Ein Ort der Selbstvergewisserung nationalen Überschwangs sind die Bayreuther Festspiele schon lange nicht mehr. Als Wolfgang Wagner (1919-2010) Regisseure wie Harry Kupfer und Götz Friedrich nach Bayreuth holte, hielten die Alt-Wagnerianer diese noch für die Boten kommunistischen Teufelswerks. Gegen den "Tannhäuser" von Friedrich zog seinerzeit noch Franz Josef Strauss persönlich in der Welt vom Leder. Gegen Kupfer gab es Flugblattaktionen.

Dass dann Christoph Schlingensief den "Parsifal" und Frank Castorf den "Ring" inszenierten, war fast schon normal. Nix da mit Event für die Reichen. Ein Ort der Selbstverständigung gleichwohl. Auf dem Niveau und mit den Mitteln, die die Oper dafür halt zur Verfügung hat. Und den in diesem Falle auch die politische Führung der Republik immer noch für wichtig hält, wo alle sonstigen Gewissheiten schwinden.

Wolfgang Wagner, der mehr als ein halbes Jahrhundert die Festspiele auf Kurs hielt, der die Umwandlung in eine Stiftung bewerkstelligte und mit viel Eigensinn seinen Grundsatz durchsetzte, dass der einzige Star in Bayreuth Richard Wagner ist, wäre in diesem August 100 Jahre geworden. Eine Ausstellung in der Villa Wahnfried sekundiert dieses Jubiläum. Seine längst nicht mehr umstrittene Nachfolgerin und Tochter Katharina Wagner würdigte das in und mit einem noblen Festakt am Vorabend der Festspiele.

Sieht man mal vom Einzug der (a- und b-prominenten) Gäste zur Eröffnungspremiere ab, gilt’s im Festspielhaus tatsächlich der Kunst. Hier singen die Stars der Szene, aber honoriert werden nicht ihre Namen, sondern nach wie vor die Rollen. Und wenn ein Superstar wie gerade Anna Netrebko ihr angekündigtes Elsa-Debüt im "Lohengrin" kurzfristig wegen "Erschöpfung" absagt, um sich dann für alle sichtbar am Wasser oder in Aserbaidschan zu erholen, dann lädiert das ihren Ruf mehr, als es den Festspielen schadet.

Die folgen ihrem eingeschlagenen Kurs und zu dem gehört der Weg in die Breite. Exemplarisch mit dem vor zwei Jahren etablierten "Diskurs Bayreuth", der genau das bietet, was der Name auch verspricht: Selbstreflexion und Blickerweiterung.

"Schafft Neues!"

Auf Siegfried Wagner etwa, den Festspielleiter von 1908 bis 1930, also zwischen der regierenden Witwe Richards Cosima und Siegfried Wagners eigener auf Hitler abfahrender Gattin Winifred, die von Siegfrieds Tod bis 1944 das Sagen auf dem Grünen Hügel hatte. Neben allem längst fälligen wissenschaftlichen Aufarbeitungsehrgeiz, diversen Konzerten in der Villa Wahnfried, Symposien und Ausstellungen, gibt es auch - zum zweiten Mal - nach Richard Wagners berühmtem Motto: "Schafft Neues!" - eine Uraufführung.

Der Auftrag ging an Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Zu einem Stück über Siegfried Wagner, der vor 150 Jahren geboren wurde. Was jetzt im ehemaligen Kino Reichshof in der Stadt in der Regie von Philipp Preuss seine Uraufführung erlebte, heißt denn auch "Siegfried. Ein Monolog" - ist aber auf zwei Schauspieler verteilt. Was natürlich die Selbstbefragung des Helden erleichtert und auch das enge und höchst widersprüchliche Verhältnis des homosexuellen Siegfried zu den beiden starken Frauen (Cosima und Winifred) in seinem Leben szenisch verdeutlicht.

Dabei arbeiten sich die Autoren nicht an der Biografie entlang, sondern beleuchten die Zerrissenheit des von den Anforderungen der Mitwelt geradezu erdrückten Thronerben. Einmal 1914 und dann 1930. Erst werden die Festspiele wegen Kriegsausbruch dichtgemacht, dann haut es Siegfried noch vor der Premiere seiner "Tannhäuser"-Inszenierung um. Endgültig. Zwischen diesen zeitlichen Polen entsteht im expressiven Spiel von Felix Axel Preißler (wie der Regisseur vom Schauspiel Leipzig) und Felix Römer (Schaubühne Berlin) eine Kunstfigur, in die alles Mögliche an innerer Zerrissenheit aus Siegfrieds Biografie einfließt.

Der übermächtige Schatten des Vaters Richard und die Ambitionen, selbst Opern zu komponieren. Die Nähe zur Naziideologie und Hitler und die Kritik am Judenhass. Die Neigung zu Männern und die vorherrschende Homophobie.

Der Regisseur lässt Winifred im Video als Gespenst durch Wahnfried geistern und zu Worte kommen. Die Frauen tauchen auf, wenn sich einer von beiden Kleid und Perücke überzieht. Eine Pausenbespielung für Festspielgäste ist das nicht - eher eine Herausforderung, sich mit einer vielschichtigen Persönlichkeit auseinanderzusetzen, die im Schatten der Vorgängerin und Nachfolgerin an der Festspielspitze verblasst, und deren eigene Opern nur etwas für enthusiastische Spezialisten geblieben sind.

Weitere Vorstellungen heute sowie am Mittwoch.