Der Abend beginnt hoffnungsvoll: anekdotisch und dokumentarisch. Michael Knoche, Hausherr der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, erweckt die "Lukianischen Geister" im Tiefenmagazin seiner Büchersammlung. Wie sie plaudern, streiten, witzeln in den und zwischen den Regalen über Schriftsteller und Leser, wissenschaftliche und schöne Literatur. Das kann ja ein heiterer Donnerstagabend werden.

MDR-Kulturredakteur Torsten Unger, Moderator des Abends, spielt zwei Originaltöne aus dem Rundfunkarchiv ein: Martin Walser und Rainer Kirsch, vor 25 Jahren zwei Wortführer eines kontroversen deutsch-deutschen Schriftstellertreffens in Weimar. Der ein oder andere mag sich erinnern. Das ist der Anlass der Weimarer Debatte am 22. Oktober 2015, den Grund liefert die Frage: Gibt's da was zu feiern? Schreiben in Ost und West - 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung.

Volker Braun fehlt

Zwei Schriftsteller Ost, Wulf Kirsten und Ingo Schulze, treffen auf zwei Kollegen West, Thea Dorn und Michael Krüger. Leider fehlt, weil krank, der Widerspruchsgeist Volker Braun. Michael Krüger, einst Chef des Hanser-Verlages, differenziert nicht nach Ost und West, sondern nach guter und weniger guter Literatur. Er gab im Westen Bücher von Günter Kunert, Karl Mickel und Irmtraud Morgner heraus, "weil sie gute Schriftsteller waren" und nicht, weil sie in der DDR lebten. Thea Dorn stellt die steile These von der "westdeutschen Nationalliteratur" auf und ergänzt, das Erbe sei in der DDR "lebhafter bewahrt" worden.

Wulf Kirsten, im Aufbau-Verlag als Lektor u.a. für das Erbe zuständig, entgegnet prägnant: "Ich stehe fest auf dem Boden des 19. Jahrhunderts." Er nennt Klassik, Romantik, expressionistische Schriftsteller wie den frühen Stefan George. Sogenannte DDR-Literatur sei an den schwachen Leuten feststellbar, schiebt Kirsten nach. Er vermeidet das Wort Schriftsteller im Kontext DDR.

Streitbar: "Wenderoman"

Nun muss zwangsläufig das Wort vom "Wenderoman" fallen: "Der Turm", "Neue Leben", "Helden wie wir". Ingo Schulze gefallen die Begriffe überhaupt nicht: Wende, Wenderoman, Wiedervereinigung. "Richtig ist Beitritt." Im Osten veränderte sich alles, Punkt, sagt Schulze. Im Westen ging und geht das viel Schleichender. Damals, 1990, registriert Schulze aus der Rückschau "einen Bedeutungsverlust von Literatur in Ost und West". Er baut eine Brücke, um die Debatte über's Schreiben in die Gegenwart zu führen. Leider geht keiner der Schriftsteller darüber. Das hätte zweifelsohne spannend werden können, ein Streitgespräch über literarisches Schreiben in Zeiten der Digitalisierung, Globalisierung, Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft. Die Debatte verliert sich in der Rückschau und Nabelschau über deutsche Kultur- und Literaturgeschichte.

Die Gegenwart flackert doch noch kurz auf: Flüchtlinge, Nationalbewußtsein, Nationalstolz. Ingo Schulze ärgert sich über eine Fernsehmoderatorin, die Frau Merkel nicht nach den diversen Kriegen fragt, an denen Deutschland seit 1990 beteiligt war und ist.

Wulf Kirsten verteidigt die deutsche Sprache und fragt rhetorisch: "Bin ich ein Chauvinist?" Dann ist die Debatte schnell beendet. Die "Lukianischen Geister" können kommen und plaudern.