Der Schandfleck muss weg!" - das war einmal. Längst sind die Bauten der Moderne - seien sie nun aus der Weimarer Republik oder dem Sozialismus - Kulturgut, der gesellschaftlich akzeptiert ist. Das freilich war nicht immer so. Nach 1989 wurden gerade im Osten Deutschlands zahllose Gebäude, die architekturhistorischen Wert besaßen, abgerissen oder durch Umbau bis zur Unkenntlichkeit verändert. Das Zentrum der Stadt Suhl ist dafür wohl das Paradebeispiel. Die Zeit des Umdenkens bezeichnet der Autor und Verleger Daniel Fuhrhop als einen notwendigen "Prozess der Historisierung". Erst mit Abstand sei die Gesellschaft offenbar in der Lage, Architektur wie etwa die Plattenbauten der DDR-Moderne zu würdigen.

Eine zweite Chance

Im Milchhof Arnstadt stellte er am Mittwochnachmittag einen Fachpublikum seine Streitschrift "Verbietet das Bauen!" vor. Seine These: Es gibt immer eine Alternative zum kompletten Neubau. Nicht von ungefähr hatten die beiden Veranstalter der Tagung "Bauhaus 2019 - Denkmalpflege und die Bauten der Moderne" - die Baudenkmal Milchhof Arnstadt GmbH und das Thüringer Landesamt für Denkmalpflege - gerade ihn in den leer stehenden Industriebau eingeladen. Außen repräsentativ, innen fast komplett entkernt und von Vandalismus gezeichnet, wartet das Ende der Zwanzigerjahre im Bauhaus-Stil errichteten Gebäude auf eine zweite Chance. Die will ihm Eigentümer Jan Kobel mit einem multifunktionalem Tagungszentrum geben. Die "denkmalgerechte Sanierung als herausragendes Beispiel der Bauhaus-Architektur in Arnstadt" ist sein Ziel. Damit könne das gesamte Areal in ziemlich zentraler Lage nordöstlich des Stadtparks aufgewertet werden.

Alternativen zum Neubau sind nachhaltiger, sozialer, effizienter und machen die Menschen oft glücklicher, sagt Kobel. Was der Arnstädter meint, umschreibt Thüringens Landeskonservator Holger Reinhardt als "gesellschaftlichen Identifikationswert". Das hören Architekten, Bauherren und auch Stadtplaner nicht unbedingt gerne, denn kulturhistorische Wertmaßstäbe gelten in der Baubranche nicht als harte Währung. Und schon gar nicht in der Wirtschaft. Die schmucke, aufwendige Industriearchitektur der Gründerzeit ist längst preiswerten Wellblechhallen gewichen. Besonders darauf hebt Daniel Fuhrhop mit seiner Streitschrift ab: "Warum wird neu gebaut?", fragt er in Arnstadt rhetorisch in die Runde der rund 50 Tagungsteilnehmer. "Nicht unbedingt, weil es einen Bedarf dafür gibt", lautet seine Antwort. "Sondern da fließt Geld." Internationale Fonds investierten in Rendite-Objekte - auch in Thüringen. Die Konsequenz: Alte Bausubstanz und Neubauten konkurrierten miteinander - um Zeit, Geld, Fläche und letztendlich um Menschen.

Werte wandeln sich

Rein rechnerisch hat Fuhrhop die Argumente auf seiner Seite: 300 000 Wohnungen wurden zwischen 2002 und 2012 in Ostdeutschland abgerissen, 700 000 standen 2014 leer, rund eine Million Wohnungen wurden zwischen 1989 und 2014 neu gebaut. Ein Nullsummenspiel. Was die Bauindustrie in Schwung brachte, sieht Fuhrhop als "Verschwendung von Ressourcen" und ist sich sicher: Der immer teurere Flächenverbrauch und der immer deutlicher werdende Klimawandel werden über kurz oder lang zum Umdenken führen. Der Wertwandel in der Gesellschaft sei ja längst im Gang. Wer gut wohnen will, zieht in den Altbau - vor allem in den Städten wie Leipzig oder Dresden sei das zu beobachten. Sein Vorschlag: Schrumpfende Gemeinden sollten überhaupt keine Baugebiete mehr ausweisen , sondern lieber Projekte wie "Jung kauft Alt" mit Geld für die Sanierung unterstützen. Auch der Zuzug von Flüchtlingen sei eine Chance, für die keinesfalls "schnell und billig" gebaut werden sollte.

Besonders nach 1989 sehr viel Geld für den "Rückbau Ost" ausgegeben worden, wurden Abriss und Neubau finanziert, statt Sanierung und Sicherung zu fördern. "Das ist für mich eine der größten Fehlleistungen der Politik", sagt Jan Kobel. Doch inzwischen sei deutlich, dass sich Städte und Gemeinden auf ihr Architekturerbe berufen, weil sie den Verlust von Identität und Lebensqualität fürchten. Ein schlechteres Zeugnis kann man moderner Architektur nicht ausstellen.

Daniel Fuhrhop: "Verbietet das Bauen". oekom-Verlag München