Helmershausen - An Geschichten mangelt es Stefan Krawczyk nicht. Und gerade die eingestreuten Anekdoten während seiner Konzertlesung am Samstag in der Kirche von Helmershausen mit dem bezeichnenden Titel "Das ist nie gewesen" sind es, die scheibchenweise einen Blick freigeben auf das Leben des Liedermachers, Komponisten und Schriftstellers aus Berlin.

Schon beim ersten Lied "Gottes Lachen" nimmt Krawczyk seine Zuhörer für sich ein und mit auf seine Reise durch die Zeit - frisch, ungekünstelt, abwechselnd heiter, dann wieder nachdenklich, mahnend. Den Anspruch, Geschichten erzählen zu können, gibt er ans Publikum weiter. "Jeder kann eigene Geschichten erzählen", ermuntert er und wirft ein, zuviel werde von der Politik vorgegeben. "Heute ist die Zeit, Geschichten zu erzählen, nicht morgen, nicht übermorgen, heute."

Das Akkordeon "108 Jahre alt" begleitet ihn bei "Marie", ein Lied aus der Zeit, als er hoffnungsvoll in der DDR seine Karriere startet und noch kein Berufsverbot hat. Das kommt später, nach seinem Engagement als Bürgerrechtler und Umweltschützer. Fortan darf er nichts Eigenes mehr veröffentlichen. "So wollte ich mit einem Brechtprogramm auftreten. Doch die Zensoren sagten mir: ,Aus ihrem Mund klingt selbst Brecht wie ein Staatsfeind'", verrät Krawczyk. "Anpassen wollte ich mich nicht, so musste ich Dissident werden", meint er mit einem Augenzwinkern zum "Lied des Speichelleckers".

Sein Brechtprogramm führt er schließlich am 9. November 1989 in der Alten Oper in Frankfurt am Main auf - just am Tag des Mauerfalls. Erst gut anderthalb Jahre zuvor war er in den Westen gekommen - gezwungenermaßen, ausgebürgert aus dem Land, in dem Krawczyk doch eigentlich leben wollte. Ein Vierteljahr braucht er, bis er im anderen Deutschland wieder etwas schreiben kann - das Gedicht "Mensch", in dem er akribisch dessen Tagesablauf aneinanderreiht. "In der DDR war alles etwas sinnlicher, meine ich. Als ich das erste Mal am Kurfürstendamm war, das war so eine Reizüberflutung, ich wurde ganz ängstlich", bekennt er offen.

Auch in der Bundesrepublik engagiert er sich für Umweltschutz, "ich wollte nicht immer nur Bürgerrechtler sein". Er macht auf das schädliche FCKW aufmerksam, gibt Interviews, "laut Statistiken erreichte ich etwa acht Millionen Ohren, von denen anschließend 54 brieflich ihr Interesse bekundeten", tut sich mit Künstlern wie Grönemeyer und Jürgens zusammen. "Dann saßen Herbert, Udo und ich bei Rita auf Bude, übergaben ihr unsere Unterschriftenlisten, die legte sie, damit nichts damit passiert, in den Keller", nimmt er in der Lesung Bezug auf ein Treffen mit der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth. 1992 wird die Produktion von FCKW verboten.

Jeder Satz von Krawczyk in der Kirche von Helmershausen ist treffend formuliert, immer humorvoll verpackt, mit einem Schuss Ironie, auf den Punkt gebracht, unverbraucht, keine Stereotype. Vielschichtig sind die Themen, die er, verpackt in Gedichten und Liedern, an den Mann oder die Frau bringen will. "Die Leute sollten sich mehr auf den eigenen Klang besinnen, auf sich selbst", meint er zum Lied über den Klang, denn: Alles andere, wie etwa Kleidung , sei austauschbar. In "Hundeliebe" geht es ihm um die Sprache als Gut - projiziert auf einen Vierbeiner, der eine Henne liebt: Die beiden können sich jedoch nicht verstehen. "Über die Differenzierung unseres Ausdrucks unterscheiden wir uns mit der Sprache von den Tieren", sagt Krawczyk und bricht eine Lanze dafür, sich der eigenen Sprache bewusst zu bleiben. Auch einfache Dinge des täglichen Lebens sind es Krawzcyk wert, darüber zu singen. "Ich liebe braune Soßen. Wer mich einladen möchte: Thüringer Klöße, Rotkraut und braune Soße, ich komme", stellt er dem heiteren Stück "Ode an die Soße" voran. "Niemand hat bislang über die Soße gesungen, also habe ich das übernommen."

Ein kritischer Zeitgenosse bleibt Krawzcyk: Wo er will, meldet er sich zu Wort. Nicht alles am Heute und Jetzt gefällt ihm, "dafür sind wir definitiv nicht auf die Straße gegangen" und trägt mit "Theodor der Schlächter" die Vertonung eines Gedichts des durch seine komische Lyrik bekanntgewordenen Dichters Christian Morgensterns vor.

Sein heutiges Privatleben klammert Krawzcyk nicht aus. Im Berliner Stadtteil Neukölln wohnt er mit seinem zehnjährigen Sohn in einer Einzimmerwohnung, erfahren seine Zuhörer. Von Alltagsproblemen bleiben die beiden nicht ausgenommen - dies zeigt sich beispielsweise beim "Heizkostentango", in dem es um die "fehlende Entscheidungsfreiheit bei der Regulierung der Zimmertemperatur in einer Massenunterkunft" geht.

Als Stefan Krawczyk nach gut anderthalb Stunden sein Programm im Rahmen der vom BUND Thüringen, Stiftung Naturschutz Thüringen, Kirchenkreis Meiningen und der Landeszentrale für politische Bildung organisierten Veranstaltungsreihe "25 Jahre Mauerfall - 25 Jahre Grünes Band" beendet, hat sicher keiner der rund 60 Zuschauer sein Kommen bereut. Und dies, obwohl es in der Kirche mehr als kühl geworden ist und die eigentlich nachfolgende Diskussion daher entfällt.