Zum Ende der Theatersaison naht einer weiterer Höhepunkt. Regisseur Friedo Solter inszeniert einmal mehr in seiner alten Heimat Meiningen und hat sich für Shakespeares Stück „Othello“ entschieden. Morgen ist Premiere. Wir haben uns vorab mit ihm unterhalten.

Herr Solter, Menschliche Werte und deren Verluste waren das Thema von Tschechows „Onkel Wanja“, das Sie 2006 auf die Meininger Bühne brachten. Was interessiert Sie an Shakespeares „Othello“?

Friedo Solter: Der „Othello“ ist für mich ein Stück über Liebe und Leidenschaft. Aber nicht diese junge, frisch-schnelle Liebe, sondern die allumfassende, die so Endgültiges schafft. Das hat für mich etwas mit dem Alter zu tun, deswegen braucht das Stück auch Lebenserfahrungen. Es ist also besser, wenn man schon ein bisschen Leben hinter sich hat, bevor man den „Othello“ auf die Bühne bringt. Vielleicht hat mich gerade das gereizt, dieses Shakespeare-Drama erst jetzt zu inszenieren – gewissermaßen als Zusammenfassung von all dem, was ich bisher gemacht habe, wenn ich das mit einem Augenzwinkern sagen darf.

Worin liegt für Sie das Allumfassende?

Solter: Es bedeutet für mich vor allem, Rückblick auf das Leben zu halten. Wenn man so viele Jahre hinter sich gelassen hat, dann bietet sich dieses Drama dafür geradezu an. Mich interessiert auch Othellos Verabsolutieren, das mir selbst eigen ist. Wobei das weniger eine Alters-Sache, als viel mehr eine Frage des Temperaments ist.

Wie beleuchten Sie das Thema Liebe und Leidenschaft?

Solter: Liebe und Leidenschaft sind für mich zunächst erst einmal etwas ganz Positives. Aber sie können von Außenstehenden negativ benutzt werden. Othello ist ein anerkannter, tüchtiger General im Dienst des Staates Venedig. Aber sein Begehren nach Desdemona, mit der er sich heimlich gegen den Willen ihre Vaters vermählt, wird von Jago benutzt und ins Gegenteil verkehrt. Der Fähnrich möchte auch das Glück haben, wie sein Herr, darum kämpft er ehrgeizig. Ihm zu Hilfe kommt, dass dieser Glücksmann Othello ein Andersfarbiger ist. Wegen seiner militärischen Fähigkeiten gehört er zwar zur hochzivilisierten Gesellschaft Venedigs, aber in deren Intimsphäre wird er nicht akzeptiert.

Othello ist also auch ein Stück über gesellschaftliche Schranken?

Solter: Mich interessiert, in welchem Maße menschliche Vorurteile die Gesellschaft bestimmen. Wie also positive Eigenschaften von Anders-Seienden durch die Gesellschaft genutzt werden, sie aber wegen ihrer Andersartigkeit zugleich ausgegrenzt und in die Ecke gestellt werden. Darin liegt für mich ein ganz aktuelles Thema. Es zielt natürlich auch auf den Rassismus – also auch ein Themenkreis.

Spielen Sie damit auch auf den gegenwärtigen Wahlkampf von Barack Obama in den USA an?

Solter: Dieser aktuelle Aspekt spielt natürlich in den Metaphern, über die wir in den Proben sprechen, immer mit. Man könnte das aber auch auf Hillary Clinton beziehen, die ja als Frau ebenso andersartig ist. Noch interessanter ist für mich in diesem Stück jedoch die naive, hochintelligente Desdemona. Sie ist ein junges Mädchen, das völlig vorurteilsfrei in Othello den Menschen erkennt. Solch ein Mensch, der ihre Fantasie anregt, exotisch aussieht und sie erotisch anspricht, ist ihr noch nie begegnet. Über alle gesellschaftlichen Schranken hinweg sieht Desdemona in Othello ihren Partner und den Mann, den sie haben muss. Raus aus der Enge der bürgerlichen Normen und Vorurteile. Desdemona ist offen-naiv! Othello ist auch naiv, er glaubt nicht daran, dass die Leute etwas gegen ihn haben könnten. Er hat sich durch sein Können emporgearbeitet und war immer ein gern gesehener Gast in der Gesellschaft. Aber er verkennt völlig deren gesellschaftliche Loyalität.

Anders als Jago, der negative Gegenspieler, der durch Othellos Fehler seine Chance gekommen sieht. Gibt es in Jago auch Positives zu entdecken?

Solter: Jago ist für mich das Genie des bösartigen Einfalls. Sein Verhältnis zu Othello ist davon geprägt, dass er das Herr-Knecht-Verhältnis brechen will, weil er überzeugt davon ist, dass er die gleichen Fähigkeiten besitzt. Dieser Jago hat geniale Ideen, um andere Menschen zu ruinieren. Und er glaubt überhaupt nicht an das, was wir das Gute nennen. Jago hasst sich selbst und die Menschen überhaupt. Er hat keine ethisch-moralischen Sozialitäten. Er ist leer. Er ist eigentlich asozial. Ein genialer Kombinierer: Ich bin alles! So etwas gibt es im wirklichen Leben.

Und wo liegen für Sie die Ursachen des Bösen?

Solter: Ich habe unter anderem folgende Motivation für Jago gefunden: Da geht einer immer neben einem Andersartigen nebenher, ein Beamter, der nur darauf wartet, dass er demnächst eine höhere Position bekommt. Er ist eigentlich brav, außer gegenüber seiner Frau, die er wie eine Prostituierte behandelt. Leidenschaft, Liebe, Intrige, sexuelles Begehren und der Kampf um Rang, Ordnung und Höherkommen – dieses Themenbündel liegt wie ein Teppich unter meiner Inszenierung. Als Regisseur gehe ich den menschlichen Regungen und Taten gern auf den Grund.

Das Böse ist also eine Seite des Menschlichen?

Solter: Goethe hat einmal gesagt, was im Menschen nicht ist, kommt auch nicht aus ihm – frei nach „Hermann und Dorothea“. Und so ist das auch mit Jago. Wenn er diesen Neid und Hass nicht in sich hätte, wäre sein Handeln nicht möglich. Natürlich bietet die Gesellschaft, sprich das Umfeld, die Möglichkeit, dass das alles so aufblühen kann. Das ist aber auch wieder eine Frage der charakterlichen Entscheidung. Das heißt, nicht alle Menschen, die im „räubernden“ Kapitalismus leben, sind so gierig wie einige unter ihnen. Es gibt auch sozial Denkende, aber die werden irgendwann von solchen Jagos überrannt, die denken, wenn ich dich jetzt beseitige, bin ich der Herr. Ich glaube, dass so auch Putsche entstehen.

Haben Sie sich von der Utopie einer menschlichen Gesellschaft verabschiedet?

Solter: Nein. Nein. Ich glaube, dass das Utopische der Motor zur Veränderung ist. Aber die absolute Verkehrung der gesellschaftlichen Bedingungen ist nie zu schaffen. Auch die schönste Idee ist nur machbar, wenn dafür ein ökonomisches System vorhanden ist, das in sich selbst und nicht nach Moralaufforderungen funktioniert. Der Mensch lebt nun mal in einem bestimmten Zeitraum auf dieser Erde und in diesem will er bestimmte Dinge erreichen. Nicht erst die Urenkel sollen schön leben. Es muss auch was abfallen für die Gegenwart, sonst gibt es Katastrophen. Als junger Mensch habe ich die „Utopia“ von Thomas Morus gelesen und dachte damals: Das ist ja toll, man muss nur den Menschen ändern, dann funktioniert auch die Gesellschaft. Aber das ist ein großer Irrtum, weil immer wieder neue Begehren entstehen und neue Eigenschaften herausgekitzelt werden.

Sie haben für die Neufassung des Dramas auf Shakespeares Urfassung zurückgegriffen. Welche Übersetzung benutzen Sie dazu?

Solter: Wir haben uns für die um 1765 entstandene Wieland-Übersetzung entschieden, weil er die Sprache mit wortfinderischer Fantasie benutzt. Obwohl ich kein Anglist bin, habe ich festgestellt, dass die heutigen Übersetzungen gar nicht so modern sind, wie sie sich geben. Wielands Wortfindungen sind oft direkter und plastischer und gehen dem Heutigen viel mehr auf den Grund. Wieland hat Shakespeare als Theaterautor begriffen, das heißt als einen, der immer im direkten Kontakt zum Publikum steht. Es gibt bei ihm Formulierungen, die darauf hinweisen, dass Jago Spielmeister der Handlung ist. Er schiebt die Figuren wie auf einem Schachbrett umher, so dass das Publikum darüber staunt, was der Mensch alles Schlimmes erfinden kann. Darin liegt für mich der Grundgestus des Spiels.

Und die Botschaft ?

Solter: Fragen Sie mich nicht nach Botschaften! Was mich interessiert, ist ein waches Ensemble. Die Proben machen sehr viel Spaß. Dieses Vordringen auf den Urgrund unseres Wollens und der Leidenschaften inspiriert uns in der Arbeit. Die Aussage zielt auf kompromissloses Entweder-Oder: Entweder du bist mein Freund oder ich bring’ dich um. Das hat etwas sehr Kompatibles.

Interview: Carola Scherzer

William Shakespeares „Othello“ feiert morgen und am Sonntag am Meininger Theater Premiere. Karten: 03693/451222.