Selten fiel es leichter, sich über ein Kultur-Buch zu empören. Die Sprache getränkt von kühlen, marktwirtschaftlichen Termini, dazu recht unkonkret in den Ausführungen, lässt sich "Der Kulturinfarkt" auf eine missliebige Forderung reduzieren: Setzt den Rotstift an. Und zwar Pi mal Daumen bei der Hälfte aller Kulturinstitutionen des Landes. Damit haben sich seine Autoren Dieter Haselbach, Pius Knüsel, Armin Klein und Stephan Opitz - mit Berechnung - auf 288 angriffslustigen Seiten zu unerwünschten Personen des Kulturbetriebs geschrieben.

Doch Lobbyisten und Kulturliebhaber gleichermaßen machen es sich zu einfach, wenn sie die Diagnose des Patienten Kulturstaat mitsamt der erteilten Therapieempfehlungen einfach als Ungehörigkeit abtun. Denn das Experten-Quartett stellt die richtigen Fragen, auch wenn diese naturgemäß keiner hören will: "Ist jede einzelne Kultureinrichtung tatsächlich 'systemrelevant', 'unverzichtbar' und 'unersetzlich'?" Ist es gerechtfertigt, im Angesicht des drohenden finanziellen Zusammenbruchs ausgerechnet die Kultur als unantastbar zu erklären, ihr opulentes Angebot weitgehend von wirtschaftlichen Risiken und Realitäten freizustellen?

Dass sich anders mit Strukturänderungen umgehen lässt, beweisen die Kirchen. Längst wird nicht mehr in jedem einzelnen Gotteshaus am Sonntag eine Predigt gehalten. Der Umfang, in dem das seelsorgerische Angebot für die sinkende Zahl Gläubiger verfügbar gemacht wird, stellt die Existenz der Institution nicht als Ganzes infrage.

Kulturbetrieb expandiert

Die Bereitstellung von Konzerten, Aufführungen oder Ausstellungen hingegen wird, so die These der Verfasser, nicht von der Nachfrage her gedacht. Seit dem in den 1970er Jahren in Westdeutschland formulierten Schlagwort "Kultur für alle" hätten sich Museen, Theater, Bibliotheken, Musik- und Volkshochschulen, Konzerthäuser, soziokulturelle Zentren, Literaturhäuser, kulturelle Verbände und Kunstschulen stetig und deutlich vermehrt. Statistisch belegen können das die Autoren jedoch nur für die alten Bundesländer.

Ein Ausbau des Systems lässt sich aber auch beim Blick auf den Süden Thüringens ausmachen. Eröffnet im Mai 2013 in Bad Salzungen ein Spezialmuseum rund um das Thema Salz, kann sich die Veste Heldburg ab 2015 als Heimstatt des Deutschen Burgenmuseums rühmen. Solche Expansionen in einzelnen Bereichen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kulturbetrieb in seiner Gesamtheit eine allmähliche Auszehrung erlebt. Wo das Geld knapp wird, müssen Aufgaben unter immer schwierigeren Bedingungen erfüllt werden.

Was es künstlerisch bedeutet, mit einer Rumpfkapelle und einer einzigen Theatermalerin auskommen zu müssen, zeigt das Landestheater Eisenach. Das Vorhandene kann allenfalls noch verwaltet werden, für Innovationen oder gar Visionen fehlt die Kraft. Personell und finanziell. Wenn sich der Spielplan zu großen Teilen aus Gastspielen des Meininger Ensembles zusammensetzt, verfügt dann die Institution Landestheater tatsächlich noch über künstlerische Relevanz in der Thüringer Theaterlandschaft?

Solche Fragen werfen Haselbach, Klein, Opitz und Knüsel auf, wenn sie "von allem zu viel und überall das Gleiche" attestieren. Neu ist die forsch aufgeworfene Debatte sicher nicht, aber notwendig. Ob man daraus nun die Schlussfolgerung ableiten sollte, die Institutionen schlicht zu halbieren, ist fraglich. Doch Kulturpolitiker sollten - wie im Buch gefordert - hinterfragen, was eine Einrichtung für wen produziert und ob dieser jemand überhaupt in genügender Zahl vorhanden ist.

Beharren auf Status quo

Das Reservoir an Kulturfreunden ist endlich. In der Metropole Berlin ebenso wie im ländlichen Raum Südthüringen. Mehr Angebot schafft nicht automatisch mehr Nachfrage, da Zeit, Geld und Muse für den Kulturgenuss ihre Grenzen finden. Muss das hiesige Interesse an bildender Kunst wirklich von Galerien in Meiningen, Suhl, Zella-Mehlis und Schmalkalden bedient werden? Oder würde eine Galerie - dafür ausgestattet mit ausreichend Etat etwa für das Erstellen von Katalogen - ihrer Aufgabe nicht eher gerecht?

Es sind solche Gedankenspiele, die bei der Lektüre von "Der Kulturinfarkt" unweigerlich ihren Gang nehmen. Das macht dieses Buch wichtig, jedoch keineswegs zu einem Skandal. Der Rotstift allein wird den Patienten Kulturstaat nicht kurieren. Noch schädlicher aber ist das finanzblinde Beharren auf dem Status quo.

Dieter Haselbach/Armin Klein/Pius Knüsel/Stephan Opitz: "Der Kulturinfarkt", Verlag Knaus 2012, 288 Seiten, 19,99 Euro.