Sie räkelt sich, bewegt sich langsam, lasziv. Ein Schleier nach dem anderen fällt, bis sie nur noch im Büstenhalter auf der Bühne steht. Unten im Publikum sitzt er und schaut ihr zu, ist fasziniert, ja betört. Wahrscheinlich nimmt er sie nach der Show mit, die beiden vergnügen sich, die Tänzerin und der Offizier. Ganz Klischee, aber vielleicht hat es sich tatsächlich so oder ähnlich abgespielt.

Überliefert ist lediglich, dass es eben jener Offizier mit dem Namen Alfred Kiepert war, der Mata Hari im Ersten Weltkrieg ein Angebot neuer Art vermittelt hat: Für den deutschen Nachrichtendienst soll sie als Spionin die Franzosen aushorchen. 20 000 Mark waren das Einstiegshonorar. Und das Geld ist verlockend. Die Holländerin kann nicht widerstehen. Später wird sie vielmehr wegen ihrer Schönheit als Raffinesse in die Geschichte eingehen.

Der 15. Oktober dieses Jahres war Mata Haris hundertster Todestag. Und für Sabine Melchert vom Leipziger "BuchVerlag für die Frau" so interessant, dass sie beginnt, zu recherchieren. "Dabei habe ich gemerkt, dass das Thema wesentlich vielschichtiger ist", sagt sie am Telefon. Melchert versinkt regelrecht in dem, was sie so alles findet über weibliche Spionage. Ihr Plan: "Frauen, die vergessen sind, wieder ins Rampenlicht zu holen. Mata Hari kennt jeder - die anderen eher nicht."

In Hagen Kunze findet Melchert einen Autor, der das Buch schreibt. Klar war von vornherein: Die Liste an Spioninnen ist zu lang, um alle zu porträtieren. "Da mussten einige wegfallen. Olga Benario zum Beispiel, was mich sehr traurig gemacht hat", sagt Sabine Melchert. Zwölf Damen haben es letztlich in die Auswahl geschafft. Darunter Ilse Stöbe, die Stalins Geheimdienst GRU im Zweiten Weltkrieg mehrfach vor dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion gewarnt hat - und am Ende vom Diktator selbst verraten wird. Das kostet sie ihren Kopf.

"Es hat halt nicht immer diesen Glamour, der Mata Hari umgibt", sagt Sabine Melchert. Spionage sei für Frauen ein "knallhartes Geschäft", das sie in der Vergangenheit regelmäßig mit dem Leben bezahlen mussten. Besonders tragisch nennt Melchert die Fälle, in denen Damen nicht aus politischen Gründen, sondern aus Liebe zu einem Mann zur Spionin geworden sind. "Wir haben im Buch versucht, die ganze Bandbreite aufzuzeigen."

Weibliche Spionage ist auch jetzt noch ein hochaktuelles Thema, wenngleich der USB-Stick heute das im Strumpf versteckte Dokument ersetzt. Chelsea Manning soll als IT-Spezialistin bei den US-Streitkräften Videos und Dokumente kopiert und der Website WikiLeaks zugespielt haben. 2010 fliegt sie auf. Oder Anna Chapman, die als Teil eines russischen Spionagerings in den USA verhaftet wurde und als Top-Agentin gilt. Namen, die durch die Presse gegangen und in der Gesellschaft bekannt geworden sind.

Wer etwas über die modernen Spioninnen wissen will, geht den schnellsten Weg: Über eine Suchmaschine im Internet. Die ausgespuckten Websites sind voll von Informationen. Schwieriger hatte es da Autor Hagen Kunze, den Spuren seiner zwölf auserwählten Damen zu folgen. Archive, alte Adressverzeichnisse und Telefonbücher sind seine Quellen. "Es war wirklich nicht leicht, etwas über die Frauen herauszufinden", erinnert sich Sabine Melchert, die den Autor begleitet hat. "Das hat enorm viel Recherchearbeit gekostet."

Klar ist: Zahlreiche Agentinnen haben Legenden um sich gebildet, um einen möglichst großen Teil ihres alten Ichs zu verwischen. Vieles ist nicht nachprüfbar, nicht belegbar. "Deswegen zeigt Hagen Kunze einen Lebensabriss der Spioninnen, der sich interessant liest, aber auch die Dinge benennt, die im Dunkeln bleiben", so Melchert weiter. Aber: "Das Buch bleibt ein Sachbuch, weil die Fakten stimmen. Es ist kein Roman, auch wenn es erzählerisch geschrieben ist."

Die Geschichte von Mata Hari bietet dennoch Stoff für Filme. Die junge Frau lässt sich im Jahr 1915 zur Spionage verführen, auch wenn sich schnell herausstellt, dass sie sich für den diskreten Job nicht eignet. Zu tief steckt sie vermutlich in ihrer Rolle der hübschen Frau, die sich von Männern aushalten lässt. Das färbt ab. Mitten im Krieg behandelt sie die Geheimdienste wie ihre Gönner und versucht, ihren Preis in die Höhe zu treiben. Dabei hätten ihre Berichte, so heißt es, eher Klatschwert gehabt. Die Auftraggeber misstrauen Mata Hari bald. Ob Falle oder Schlamperei: Am Ende wird sie enttarnt. Und hingerichtet.

Hagen Kunze: "Spioninnen. Mata Hari und andere Frauen in geheimer Mission." - BuchVerlag für die Frau: 9,95 Euro.