verschoben worden sein soll, weil man da wegen der Besiedlungsdichte von weniger Widerstand ausgeht. Gerüchteweise auch deshalb, weil die Trasse sonst durch den Wahlkreis eines hessischen Landespolitikers geführt hätte ... Einige Gründe mehr, nun erst recht Widerstand zu leisten. "Der Osten wird immer mehr abgehängt", macht Fabian Giesder seinem Ärger Luft. "Das kann nicht sein!"

Und weil das nicht so sein kann, hat auch der Meininger Stadtrat in seiner jüngsten Sitzung am Dienstag vergangener Woche einstimmig beschlossen, dass die Stadt Meiningen Mitglied im Verein "Thüringer gegen den Südlink" wird.

Öffentlich soll der gemeinsame Protest der Region also demnächst in Unterharles gezeigt werden. Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht. Des Weiteren planen die Südlink-Gegner, allen voran der Verein Thüringer gegen Südlink, zur Sommersonnenwende am 21. Juni noch eine richtig große Aktion: eine Lichterkette quer durch Deutschland, entlang der 700 bis 800 Kilometer langen unheilvollen Trasse. Damit auch der Letzte merkt, dass der Osten doch nicht alles widerstandslos hinnimmt.

Bilder