Menschen stören, weil sie selbstbestimmt und anders leben wollen als andere Menschen. Nicht so leben, wie das der Patriarch der Familie bestimmt. Nicht so leben, wie das in einem amerikanischen Südstaatenkaff erwartet wird. Nicht so leben, weil alle anderen so angepasst leben.

Die junge Heavenly Finley störte mit ihren Erwartungen an ein Leben mit Chance Wayne einen herrschsüchtigen Provinzpolitiker, ihren Vater. So was Romantisches wie Liebe? Nee, aber nicht in diesem Provinznest mit diesem Loser Chance. Junge Liebe mit 17 Jahren? Und ein Nacktfoto als Liebesbeweis? In den Fünfzigerjahren im prüden, gottesgläubigen, erzkonservativen Amerika?

Schon sind wir bei den Verhältnissen zwischen Menschen und in der amerikanischen Südstaaten-Gesellschaft, die der Autor Tennessee Williams (1911-1983) in seinen Theaterstücken immer wieder, wie ein Mantra, variiert und aufgeschrieben hat. Der Autor leidet an sich und der Zeit vor 60 Jahren. In Meiningen inszeniert Lars Wernecke diese Zeit mit Glitzer und Glamour, miefig und schwülstig, bieder und spießig. Die Bühne (von Cornelia Brey, auch Kostüme) mit dem plüschigen Bett als Ursprung der Welt und der Gefühle wirken abstoßend. Ein Klischee. Eine Menge Kitsch. Eine Kopie von Botticellis "Die Geburt der Venus" im Bettgiebel steht für das Schönheitsideal überhaupt.

Keine Spannung

Die alt gewordene Diva träumt und hustet sich durch das Bett. Sie wird doch nicht mit einem Virus infiziert sein? Auf jeden Fall blickt sie nicht mehr durch in diesem gelebten Leben, das den viel jüngeren Chance in ihr Bett verschlagen hat. Sind sie zwei "nette Bestien", wie das die verblühte Aktrice Alexandra del Lago behauptet? Da baut sich zwischen Ulrike Walther und Yannick Fischer (Chance) keine Spannung auf. Im Gegenteil. Da macht sich gähnende Langeweile breit, dieses "Gehopse im Bett", wie in der Premierenpause von einem Besucher geraunt wird. Die beiden weinen sich aus über ihr jeweiliges Alter, die Sucht nach Anerkennung als Künstler und in der Öffentlichkeit.

Da gibt es im Stück von Tennessee Williams die Chance, das Erwartbare in einer Inszenierung zu durchbrechen. Der junge Chance soll die alt gewordene Diva sexuell befriedigen, um dadurch Karriere als Schauspieler zu machen. Ein dramatischer Stoff aus der Gegenwart: Der weibliche Harvey Weinstein und MeToo unter anderen Vorzeichen. Ist das eine Option, eine Interpretation, die denkbar und spielbar ist? Sie will Sex von ihm. Nichts passiert. Nichts knistert. Niemand explodiert. Das ist unbefriedigend. Die "Venus" von Botticelli schaut zu. Und ist auch enttäuscht.

Die Assoziation ins Heute, in das Amerika im 21. Jahrhundert, kommt an anderer Stelle in der Inszenierung noch einmal auf. Da spielt der bedeutende Lokalpolitiker, Boss Tom Finley, Golf, macht Deals, hält sich eine heilige Familie und eine Hure, regiert eine Region mit harter Hand und dem Glauben an Gott. Michael Jeske spielt diesen Boss, Politiker, Vater und Patriarchen mit physischer Präsenz. Das ist ein emotionaler Lautsprecher und alltäglicher Rassist, streng gläubig und missionarisch unterwegs. Der Typ von heute, auf der politischen Bühne in Amerika, zwitschert seit vier Jahren seine Botschaften und Weltsicht zu Millionen Menschen. Ob Tennessee Williams den amerikanischen Präsidenten 2020 voraus ahnte?

Der stille Star der Inszenierung heißt Heavenly Finley, die Tochter von Boss. Ein zartes zerbrechliches Mädchen, eine junge Frau, die einstige Freundin von Chance. Wegen ihr ist er in dieses Südstaatenkaff zurückgekehrt. Katharina Walther hat als Heavenly (Was für ein süßer Name!) nicht viel zu sagen, aber sie zeigt ganz viel von ihrer Seele. Ein selbstbestimmtes Leben in Liebe mit Chance war und bleibt eine Illusion. Gegen den mächtigen Vater opponieren? Das geht nicht gut. Ihr bleibt nur, im unschuldigen weißen Kleid fröhliche Miene zum bösen Spiel zu machen. Da gibt es berührende, stille Momente. Da kommt eine beklemmende Spannung auf.

Eigene Akzente

Leider ist das viel zu selten in den fast drei Stunden zu erleben. Die Textfassung des Stücks hätte einige kräftige Striche vertragen können. Der Regisseur will fast alles spielen und bedienen, was der Autor Tennessee Williams aufgeschrieben hat. Alkohol und Drogen: sind immer noch und wieder en vogue. Gestörte Familienbeziehungen: na ja, die gibt es doch fast überall. Sinnieren über Jugend und Schönheit: das ist doch ganz subjektiv. Karriere machen und Eitelkeiten ausleben: gut und schön. Und so entsteht oft Langeweile. Anstatt zuzuspitzen, zu überhöhen, eigene Akzente zu setzen, das Publikum zu überraschen.

Neun weitere Rollen sind besetzt. Sie gehen oft unter in der langatmigen Inszenierung. Am Schluss explodieren die Gefühle und die beiden Hauptdarsteller. Die Diva feiert ihren vermeintlichen Erfolg, vergisst das verhasste Alter, flüchtet sich in ihre Scheinwelt zurück. Der immer noch junge Schauspieler verzweifelt an seiner vermeintlich verlorenen Jugendzeit und der Jugendliebe. Alexandra del Lago und Chance Wayne taumeln durch ihr Leben. Bleibt alles so, wie immer?

Premierenbeifall im Theater Meiningen. Wie immer.

Nächste Vorstellungen: 8./21. März, 1./5. April, Karten: 03693/451222, www.meininger-staatstheater.de