Die Mark Brandenburg nannte er einmal eine "Ängstlichkeitsprovinz". Dem Landadel daselbst attestierte er jedoch eine ausgeprägte "Weltverbesserungsleidenschaft". Und von sich selbst sagte er unter anderem, er sei "kein Nebenbeiliteraturverzapfer". Theodor Fontane war ein Meister der Wortschöpfungen. Mehr als 25.000 Wörter kommen in seinem Werk nur ein einziges Mal vor, einen Großteil davon hat er selbst zusammengesetzt. Fontane war ein Schriftsteller im buchstäblichen Sinne: Er verband Substantive, Verben und Adjektive zu neuen - mal bedeutungsstarken, mal diffusen - Begriffen. Entstanden sind dabei so wunderbare Kreationen wie "Behaglichkeitsbau", "Vorurteilsalbernheit" oder "Zufriedenheitsepoche" und viele, viele mehr.

Fontanes Wörter sind ein zentrales Motiv der Ausstellung "fontane.200/Autor" in Neuruppin, die noch bis zum Ende des Jahres in der Geburtsstadt des Dichters gezeigt wird. In leuchtendem Gelb sind Tafeln mit den eigenwillig-einprägsamen Begriffen an markanten Punkten der Innenstadt verteilt, an denen sich Biografisches und Anekdotisches aus Fontanes Leben und Werk verbindet. Im Jubiläumsjahr zum 200. Geburtstag des großen Sohnes des Städtchens im Nordosten Brandenburgs, der allerdings erst am 30. Dezember gefeiert wird, wird jeder Spaziergang zu einer Entdeckungstour: In der nach einem verheerenden Brand von 1787 nach einem strengen klassizistischen Raster wieder aufgebauten Stadt ist jede der Tafeln ein Mosaiksteinchen im Bild Fontanes und der Literaturwelten, die er geschaffen hat.

Die gelben Tafeln mit Fontanes Worterfindungen durchziehen auch die Dauerausstellung des Museums Neuruppin als Interventionen der Kuratoren, die auf diese Weise die Stadt, den Dichter und seine Arbeit zusammenführen. Die beiden wichtigsten Räume der Leitausstellung zum Jubiläumsjahr sind jedoch im vor wenigen Jahren entstandenen Neubau eingerichtet. Hier bekommen die Besucher einen vielschichtigen Einblick in die Schreibwerkstatt Fontanes. Alles, was er verfasst, basiert auf seinen Notizbüchern, die sämtlich im Original zu sehen sind: Ein Gewirr aus flüchtig hingekritzelten Beobachtungen, Gesprächsfetzen und Ideen, Figurenentwürfen und Zeichnungen. Diese Notizbücher sind das Reservoir, aus denen Fontane schöpft. Erst im Alter von 57 Jahren beginnt er, seinen ersten Roman "Vor dem Sturm" zu schreiben. Zuvor hat er als Zeitungskorrespondent, Theaterkritiker und Kriegsberichterstatter gearbeitet und erste Prosawerke veröffentlicht. Alles, was er durch seine journalistische Arbeit an historischem und zeitgenössischem Wissen gesammelt hat, fließt fortan in seine literarischen Schöpfungen ein.

Fontane ist unermüdlich im Sammeln, Ordnen und Gruppieren seiner Notizen, er schreibt und verwirft, zerlegt Textpassagen und baut um, fügt hinzu und streicht erneut. Er ist ein Literaturarbeiter im besten Sinne, ein Virtuose der "Pusselei" und "Bastelei". Tatsächlich gehören Schere und Klebstoff ebenso zu den täglichen Schreibutensilien wie Feder und Tinte: Denn so trennt er bestehende Textbausteine und fügt sie an andere Stelle wieder ein. Skizzen von Landschaften und Orten, zeitlose Dialoge oder Zeitungsschnipsel mit unterschiedlichsten Meldungen arrangiert er so geschickt in seine Handlungen, als wären sie aus dem Moment heraus entstanden. In Wahrheit ist Fontane ein sprach- und phantasieverliebter Jongleur gedanklicher Versatzstücke, die er mit untrüglichem Gespür und einer ordentlichen Prise Humor aneinanderreiht und immer wieder bearbeitet und reduziert, bis er die letztgültige Form gefunden hat.

Lauter Wortstänge

Einen gänzlich neuen Zugang zu bekanntesten Roman "Effi Briest" ermöglicht eine Installation im zweiten Raum des Museumsneubaus. Mit der Methode des "distant reading", mit der ein Computer einen Text quantitativ und statisch erfasst und auswertet, lassen sich die häufigsten und seltensten Worte eines Romans herausfiltern, es entstehen Cluster von Begriffsgruppen und Zuordnungen zu den Hauptfiguren. Dieses Beziehungsgeflecht der Wörter wird in der raumgreifenden Anordnung visualisiert. Der Besucher wandelt über einen Textteppich der häufigsten Hauptwörter und stößt im Raum auf Quadrate der wichtigsten Figuren, die durch Wortstränge miteinander verbunden sind. Selbst wer Effi Briest nie gelesen hat, bekommt in dieser statistisch-visuellen Auswertung ein Gespür dafür, worum es in dem Roman geht und wie Fontane bewusst oder unterbewusst durch die Verwendung zentraler Begriffe die Charakterisierung der Figuren vorantreibt.

"Arbeit bis um 3, Mittagbrot, Schlaf, Kaffe, Buch oder Zeitung, Abendspaziergang und Thee. Von 365 Tagen verlaufen 300 nach dieser Vorschrift". So hat Fontane selbst einmal seinen Alltag beschrieben. Diese Ausstellung vermittelt einen Eindruck davon, dass die Schriftstellerei Fontanes vor allem auf akribischer Arbeit und unermüdlicher Tüftelei beruhte. Nur so konnte aus kreativen Einfällen große Literatur entstehen.

"fontane.200/Autor" ist im Museum Neuruppin bis 30. Dezember zu sehen, Mo, Do - So 10-18 Uhr, Mi 10-19 Uhr, Di geschlossen, www.fontane-200.de