Das Hoverboard von Nikolas ist mit seinen blauen LED-Lichtern ein ziemlich cooles Gerät. Wobei: So neu sind solche Boards nun auch wieder nicht. Aber Niklas zieht auf seinem fahrbarem Untersatz ziemlich elegant seine Kreise: Immer rund um Jan herum, seinen Geschichtslehrer. Er checkt ihn ab, oder so ähnlich, heißt das wohl heute. Auf gut altdeutsch: Er lauert auf das, was Jan gleich sagen wird. Oder was er von ihm will. Er soll sich seiner Klasse vorstellen, möchte Jan. Er, der Neue an der Schule. Er soll sich am Unterricht beteiligen, seine Hausaufgaben machen. Nationalsozialismus ist gerade dran. Judenverfolgung und so. "Langweilig", befindet Nikolas. Und holt sein Tablet aus dem Rucksack: Lieber spielen. "Lassen Sie mich einfach in Ruhe!" Jan schaut ihn verunsichert an. Den Lehrer befällt da so eine Ahnung: Das wird nicht einfach mit Nikolas.

"Geheimcodes" spielt sich wie aus dem Stehgreif - braucht nur zwei Mitspieler und kaum Requisiten: Ein Tisch, ein Stuhl, einen Apfel, einen Rucksack, eine Aktentasche, ein Tablet, ein Board. Und ein Bühnenbild schon gar nicht. Denn was das Junge Theater Eisenach auf die Bühne bringt, kann und soll mobil gespielt werden. Im Klassenzimmer, im Jugendclub, im Gemeindesaal - überall dort, wo sich junge Leute um eine Spielfläche versammeln können.

Die Schulstunde ist ein guter Einstieg, den sich die junge dänische Autorin da hat einfallen lassen: Geschichte, dazu noch öde Monologe - das kennt das junge Publikum möglicherweise aus Erfahrung. Doch die beiden Schauspieler lassen ihrer Zuschauern keine Zeit, sich gemütlich in ihrer Erfahrungswelt einzurichten: Michael Naroditski (Nikolas) und Alexander Beisel (Jan) sind nicht so, wie sie zu sein vorgeben. Mit ihnen stimmt etwas nicht. In ihren Gesichtern, in ihren Blicken liegt etwas, das die Autorin in den Titel ihres Stücks geschrieben hat: Ein Geheimnis. Das spüren sie im Publikum - vor allem bei Nikolas, der um Jan herumschleicht, als würde der jeden Moment über ihn herfallen wollen. Wie aber lautet der Code, um dieses Geheimnis zu knacken?

Wie eine Bombe

Die Autorin liefert ihn wie in einem Krimi: Ein komplizierter Schüler und ein Lehrer, der nicht locker lässt - das schafft irgendwie Vertrauen. Sie beginnen, sich zu respektieren. Und plötzlich wird Geschichte für Nikolas interessant, weil die Nazis nicht nur Juden verfolgten, sondern auch Kommunisten - und Homosexuelle. Und nicht nur die: Alan Turing, der die "Enigma"-Verschlüsselungmaschine knacken half, war ein genialer Informatiker - und schwul. Im Nachkriegs-England eine Straftat. Das interessiert Nikolas, und mitten in diese Annäherung platzt die Bombe: Auch Nikolas ist schwul. Aber er ist niemand, der das verbergen möchte. Er sagt es. Und er steht dazu, obwohl er zu Hause dafür Prügel bekommt und obwohl ihn manche blöd anschauen. Nikolas ist es auch, der seinen Lehrer Jan zum Outing überredet.

Das Fazit des Stücks nach knapp 45 Minuten: Stehe zu dir und zu dem, wie du bist. Die Autorin lässt das am Ende deklamieren. Und genau das ist Quatsch. Denn so heil ist die Welt nunmal nicht, als das sich solche Botschaften so einfach hinaus posaunen ließen. Dass sich ein Theaterstück eines für junge Menschen ab zwölf Jahren - so die Altersempfehlung - so schwierigen Themas annimmt, ist das eine. Dass die Autorin das Publikum - wenn auch gut gemeint - damit ein wenig überfordert, das andere. Denn so cool wie Nikolas und Jan sind wohl die wenigsten. Cool wäre es schon, wenn es Diskriminierung, und sei es auch nur verbal, nicht gäbe. Sicher, Theater darf träumen, darf auch Mut machen, sollte aber keine Utopien - noch dazu mit pädagogischen Impetus - einfordern. So cool, wie das Hoverboard ins Klassenzimmer rollt, rauscht der Alltag nicht vorbei, leider.

Nächste Vorstellungen in Rudolstadt am 20./21. November, in Eisenach kann das Stück als mobile Produktion per Email gebucht werden unter: kbb@landestheater-eisenach.de