Der Anblick trügt. Was hier an altem Fachwerk-Gemäuer so einträchtig nebeneinander lange Juliabendschatten wirft, kennt keine gemeinsame Vergangenheit. Zumindest keine lange. Die hell getünchte Schmiede, neben der Stuhl, Tisch und Sonnenschirm für die Poeten aufgestellt ist, stand einst in Leutersdorf, einem Dörfchen im Werragrund bei Meiningen. Das schlichte Haus hinter dem üppig mit Schilf bewachsenem Mühlteich, dessen funkelnde Turmkrone den Blick der Lauschenden nur allzu oft abschweifen lässt, gab vorzeiten den Ärmsten in Heckengereuth bei Schleusingen ein Obdach.

Zusammengefunden haben sie erst spät im Freilichtmuseum von Kloster Veßra, um Einblick zu geben in die Vielfalt der regionalen Fachwerkarchitektur, wohl auch in das Leben, das sich einst in ihr abspielte. Es ist ein wohl gewählter Ort, um die Vielfalt wiederum auf einem völlig anderen Gebiet Thüringer Schöpferkraft für einen Sommerabend zu vereinen: Der Literatur.

14 mehr oder minder bekannte Autoren aus dem Freistaat, einige auch mit dorthin führenden Wurzeln, hatte der Suhler Provinzkultur-Verein am Freitag eingeladen, um vom späten Nachmittag bis Mitternacht Beispiele ihres Könnens zu geben. - Ein von Musik unterbrochener Lektüre-Marathon, der rund Hundert Literaturinteressierte in das idyllisch gelegene, ehemalige Klostergelände lockte.

Prominente Gärtner

Wohl dosiert reihten sich die kurzen Lesungen in Blöcken gestaffelt aneinander. Anfangs noch am Mühlteich, später im Klausurhof der halb zerstörten Klosterkirche. Zwei gleichermaßen reizvolle Umgebungen, die den Klang des Vorgetragenen auf ihre Weise zu verändern verstehen. Besonders eindringlich wird dieser Einfluss bei jenen Autoren, deren Texte ihre eigenen Verbindung zu dem Naturrahmen finden. Etwa bei den kleinen Gartengeschichten von Danuta Schmidt.

Prominente in ihren grünen Oasen besuchte die in Suhl aufgewachsene, heute in Berlin lebende Autorin. Darunter auch Jörg Hildebrandt, den Ehemann der 2001 gestorbenen SPD-Politikerin Regine Hildebrandt. Von der Begegnung mit ihm liest Danuta Schmidt, beschreibt einen Garten, in dem die Natur noch selbst gestalten darf und dessen Eigentümer trotz Vorliebe für den ans Terrassen-Grundstück angrenzenden See stets Stadtmensch geblieben ist.

Einige Zuhörer nippen aus Weingläsern, während die Dämmerung langsam die Dorfkulisse verschluckt. 21 Uhr. Seit nunmehr vier Stunden wird gelauscht, der Geruch von gebratenem Fisch liegt in der Luft. Kinderbücher waren schon an der Reihe, Fantasy-Belletristik von der 14-jährigen Antonia Kraus aus Meiningen, Mundart von Karl-Heinz Großmann aus Sonneberg, auch die Erzählung vom "Froschkönig", mit der Ursula Schütt aus Dietzhausen bei Suhl kürzlich den Menantes-Preis für erotische Dichtkunst gewann.

Noch immer braucht es an diesem verschwenderisch schönen Abend nicht mehr als flatternde Sommerkleider. Neben den Holzbänken sind nun auch mitgebrachte Decken auf der Wiese ausgebreitet. Alle sind näher gerückt, um den prominentesten Gast des Abends zuzuhören, Landolf Scherzer. Wieder tritt er als Zeuge von Selbsterlebtem auf, nimmt sein Publikum mit gen Osten in die Vergangenheit zu einer antialkoholischen, agitatorischen Beispielhochzeit.

Letzte Runde ab 23 Uhr

Mittlerweile weisen kleine Laternen den Weg durch das schlafende Dorf. Windlichter flackern, von Weitem aus dem Klausurhof hört man das Ilmenauer Akustik-Duo "faBRi" spielen. Rudi Berger aus Langenwetzendorf im Landkreis Greiz wartet noch, Jahrgang 1924, dennoch dem Poetry Slam verfallen. Sagen von Rainer Hohberg aus Hummelshain im südlichen Saaletal mischen sich in die Nacht.

Die letzte Runde beginnt gegen 23 Uhr mit einem früheren Redakteur dieser Zeitung, Frank Hommel. Für sein neues Buch "Den Wolken ganz nah" hat er den Kammweg Erzgebirge-Vogtland getestet. Langsam neigt sich das literarische Büfett dem Ende zu. Satt gemacht hat es nicht, eher hungrig. Auf noch nicht gelesene Bücher von Thüringens Autoren. Und auf ausschweifende poetische Sommernächte in solch prächtiger Kulisse, die Vielfalt zu einen sich zur Aufgabe gemacht hat.