Ilmenau Wie Rad-Profis durch das Ilmtal

Sarah Busch

Von der Theorie zur Praxis: Die Kinder des Jugendclubs Oase radeln von Ilmenau nach Langewiesen. Im Gepäck haben sie vor allem gute Laune. Freies Wort begleitet die Gruppe auf ihrer Radtour.

 
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Ilmenau - Wie bei einer Aufholjagd bei einem Radrennen kreist ein Kind nach dem anderen auf dem Spielplatz vor dem Jugendclub Oase umher. "Gleich geht es los", ruft ein Junge, ehe er aus dem Windschatten seines Vordermannes tritt. Sie wollen endlich losfahren und bringen ihre Fahrräder in Position: Rad an Rad. Eine Karavane aus buntem Stahl schlängelt sich auf dem Asphalt.

Ferienprogramm

Sommer-Biathlon erwartet Kinder des Jugendclubs Oase am heutigen Freitag. Auf Skiern geht es, ab 10 Uhr, auch ohne Schnee zum Schießstand. Olympiasiegerin Katrin Abel wird Tipps und eine Autogrammstunde geben.

"Kultur macht stark", eine Art Talentcampus, welcher gemeinsam mit der Volkshochschule und der Kreissportjugend veranstaltet wird, startet am Montag um 10 Uhr. Die Kinder spielen Theater, bauen sowie gestalten Stühle und werden den Wald besuchen. Puppenspieler Schmitz begleitet das Programm. Eine telefonische Anmeldung ist notwendig.

Etwa zwanzig Kinder, im Alter von sieben bis 13 Jahren, und mehrere Betreuer, wie Patrick Engelhardt, vom Verein für Sport und erlebnisorientierte integrative Sozialarbeit (VSS) starten eine Radtour. Sie fahren vom Jugendclub Oase in Ilmenau zur Jugendverkehrsschule in Langewiesen und wieder zurück. Dittmar Heyder, Vorsitzender der Verkehrswacht des Ilm-Kreises, begleitet die Gruppe. Auch Freies Wort ist, dank einem Leihrad und der Unterstützung eines Fahrradgeschäfts im Ilmenauer Bahnhof, dabei.

Ungefähr 15 Kilometer liegen vor den Fahranfängern und Radexperten. "Kein Problem, das ist nicht anstrengend", findet Max. Er unternimmt beinahe jedes Wochenende mit seinen Eltern einen Ausflug mit dem Rad. Uff, kommentiert hingegen Noah die Strecke und zieht die Augenbrauen zusammen. Aber er will sein Bestes geben, spannt seine Muskeln an und tritt kraftvoll in die Pedale.

Die ersten Meter legt die Gruppe auf der Ziolkowskistraße zurück. Vorbei am Lebenshilfewerk Ilmenau, einem Supermarkt und einer Grundschule saust die Karavane bergab. Geschlossen geht es auch rechter Hand in den Ziegelhüttenweg, der die Gruppe zu den Ilmenauer Teichen führt. "Da liegt ein Hund in der Hütte", sagt Lana und zeigt auf ein Gehege des Tierparks. Sie hat selbst einen Vierbeiner zu Hause. "Und Zwergkaninchen und eine Katze", berichtet sie. Die Zehnjährige radelt beim Erzählen mit durchschnittlich 14,9 Kilometern pro Stunde, wie ein Fahrtenmesser später anzeigt. Dieses Tempo können nicht alle halten.

Mal stockend, mal im Sprint, um nicht den Anschluss zu verlieren, zieht sich das Feld etwas auseinander. "Aber es wird niemand zurückgelassen", sagt Patrick Engelhardt. Der Sozialarbeiter und seine Kollegen behalten die Kinder im Blick, motivieren sie oder geben Starthilfe. "Wie bei der echten Tour de France. Wir sind das Begleitteam." Die Bilanz des Tages: Ein geplatzter Fahrradschlauch, eine defekte Fahrradkette, eine verlorene Trinkflasche sowie ein verschwundenes Rücklicht, zwei Schrammen am Bein, zwei Packungen Eis und mehr als zwanzig fröhliche Kinder.

Sie sind Teil des Trosses, der sich nun auf dem Ilm-Tal-Radweg befindet. Gesäumt von Wiesen und Feldern zieht sich der ebene Weg durch das Tal nach Langewiesen. Dort verläuft er parallel zur Eisenbahnstraße. Fahrzeuge sind nicht zu sehen, dafür Schmetterlinge. Immer wieder steigen sie vom Wegesrand auf und malen mit ihren gemusterten Flügeln bunte Tupfen in die Landschaft. Sie wirken wie Streckenposten, die Signalpunkte markieren. Gelegentlich ist ein Rattern zu hören. Die Kinder lassen sich ausrollen und sammeln Kraft. Ehe sie die Ilm überqueren. Die Brücke im Rücken, erstreckt sich vor ihnen die ICE-Trasse. Geschlossenen biegen die Kinder rechter Hand zur Jugendverkehrsschule ab. Zeit für eine Verschnaufpause.

Rad-Simulator

Zwei Tage zuvor: Rocko Helms Arm schnellt in die Höhe. Er sitzt auf einem Fahrrad auf dem Hof des Jugendclubs. Die Finger des Neunjährigen bilden eine Faust. Er boxt in die Luft, während ein Freudenschrei aus seiner Kehle dringt. Ganz so, als habe er die Tour de France gewonnen. Rocko Helm hat vielleicht nicht das Gelbe Trikot des französischen Radrennens erhalten, aber die Fahrt auf einem Rad-Simulator gemeistert. Der Junge weiß, in welchen Situationen es im Straßenverkehr brenzlig wird.

"Die Kinder fahren auf einem echten Rad, das sich nicht bewegt, schauen einen Film und müssen im richtigen Augenblick bremsen", erklärt Dittmar Heyder die Funktion des Simulators. Der Bremsweg werde von einem Programm realistisch berechnet. Drücken die Kinder passend den Hebel der Vorderbremse, stoppt der Film. Ein rundes, lächelndes Gesicht ersetzt die Straßen, Gehwege und Zebrastreifen auf dem Monitor. Wird in einer Gefahrensituation zu spät oder gar nicht gebremst, guckt den Radlern ein trauriges Gesicht vom Bildschirm entgegen. "Stark", finden die Kinder und wechseln sich auf dem Sattel ab. Diejenigen, die nicht in die Pedale treten, feuern die anderen an. Oder hüpfen, eine Station weiter, fünf Lichtern auf einem Holzbrett hinterher. "So wird die Reaktionsgeschwindigkeit, der Gleichgewichtssinn und die Koordination trainiert", erläutert der ehemalige Verkehrspolizist. "Für die Älteren gibt‘s auch Matheaufgaben." Die Schulkinder müssen auf das Lichtfeld mit der Rechenlösung springen. Oskar testet sein Reaktionsvermögen, Matheaufgaben sind für ihn noch kein Thema. Der Siebenjährige geht in die Hocke und wartet auf ein Signal vom Bildschirm. Dann hopst er zur Seite und landet auf einem rot-leuchtenden Quadrat. "Ich fahre auch gern Fahrrad", sagt er zwischen zwei Sprüngen. Ehe er sich wieder auf die Lichter konzentriert. Ganzer Körpereinsatz, wie bei Profi-Radsportlern.

Ihre Geschicklichkeit und sicheres Rad fahren testen die Kinder auf dem Ilmenauer Festplatz. Wo normalerweise Schausteller ihr Zelte aufschlagen, bilden Leitkegel nun einen Slalom-Parcour und Hütchen eine Spurgasse. "Wir üben auch das Handsignal beim Abbiegen und das Ducken auf dem Fahrrad", erklärt Dittmar Heyder. Zuerst geht es aber reihum in Schlangenlinien an den weiß-orange-farbenen Pylonen vorbei. Pete macht den Anfang. "Stellt euch einfach vor, das sind Hindernisse", sagt Dittmar Heyder. "Wie Laternen", ruft Eric. Es scheint mehr eine Feststellung als eine Frage zu sein. Der Junge ist der Fünfte in der Reihe hinter Pete. Er wartet, startbereit.

La-Ola-Welle

Im Ziel, dem Jugendclub, werden die Kinder am Ende ihrer Radtour wie Sieger begrüßt. Arm um Arm ragt in die Höhe. Eine La-Ola-Welle bricht sich Bahn. Während die im Innenhof des Jugendclubs Wartenden sich darüber freuen, dass ihre Freunde unfallfrei zurückkehren, sind die Ausflügler erschöpft und zufrieden. Wladimir lässt sich auf eine Bank fallen und erklärt: "Ich bin fertig, aber es war toll!"

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