Meiningen Nach Ramelow-Vorstoß: In Meiningen überwiegt die Skepsis

Die von Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) ins Gespräch gebrachte weitgehende Abschaffung der Corona-Auflagen im Freistaat löst in Meiningen keine große Begeisterung aus. Die Skepsis überwiegt.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Meiningen - Landrätin Peggy Greiser (parteilos) findet auf Anfrage von Meininger Tageblatt deutliche Worte: "Es braucht weiterhin klare Leitplanken! Gerade die Abstandsregelung ist in der gegenwärtigen Lage unabdingbar und auch bei Unterschreitung dessen, halte ich die Verpflichtung, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, für wichtig." Des Weiteren sei die Frage nach möglichen Ahndungen bei Fehlverhalten und vorsätzlicher Gefährdung anderer zu beantworten. "Ich halte daher den Vorstoß Ramelows zum jetzigen Zeitpunkt für ein unglückliches Signal. Damit wird der Lockerungs-Wettbewerb unter den Bundesländern wieder befeuert und das, obwohl wir noch nicht mal wissen, wie sich die jüngsten Entscheidungen in den nächsten Wochen auswirken." Zudem habe man in Thüringen zwei Hotspots und weitere Infektionsherde in der unmittelbaren Nachbarschaft. "An der Gefährlichkeit des Virus hat sich nichts geändert, es gibt weiterhin kein wirksames Medikament und keinen Impfstoff - auch in dieser Hinsicht könnten die Worte des Ministerpräsidenten in der Bevölkerung falsch aufgenommen werden. Es kann nicht sein, dass wir in Thüringen jetzt unsere mühsam erarbeiteten Erfolge auf Druck von Aluhutträgern und Populisten gefährden." Mit derartigen Maßnahmen setze man die Bevölkerung einer unnötigen Gefahr aus. Es müsse weiter Aufgabe der Politik sein, eine Verordnung auf den Weg zu bringen, um einen Regelungs-Flickenteppich in Thüringen zu verhindern, fordert die Landrätin.

Meiningens Bürgermeister Fabian Giesder (SPD) sieht das ähnlich. "Das schlechte Handwerk setzt sich fort", kritisiert er den Ministerpräsidenten. Es sei kein besonders guter Stil, sich vor einer Debatte innerhalb der Regierungskoalition und mit den Landkreisen derart öffentlich zu äußern. "Das ist wirklich ärgerlich, denn die Verbreitung des Virus lässt sich nicht per Verordnung beenden." Grundsätzlich ist Giesder aber durchaus der Meinung, dass das Infektionsgeschehen im Landkreis weitere Lockerungen möglich macht. Als Beispiel nennt er die von Meiningen geplante schrittweise Öffnung der Kindertagesstätten für Sprösslinge aller Familien. "Wir brauchen dafür stabile Verhältnisse." Nichts wäre schlimmer, als Lockerungen wegen stark steigender Infektionszahlen wieder zurücknehmen zu müssen. "Die Regeln des Robert-Koch-Instituts gelten weiter. Da kann man nicht einfach den Stöpsel ziehen." Fabian Giesder hält daher, wie die Landrätin und Bürgermeister-Kollegen, "landesweite Leitplanken weiter für erforderlich, um das Infektionsgeschehen überschaubar und nachvollziehbar zu machen". Gebe man alles frei, fürchte er, dass die Kluft zwischen den Schwachen, die sich weiter zurückziehen, und den Arglosen größer werde. "Abstand zu halten und Kontakte zu reduzieren, ist weiter das Gebot der Stunde." Allein der Appell an die persönliche Verantwortung reiche nicht aus. "Politik muss klug abwägen, denn an großen Schäden durch einen erneuten Lockdown kann niemand ein Interesse haben."

Der Meininger CDU-Landtagsabgeordnete Michael Heym begrüßt im Gespräch mit Meininger Tageblatt den Vorschlag Ramelows im Grundsatz. "Angesichts der aktuellen Corona-Hotspots im Freistaat ist das allerdings sehr mutig." Dies mache deutlich, wie sensibel man mit dem Thema umgehen müsse. Allerdings seien einige Maßnahmen für die Menschen nicht wirklich nachvollziehbar. Und genau das gefährde die Akzeptanz anderer. "Wenn ich im Baumarkt erst den Einkaufswagen bis zum Eingang fahre, wo dann der Griff desinfiziert wird, kann es längst zu spät sein", nennt er ein Beispiel. Viele Bereiche des öffentlichen Lebens bräuchten jedoch ein Stück weit Normalität zurück. "Familien belastet das enorm." Doch auch die Wirtschaft und vor allem die Gastronomie müssten wieder in Gang kommen können, um langfristige Schäden zu vermeiden. "Sehr wichtig ist dabei, dass alle sehr diszipliniert sind und ihre Eigenverantwortung aktiv wahrnehmen, um eine zweite Infektionswelle ausschließen zu können." Den Fokus müsse man daher jetzt auf alle Risikobereiche, wie Seniorenheime und das Gesundheitswesen, legen. "Dann haben wir eine Chance."

Ansgar Haag, Intendant des Meininger Staatstheaters, begrüßt die Lockerung des Lockdowns. Nur gibt er zu bedenken, dass es für das Theater am wichtigsten sei, "dass wir möglichst frei von Einschränkungen den Spielbetrieb ab September wieder aufnehmen können". Eine zu frühe Lockerung kann seiner Meinung nach "solche Vorfälle wie in Hildburghausen verstärken" und damit eine Steigerung der Infektionsrate bewirken. Das könne das Ziel einer geordneten neuen Spielzeit gefährden.

Linke-Kreischef Patrick Beier nimmt auch als Mitglied des Thüringer Landtages Stellung: Das Ziel der Landesregierung werde sein, in dieser Woche im Kabinett Maßnahmen zu beschließen, wie man die Sicherheit der Bürger bewahren und gleichzeitig die Maßnahmen des Lockdowns lockern könne, "um vielen Menschen etwas Alltag zurückzugeben". Das heiße jedoch nicht, dass man "jetzt verantwortungslos handeln" könne. Im Gegenzug steige mit mehr Normalität im Alltag auch die Verantwortung eines jeden Einzelnen. "Grundsätzlich rate ich allen Bürgerinnen und Bürgern, sich mit gesundem Menschenverstand an die Hygienevorgaben zu halten", formulierte Beier abschließend.

Superintendentin Beate Marwede versteht die angekündigte Aufhebung des Lockdowns durchaus nicht als Rückkehr zum früheren Alltag: "Der Ministerpräsident gibt nur die Verantwortung für Corona-Maßnahmen an die Landkreise weiter. Es ist fatal, dass manche Leute das jetzt so deuten, als ob alles wieder geöffnet würde. Das ist ja nicht so!", betont sie. "Bei kirchlichen Angelegenheiten versuchen wir, einen Konsens zu finden, und beachten dabei, was der Landkreis uns vorgibt. Möglich sind im Moment im Wesentlichen Gottesdienste und gottesdienstähnliche Veranstaltungen sowie Sitzungen, um unseren Pflichten als Körperschaft des öffentlichen Rechts nachzukommen. Dabei ist es für uns ganz wichtig, auch weiterhin die Abstandsregeln einzuhalten", stellt Beate Marwede klar. Die jüngsten Neuinfektionen an verschiedenen Orten des Landes hätten gezeigt, "dass wir insgesamt vorsichtig bleiben müssen. Wir werden das im kirchlichen Bereich weiter beachten. Es wäre doch sehr bitter, wenn wir durch Leichtfertigkeit zu einem Corona-Hotspot würden. Wir wollen wieder Gottesdienste feiern, aber wir müssen dann auch verstärkt aufeinander achten."

Christina Albrecht , Leiterin der Regelschule Am Kiliansberg, sieht die Sicherheit der Thüringer gefährdet: "Ich bin der Meinung, die Sicherheit jedes Einzelnen muss im Vordergrund stehen. Jeder muss dafür die Verantwortung übernehmen." Letztlich ginge es dabei immer um die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung. "Inwieweit die Verantwortung vom Einzelnen wahrgenommen wird, wird sich zeigen", so Albrecht weiter. Würde Thüringen die Corona-Beschränkungen lockern, wird der Rektorin zufolge die Verantwortung an die Betroffenen, also an alle Thüringer, übergeben. "Aber sind wir in der Lage, diese zu übernehmen?"

Der Schulleiter des Henfling-Gymnasiums Meiningen, Olaf Petschauer , hält eine Aufhebung des Lockdowns für verfrüht: "Wir können uns das aus jetziger Sicht an unserer Schule nicht vorstellen." Dabei bringt er die Frage ins Spiel, ob man die Einschränkungen an dem Gymnasium dann lockern muss oder kann . Petschauer zufolge führt das Aufheben der Maßnahmen zu einem unkalkulierbaren Risiko, das er nicht eingehen wird: "Das Infektionsrisiko wäre an einer Schule, wo sich über 100 Schüler begegnen, zu hoch." Er plädiert dagegen für mehr Vorlaufzeit, in der sich die Schüler an die Maßnahmen gewöhnen können. "Gebote brauchen Zeit, bis sie verinnerlicht werden. Und diese Zeit war bis hierher zu kurz. Wir können von Kindern nicht erwarten, dass sie rational Dinge umsetzen, die man ihnen sagt. Das geht nur durch Wiederholung, Vormachen und Ermahnung." Dieser Automatisierungsprozess sei aktuell allerdings noch in vollem Gange; manche Schüler seien erst in der kommenden Woche zum ersten Mal nach der Corona-Pause wieder im Schulgebäude unterwegs. Am Anfang gebe es für die "Neulinge" Eingangskontrollen, aber diese könnten lediglich eine gewisse Zeit stattfinden. Im Allgemeinen tragen laut Petschauer die Schüler zwar Masken und halten Abstand, "aber wir Lehrer müssen noch regulierend eingreifen." Im nächsten Schuljahr könne er sich allerdings eine Lockerung vorstellen. rwm/any/sig/mk

Autor

Bilder