Die deutsche Nation, mutiert vom Volk der "Dichter und Denker" zu "Richtern und Henkern", musste besiegt werden, um von ihrem Wahn, von unserem kollektiven Wahn, frei zu kommen. Der konspirativ arbeitende Theologe Dietrich Bonhoeffer wurde vom Generalsekretär des Ökumenischen Rates Anfang der 40er Jahre gefragt, wofür er jetzt beten würde. E r antwortete so, dass anderen der Atem stockte: "Ich bete für die Niederlage meines Vaterlandes." Bonhoeffer hatte sich nicht nur dem Widerstand gegen Hitler angeschlossen, sondern beteiligte sich an Vorbereitungen für den Tyrannenmord. Er wurde noch am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg ermordet.

Der 8. Mai war ein bitterer Tag. Die Kapitulation konnte nur noch bedingungslos unterschrieben werden. Deutschland lag buchstäblich und übertragen in Trümmern. Die Führung der DDR mutete ihren Bürgern zu, den "Tag der Befreiung" als Feiertag zu begehen.

Aber war dieser denkwürdige Tag nicht auch ein Tag des Schmerzes, der Erschütterung, der Scham und der Demütigung - am bejammernswert trümmerreichen Ende jenes von Goebbels ausgerufenen totalen Krieges, eines gnadenlosen Raub- und Vernichtungskrieges mit rassistischer Ideologie.

Das Unrecht an 14 Millionen vertriebenen Deutschen kam im Osten nicht zur Sprache. Im Westen schien dieses Leid zunächst höher bewertet zu werden als Krieg und Auschwitz.

1965 - vor nun 50 Jahren, als die heftig umstrittene Ost-Denkschrift der EKD erschienen war - bemerkte Bischof Hanns Lilje: "Dem normalen deutschen Mann kann man drei Sachen nicht sagen: Man kann mit ihm nicht über die Juden reden. Man kann mit ihm nicht über den 20. Juli 1944 reden. Und man kann mit ihm nicht über die Kapitulation von 1945 reden."

Welch ein langer Weg der Auseinandersetzungen und der Selbsterkenntnis war bis 1985 noch zurückzulegen, bis im Westen vom "Tag der Befreiung" geredet werden konnte, richtungsweisend durch Richard von Weizsäcker.

Dazwischen liegt die mutige Entspannungspolitik von Brandt/Bahr/Scheel, die von vielen noch als Verzichtspolitik gebrandmarkt worden war. Ja, wir sind befreit worden und müssen nicht verschweigen, was auch Deutsche erlitten haben. Wir können rückblickend dankbar sein, dass wir wieder als eine geachtete Nation im Konzert demokratischer Staaten mitwirken können: Nie wieder soll von Deutschland Krieg ausgehen! Und täuschen wir uns nicht: Die Haut der Zivilisation ist dünn. Fremdenfeindliches und Wiederaufrüstung - mental und real, Ost-West-Dichotomie, aggressive Intoleranz und nationalistische Verirrungen sind nicht ein- für allemal ausgeschlossen. Nie wieder eine "Bewegung", doch immer wachsamer und mutiger Einsatz für die Geltung der universellen Menschenrechte - ganz nach Art. 1 Abs. 2 unseres Grundgesetzes. Sich bekennen.
Öffentlich.