Meiningen "Konsumieren Sie das Thema dosiert"

Auch das Meininger Bekleidungsgeschäft Mister und Lady auf dem Markt hat zur Vorbeugung gegen Corona seine Pforten geschlossen. Die positive Nachricht dabei: Während des Fototermins schien die Sonne und der Himmel zeigte sich azurblau strahlend. Psychologen empfehlen, bei aller Lebenssorge auch die andere, die sprichwörtliche Seite jeder Medaille, die heitere und freudige, nicht außer acht zu lassen. Foto: Kerstin Hädicke Quelle: Unbekannt

Corona und Angst. Wie kann man die Ruhe bewahren und eine Ansteckung mit der Hysterie um den vermeintlichen "neuen Todesboten" vermeiden? Wie sachlich und Hype-frei die Situation bewerten? Psychologische Fachleute geben Rat.

 
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Meiningen - Für den Besucherverkehr geschlossen hat nun auch die Psychosoziale Beratungsstelle für suchtkranke und suchtgefährdete Menschen in der Meininger Neu-Ulmer Straße 19 - voraussichtlich bis zum 19. April. Ein aktueller Erlass des Landes Thüringen mit Unterschrift von Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu Beschränkungen und zum Verbot von Kontakten ist Grundlage der Reaktion. Die Beratung der Einrichtung unter dem Dach der Sozialwerk Meiningen gGmbH fällt deswegen jedoch nicht aus, wie Leiter Freddy Nebl auf Anfrage dem Meininger Tageblatt bestätigt. Telefonisch sind seine Mitarbeiter montags bis freitags 8 bis 16 Uhr immer erreichbar. "Die Kommunikationswege funktionieren außerdem über E-Mail", so Freddy Nebl weiter.

Corona und Angst

Schon vor der Schließung der Türen in der ehemaligen Handwerkskammer, so Nebl rückblickend, hatten Ratsuchende nachgefragt, ob die bereits festgelegten Termine bestehen bleiben. "Corona und Angst - das ist natürlich ein aktuelles Thema, da es das Leben jedes Einzelnen betrifft. Wir haben es mit sehr ängstlichen Reaktionen zu tun von Leuten, die ihre Termine bei uns gleich abgesagt haben und jenen, denen jegliches Verständnis für die Einschränkungen fehlt. Und mit Klienten, die aus Eigenverantwortung sich und andere schützen wollen und die Beschränkungen begrüßen. Also die ganze Bandbreite menschlicher Reaktionen, Charakter und Einstellungen, die wir auch sonst im normalen Leben antreffen."

Die Psychosoziale Beratungsstelle bietet nun an, die eingetakteten Sitzungen telefonisch durchzuführen. "Unsere Klienten werden nicht allein gelassen. Wir rufen übrigens auch bei jenen an, die allein leben. Wir fragen, wie es ihnen geht. Ob sie Hilfe benötigen."

Kontakte in einer Zeit der Abriegelung, der verminderten persönlichen Begegnungen zu halten, sei jedoch wichtiger denn je. Telefonieren Sie mehr, mailen Sie, nutzen Sie Whats-App. "Und lassen Sie Nüchternheit einziehen in die Bewertung der Lage", rät der Fachmann weiter - und Vertrauen zu Fachleuten aus Medizin und Wirtschaft. "Konsumieren Sie das Thema dosiert." Man sollte seine eigene, derzeit doch so veränderte Lebensweise "im Sinne der Gesunderhaltung" anpassen. "Auch im Sinne der Prävention sollte man jetzt besonders auf seine Ernährung, seine Bewegung achten." Ein bisschen Sport könne man auch zu Hause treiben. Kniebeuge, Rumpfkreisen, auf der Stelle hüpfen, alles Dinge, die die Zusatzzeit, die geschenkte Freizeit - und so könnte man es positiv sehen bei allen negativen Informationen - derzeit zulasse. "Man sollt auch die Hygiene ernst nehmen. Gründliches, regelmäßiges Händewaschen - da hat man schon einen guten Beitrag geleistet für die eigene Gesundheit. Man muss sich da nicht verrückt machen, wenn man keine fünf Liter Desinfektionsmittel zu Hause hat. Desinfektionsmittel, das womöglich auch gar nicht hilft für den neuen Corona-Virus."

Verschiedene Reaktionen auf die Corona-Virus-Entwicklung trafen ebenso in der Psychotherapeutischen Praxis von Manuela Fuß, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, ein. Die Bandbreite reichte von Angst und Panik über Unverständnis bis hin zu Gelassenheit. "Natürlich ist Corona auch in meiner Praxis vermehrt Thema. Allerdings finden meine Patienten dann zumeist zurück zu ihren eigentlichen Problemen, derentwegen sie bei mir in Therapie sind." Viele ihrer Patienten im Alter zwischen 20 und 65 Jahren raten: Man sollte seine Einstellungen zu Corona relativieren - auch mit Blick auf die alle Jahre wiederkehrende Influenza mit ihren zahlreichen Todesfällen.

"Auf jeden Fall müssen wir die derzeitige Lage ernst nehmen. So eine Situation hatten wir ja noch nie. Und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass es bereits zahlreiche Todesfälle wegen Corona gibt. Mein Rat: Jeder sollte sich an die Regeln, an die Anweisungen halten, Ansammlungen von Menschen vermeiden." Um die eigene Angst, die mit Blick auf die beständige Berichterstattung in allen sozialen Medien ohne Zweifel schnell größer werden und sich verfestigen könne, nicht über Gebühr zuzulassen, schwört die Ärztliche Psychotherapeutin für Tiefenpsychologie auf Ablenkung.

"Machen Sie es sich schön zu Hause. Holen Sie sich Blumen ins Zimmer. Achten Sie auf die Natur, auf die Veränderungen, die jetzt täglich zu spüren sind. Wer einen Garten hat, sollte sich dort aufhalten. Licht tut gut. Das Singen der Vögel kann ebenso positive Signale senden."

Jeder sagt derzeit "Bleiben Sie gesund". Das habe man so vor Corona selten gesagt. Wichtig sei nun in Zeiten des eingeschränkten gesellschaftlichen Lebens, seinen Optimismus nicht zu verlieren. "Wir müssen uns der neuen Situation stellen. Unsere bisherigen Probleme treten in den Hintergrund. Jeder wird merken: Das, was für uns bisher selbstverständlich war wie Spazierengehen oder Essengehen, ist es auf einmal nicht mehr. So wird unsere eigene Kreativität jetzt umso mehr gefordert."

Zwei Seiten der Medaille

Wie jede Medaille habe deshalb auch die neue Lebenslage ihre zwei Seiten. Neben der ängstlichen, ungewissen eine entschleunigte. Man ist gezwungen, sein eigenes Lebenstempo herunterzufahren. Michaela Fuß: "Man macht jetzt Dinge, zu denen man vor Corona einfach nicht gekommen ist. Ich habe mir zum Beispiel drei Bücher gekauft für meinen anstehenden Urlaub. Eigentlich wollte ich verreisen. Die Reise ist hinfällig. Also lese ich ..." Und die Ärztin genießt die Zeit miteinander - mit Partner, Kindern, mit der Familie im eigenen Haushalt. Und wer fragt: Wie soll ich die zusätzliche Zeit zu Hause mit den Kindern füllen? Was mache ich, damit mir die sprichwörtliche Decke nicht auf den Kopf fällt? Dem antwortet die Fachfrau: "Holen Sie die Spiele raus! Kochen Sie gemeinsam. Sehen Sie sich wieder einmal einen Märchenfilm an. Jeden Tag nur zu hadern, das hilft ja auch nicht weiter."

Das Beste aus der Situation machen, das eigene "Omm", seine ruhige Mitte finden und nicht gleich bei jedem Husten des Anderen an Corona denken: Das sei ein Lernprozess, den wir angehen sollten, um auch trotz Corona und dem drastisch veränderten Lebenslauf noch liebevoll, nett und ohne Egoismus miteinander umgehen zu können. Ohne Stress in der Stimme und ohne Aggression. Und sei es nur noch am Telefon oder via Internet ...

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