Es ist unter Literaturfreunden seit Langem hinlänglich bekannt, dass Theodor Fontane alles andere als ein großer Wanderer gewesen ist. Er war allenfalls ein Spaziergänger, noch besser aber wäre er als Tagesausflügler beschrieben, ein Begriff, der dem Wortschöpfer vielleicht sogar gefallen hätte.

"Die Wanderungen durch die Mark Brandenburg", das umfangreichste und erfolgreichste Werk des Autors, sind also gewissermaßen ein Etikettenschwindel: Denn für den gelernten Journalisten und späteren Romanautoren waren die Abstecher ins märkische Umland von Berlin keine genießerischen Erkundungen, sondern straff durchgetaktete Recherchereisen, deren Zweck vor allem die profitable Auswertung in Form von Artikeln für Zeitungen und Journale der Zeit war.

Die "Wanderungen" dienten Fontanes Broterwerb und weil sie so gut liefen, spann der Autor die Geschichten aus der Mark zwischen 1859 und 1889 immer und immer weiter.

Einen schönen Einblick in ihre Entstehung und in die Arbeitsweise Fontanes gewährt die Ausstellung "Bilder und Geschichten" im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam. Anlässlich des 200. Geburtstags des Schriftstellers veranschaulichen die Kuratoren, wie er bei der fortwährenden Sammlung von "Historischem, Landschaftlichem und kleinen Schnurren" vorgegangen ist.

Unzweifelhaft dabei ist, dass sich Fontane großzügig bei vorhandenen Quellen, älteren landeskundlichen Abhandlungen und den Berichten zahlreicher Informanten bediente, die er überall in der Mark besaß. Mit der Kennzeichnung seiner Quellen aber nahm es der reisende Berichterstatter nicht sonderlich genau: Hätte es schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts strenge Plagiatsjäger gegeben, sie wären hier ununterbrochen fündig geworden.

Zuallererst Schriftsteller

Wobei Fontane auch nie den Anspruch hatte, eigene Forschung zu betreiben oder bis ins Detail historische Wahrheiten zu verbreiten. Für ihn kam es bei seinen Reisefeuilletons darauf an, seine Leser erzählend mitzunehmen, sie zu interessieren und zu unterhalten. "Das Poetische wurde von ihm im Zweifelsfall über das historisch Korrekte gestellt", sagt Kuratorin Christiane Barz, die sich für die Ausstellung bis in die kleinsten Verästelungen der Wanderungen hineingearbeitet hat.

Denn in seinem Herzen war und blieb Fontane zuallererst Schriftsteller. Was er an Überlieferungen und Sagen, an Inschriften und Dokumenten, an visuellen und akustischen Eindrücken auf seinen Touren sammelte, brachte er am heimischen Schreibtisch in eine Form, die seine Leser unmittelbar ansprach und zu Reisegefährten machte. Darin lag und liegt bis heute wohl der Erfolg der Wanderungen begründet: Fontane schildert seine Erlebnisse in immer neuen literarischen Formen, mal als szenische Begegnungen, mal als lebendige Dialoge, dann wieder im Gewand einer historischen Detektivgeschichte.

Ein gutes Beispiel dafür ist seine Recherche am Schauplatz eines berühmten Dramas der preußischen Geschichte in der Festung Küstrin. Hans Hermann von Katte, Jugendfreund des Kronprinzen Friedrich (später: König Friedrich II.) und Mitwisser von dessen geplanter Flucht nach Frankreich, wurde hier nach persönlicher Intervention des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. hingerichtet - vor den Augen des Kronprinzen.

Fontane nimmt in seinen Schilderungen ganz die Perspektive des verurteilten Katte ein und untersucht wie bei einer polizeilichen Ermittlung die Augenzeugenberichte der Hinrichtung auf ihre Glaubwürdigkeit. So erzählt er eine eigentlich bekannte Episode aus einem neuen Blickwinkel und wie eine spannende Reportage, die den Leser entführt an den Ort des Geschehens.

Neben Küstrin greift die Ausstellung 16 weitere Orte der Wanderungen auf und illustriert anhand von Fontanes Notizen, von historischen Fundstücken oder von dokumentarischen Belegen die Arbeitsweise Fontanes und die künstlerischen Freiheiten, die er sich nahm.

Echtes Lebenswerk

Für Fontane waren die Wanderungen eine höchst ambivalente Angelegenheit: Einerseits konnte er sich mit ihnen als Schriftsteller und landesgeschichtlicher Erzähler profilieren und sie bescherten ihm über viele Jahre ein erträgliches Auskommen. Andererseits wuchsen ihm die immerwährenden Überarbeitungen, Korrekturen und Ergänzungen zeitweilig über den Kopf und hielten ihn von anderen Arbeiten ab. "Dreiviertel meiner ganzen literarischen Thätigkeit ist überhaupt corrigieren und feilen gewesen", notierte der Schriftsteller einmal und das gilt insbesondere wohl für die Wanderungen.

Von Auflage zu Auflage wuchs das Konglomerat an Aufzeichnungen, Berichten und Anekdoten aus den märkischen Landen, es wurde redigiert, es wurde gekürzt und wieder hinzugefügt, berichtigt und verbessert. So gerieten die "Bilder und Geschichten" zu einem echten Lebenswerk des Dichters, das nicht nur ihn selbst zum schriftstellerischen Botschafter seiner märkischen Heimat werden lassen sollte, sondern das bis heute entscheidend zur Identitätsbildung im Land Brandenburg beiträgt.

"fontane.200/Brandenburg - Bilder und Geschichten" bis zum 30. Dezember im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte Potsdam.