Waldau Mit dem Jesuskind hat alles begonnen . . .

Die Kirche in Waldau ist etwas Besonderes. Ihr Inneres ist voller Kunst verschiedener Epochen - Romanik, Gotik, Barock, Renaissance. Erst vor wenigen Wochen ist ein neues Bildmotiv an der Empore freigelegt worden.

 
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Waldau - Es ist kalt im alten Gemäuer. Sogar den eigenen Atem kann man in der Waldauer Kirche sehen. Das ist Rolf Möllers Arbeitsplatz - alles andere als gemütlich. Und doch liebt er das, was er tut. Der Restaurator lächelt. "Es ist etwas ganz Besonderes, das, was jahrhundertelang niemand zu Gesicht bekommen hat, als erster zu sehen", versucht er den Reiz in Worte zu fassen. In solchen Momenten vergisst er, dass es um ihn herum alles andere als wohlig warm ist. Obwohl, er hat sich eingerichtet, ein Gerüst in die Kirche gebaut, ihm einen Mantel aus Planen umgehängt. Zwei Heizkörper sorgen in seiner Arbeits-Etage für etwas Wärme. Eine gewisse Temperatur braucht er, um arbeiten zu können. Etwas Wärme brauchen auch der Knochenleim, die Farbe und der Abbeizer, den er zum Freilegen benötigt. Und dennoch ist Möller eingemummelt, trägt Mütze, Jacke, oft auch Handschuhe, aus denen die Fingerkuppen herauslugen. Eben, um das Gefühl für die filigrane Arbeit zu haben. Rolf Möller restauriert zurzeit die nächsten anderthalb Bilder an der ersten Empore der Waldauer Kirche.

Bilderstürmerzeit

Der reformatorische Bildersturm war eine Begleiterscheinung der Reformation im 16. Jahrhundert. Auf Weisung von Theologen und der Obrigkeiten, die die reformatorische Lehre angenommen hatten, wurden Gemälde, Skulpturen, Kirchenfenster und andere Bildwerke mit Darstellungen Christi und der Heiligen sowie weiterer Kirchenschmuck - teilweise auch Kirchenorgeln - aus den Kirchen entfernt, teils verkauft oder beschlagnahmt, zerstört oder beschädigt.

Ein "Bilderkonzert"

Am 3. Advent, 15. Dezember, geben die Brunnenbergmusikanten ab 17 Uhr ein Konzert in der Kirche Waldau. Die Mitglieder des Feuerwehrvereins werden davor und danach für Bratwürste, heiße und kalte Getränke sorgen. Ein Engagement, für das Pfarrer Hecker sehr dankbar ist. Der Gesamterlös soll auch in diesem Jahr wieder für die Sanierung der Bilder gespendet werden.

"Es ist leider wie immer: Wenn‘s kalt wird, restaurieren wir hier in der Kirche Bilder", sagt Pfarrer Markus Heckert. Auch er lächelt, freut sich, dass es trotzdem endlich soweit ist. Alle Fördermittel müssen genehmigt sein, die denkmalschutzrechtliche und kirchenaufsichtliche Genehmigung erteilt - erst dann können die Arbeiten ausgeschrieben und vergeben werden. Das braucht Zeit - und zieht sich weit über die Jahreshälfte hinaus. Seit September arbeitet Möller nun schon, entlockt den Emporen die nächsten beiden Renaissance-Kunstwerke. Schicht für Schicht löst er, tatet sich so Jahrhundert für Jahrhundert in die Vergangenheit, eben bis er im Jahr 1603 gelandet ist. "Damals wurde die Kirche umgebaut - und ich vermute sehr stark, dass die Malerei aus diesem Jahr stammt", sagt er.

Angefangen hat alles in den Jahren 2015 und 2016. Mit dem Jesuskind. Untersuchungspunkte habe er in Angriff genommen, jeweils eine kleine Sequenz freigelegt. Und so stieß Möller auf das Jesuskind. "Damals habe ich nicht geahnt, dass die gesamte Emporen-Fläche bemalt ist", verrät er. Als er‘s schließlich realisierte, die Farbe, die bis in die letzte Ecke aufgetragen war, entdeckte, war er überrascht und beeindruckt.

Und dann begann die Arbeit, die viel Geduld erfordert. Das erste Renaissance-Bild war befreit aus den Farbschichten der vergangenen Jahrhunderte. Es zeigt die Beschneidung Jesu. "Ein sensationeller Fund!" Solche Emporenmalerei sei selten - gerade auch im Hinblick auf die Bilderstürmerzeit. Vor der Reformation haben die Pfarrer mit Hilfe von Malerei die Bibel erklärt. Nach der Reformation hieß es: Das Wort allein muss wirken. Bilder hingegen lenken ab. "Damit niemand mehr die Bilder in den Kirchen anschauen konnte, wurden sie weggenommen, übermalt, zerkratzt", weiß Pfarrer Heckert. So sei auch die Empore in der Waldauer Kirche neu bemalt und gestaltet worden.

Gut, dass es Fachleute wie Rolf Möller gibt. Er versteht sein Handwerk, holt auch unter schwierigsten Bedingungen Verborgenes ans Tageslicht. Und schwierig sind die Gegebenheiten in der Waldauer Kirche, denn hier sei eine Renaissance-Malerei, eine Kreidegrundfassung im späteren Barock mit einer neuerlich Kreidegrundfassung übermalt worden. "Das eine vom anderen zu unterscheiden und zu lösen, das ist kompliziert", erklärt er.

Doch es ist nicht nur die eine Schicht, die er vom Originalbild unterscheiden und lösen muss. "Wir haben es hier mit mindestens vier Farbschichten zu tun", sagt Möller. Denn: In jedem Jahrhundert haben die Menschen drübergemalt. Doch Möller wäre nicht Möller, wenn er nicht auch etwas Gutes in dieser komplizierten Sachlage sehen würde: Die darüberliegenden Farbschichten haben das Originalbild gewissermaßen konserviert. Und so hat er sich mit chemischen Mittelchen, viel Geduld, dem passenden Arbeitsrhythmus und der nötigen Erfahrung Schicht für Schicht vorgearbeitet. Seine Hilfsmittel sind Lupe und Skalpell. Und schließlich die filigrane Strichtechnik, in der er die Fehlstellen, die in den freigelegten Bildern sichtbar sind, ergänzt. Allerdings müsse die Retusche jederzeit wieder abzulösen sein, ohne das Original zu zerstören.

Voilà: Viereinhalb Bilder sind bis heute zum Vorschein gekommen - die Beschneidung Jesu, die Heiligen drei Könige, der Kindermord in Bethlehem, die Taufe Jesu und die Versuchung Jesu. Bei letzterer fehlt noch ein ganzes Stück. Der Teufel aber ist gut zu erkennen - obwohl sein Gesicht zerkratzt ist. "Das passt auch in die Bilderstümerzeit", sagt Heckert, der in jedem Bild mehrere Geschichten entdeckt hat - und sich über das dritte Bild "wundert". Weil‘s irgendwie aus der Reihe fällt.

Noch eine Woche wird Möller in der Kirche zu Waldau beschäftigt sein. Dann geht er in die Winterpause, weil‘s für seine Kunst einfach zu kalt geworden ist. Doch im Frühjahr, im April, kommt er wieder, um weiterzuarbeiten.

Anderthalb bis zwei Bilder möchte die Kirchgemeinde auch künftig jährlich freilegen lassen. Dafür spart sie, dafür schreibt Pfarrer Heckert zig "Bettelbriefe". Denn ein solches Bild zu rekonstruieren kostet. 6000 bis 7000 Euro. Doch das, so sagt Pfarrer Heckert, sei es auf jeden Fall Wert. Schließlich war‘s auch vor vier Jahrhunderten kein Wald-und-Wiesen-Maler, der die Kunstwerke erschaffen hat. Nein, Heckert und Möller vermuten dahinter einen italienischen Künstler.

Und noch etwas vermuten sie, sind sich sogar fast sicher: Noch zig andere Bilder sind in der Kirche zu Waldau versteckt. Klar ist auch: Die Reihenfolge der Motive folgt der Bibel. Doch was als nächstes kommt - das weiß weder der Restaurator noch der Pfarrer. "Mindestens zehn Jahre gibt‘s noch genug zu tun für Herrn Möller", das weiß Pfarrer Heckert. Und die Emporenbilder sind ja längst nicht alles. Auch der große Christopherus, durch den ein Riss geht, soll repariert werden . . .

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