Es geht um Ehebruch, einen lügenden Pastor und sogar Inzest. Als der norwegische Dichter Henrik Ibsen 1881 sein Drama "Gespenster" vollendete, wollte kein einziges skandinavisches Theater das Werk auf die Bühne bringen. Da sprang Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen in die Bresche. Der "Theater-Herzog" sorgte 1886 im Meininger Hoftheater für die erste öffentliche Aufführung des Stücks, wobei er selbst Regie führte. Ibsen reiste persönlich zur Premiere an; von Meiningen aus eroberte das Drama den deutschsprachigen Raum.

An dieses Kapitel seiner Geschichte knüpft das Meininger Theater nun mit einer "Gespenster"-Oper an. Den Kompositionsauftrag erhielt der norwegische Komponist Torstein Aagaard-Nilsen. Regie führt Meiningens Intendant Ansgar Haag. Am 22. Mai ist die Uraufführung geplant - bislang steht der Termin.

Heile Fassade

Ibsens Drama spielt in einer Kleinstadt am Fjord. Im Mittelpunkt steht die Bürgersfrau Alving, die ihr Leben lang einen grausamen, fremdgehenden Ehemann ertrug, um die heile Fassade zu wahren. Eine einzige Nacht hat sie mal mit dem Pastor verbracht, der sich aber daran nicht erinnern mag.

Vor allem diese Darstellung des Pastors als bigotter Heuchler dürfte zum einstigen Aufführungsverbot beigetragen haben. Unerhört war es aber auch, dass Alvings Sohn Osvald an Syphilis leidet. Ibsen legt sogar nahe, dass die Krankheit nicht ererbt, sondern Resultat des Missbrauchs durch den Vater ist.

Schmerzhaft tief bohrte Ibsen den Stachel in das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die sich hinter starren Konventionen und Lebenslügen verschanzte. Der Meininger Herzog erkannte die Bedeutung dieses Stücks, was vielleicht auch an seiner Liebe zu Norwegen lag. Als 23-Jähriger, noch vor seiner Regentschaft, war er durch Norwegen gereist, hatte dort Künstler getroffen und auch die Bekanntschaft Ibsens gemacht.

Den rund 140 Jahre alten Dreiakter frischt das Meininger Theater nun auf. Für das Libretto sorgt die norwegische Text-Künstlerin Malin Kjelsrud. "Ich wollte untersuchen, wie das Bewahren von Geheimnissen den Einzelnen verändern und zerstören kann; wie Menschen dadurch sich selbst und anderen schaden", sagt Malin Kjelsrud, die zwischen Mutter und Sohn jede Menge zwiespältiger Gefühle festgestellt hat: "Liebe, Hass, alten Groll, schreckliche Taten, aber auch eine unzerstörbare Bindung." Das Finale von Ibsens Original, wo Osvald dem Wahnsinn verfällt, hat sie abgeändert.

Die Musik schrieb der norwegische Komponist Torstein Aagaard-Nilsen. Er stammt von Lofoten; als Student kam er nach Bergen, wo er heute als Komponist, Dirigent und Festivalleiter tätig ist. Aagaard-Nilsen, Jahrgang 1964, ist in Meiningen kein Unbekannter. Mehrfach hat die Meininger Hofkapelle Kompositionsaufträge an ihn vergeben. Die neue Oper ist bereits sein viertes Projekt in Meiningen.

"Damit wollen wir auch die traditionelle Brücke zwischen Meiningen und Bergen beleben", erläutert der Dirigent Philippe Bach. "Aagaard-Nilsen lebt in Bergen, wie einst Edvard Grieg, den der Theater-Herzog als Gastdirigenten nach Meiningen holte." 2016 kam Aagard-Nilsen nach Meiningen, um hier der Uraufführung seiner Fünf Orchesterlieder beizuwohnen. Bei dieser Gelegenheit kam die Idee einer Ibsen-Oper erstmals auf den Tisch.

Aagaard-Nilsen zufolge eignet sich Ibsens "Gespenster"-Drama bestens für eine Vertonung. "Eigentlich ist das ein psychologisches Stück voller Gespräche, das nur in einem Wohnzimmer spielt. Es passiert nicht viel", erzählt er. "Es gibt zahlreiche psychologische Schichten und so Vieles, was ungesagt bleibt - das ist ideal für eine Darstellung durch Musik."

Auch den Gespenstern, den Toten, die durch die Träume und Erinnerungen der Lebenden geistern, verleiht Aagaard-Nilsen eine Stimme. "Unser Stück spielt nun gleichzeitig in Vergangenheit und Gegenwart; deshalb gibt es viel mehr Rollen als bei Ibsen."

Vor über einem Jahr kam der Komponist nach Meiningen, um die Sänger kennenzulernen und für deren Stimmen maßgeschneiderte Partien zu schreiben. Er hat die Instrumente ausgewählt und synthetische Klänge erzeugt, die in die Partitur eingefügt werden. Endgültig aber finden alle Aspekte erst bei den Proben zusammen.

Sanfte Musik

Philippe Bach, Meiningens GMD, nennt Aagaard-Nilsen "einen der vielseitigsten norwegischen Komponisten". Er schreibe so, "dass es beim Publikum ankommt". Ein modernistischer, experimenteller Neutöner, der mit Dissonanzen und Geräuschen um sich wirft, ist Aagaard-Nilsen gewiss nicht. Seine meist sanfte, wohlklingende Musik ist unter dem Etikett "nordisch" ganz gut aufgehoben.

In der Ibsen-Oper arbeitet sich der Komponist durch die Musikgeschichte; vom Walzer über Salonmusik bis zum Blues. Zentrales Motiv ist eine Passacaglia, ein barocker Tanz. Die traditionellen Formen verbindet Aagaard-Nilsen mit neuen, elektroakustisch erzeugten Sounds.

Wie aber klingen nun eigentlich die Gespenster? Für spukhafte Atmosphäre sorgt der Komponist, indem er das Sirren und Klirren von Kristallglas elektronisch verfremdet.

Uraufführung voraussichtlich am 22.5., www.meininger-staatstheater.de