Eltern und Geschwister sind für die Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933-1973) das Zentrum ihres Lebens geblieben. Die Männer haben gewechselt, sagt die Lektorin Angela Drescher vom Berliner Aufbau-Verlag. Sie ist neben der ehemaligen Chefin des Literaturzentrums Neubrandenburg, Heide Hampel, Herausgeberin des Briefwechsels der Autorin mit ihren Geschwistern zwischen 1960 und 1972. Der Band "Post vom schwarzen Schaf" ist jetzt bei Aufbau erschienen.

Brigitte Reimann ist in ihrer letzten Wahlheimat Neubrandenburg noch einigen wenigen als schöne, eigenwillige Frau im Gedächtnis. Als Schriftstellerin hat sie im Osten und Westen einen Namen, vor allem durch den Roman "Franziska Linkerhand". Nach ihrem frühen Tod - sie wurde keine 40 Jahre alt - hielt zudem die Veröffentlichung ihrer zahlreichen Briefwechsel die Erinnerung an sie wach. Am 21. Juli wäre Brigitte Reimann 85 Jahre alt geworden. An diesem Tag hat in Neubrandenburg das Buch mit den Geschwisterbriefen Premiere.

"Brigitte Reimann wollte immer über ihre Geschwister schreiben", berichtet Hampel. Ihre Familie sei ein "Indianerstamm", zitiert Reimann 1965 ihren dritten Ehemann Jon und gibt ihm Recht. Die vier Geschwister, von denen sie die Älteste ist, und die Eltern in Burg bei Magdeburg pflegen einen engen Kontakt - hauptsächlich brieflich, denn Telefon hatten in den Sechzigerjahren in der DDR nur wenige. 426 Briefe, Postkarten und Telegramme liegen dem Band zugrunde. Zudem griffen die Herausgeberinnen auf die Familienrundschriebe des Vaters Willi Reimann und später der Mutter Elisabeth zurück, welche die Briefe der Kinder Brigitte, Ludwig (1934), Ulrich (1941) und Dorothea (1943) regelmäßig für alle zusammenfassten.

"Reimanns schriftstellerischem Werk, das durch ihren Tod so früh abgebrochen wurde, sind ihre Tagebücher und Briefe fast gleichzusetzen", schätzt Drescher ein. Für den heutigen Leser würden die Briefe einen Rückblick in die 1960er Jahre in beiden Deutschlands bieten. "Und vor allem zeigen sie, dass es möglich ist, dass eine Familie zusammenhält, auch über Kontroversen und politische Unterschiede hinweg."

Freche Briefe

Jedes der Reimann-Geschwister hat Heide Hampel zufolge Talente, doch Brigittes ist am ausgeprägtesten. Mit einigem Erfolg veröffentlicht sie ihre ersten Bücher und zieht nach Hoyerswerda im heutigen Sachsen, wo sie an der Basis, im Braunkohlekombinat "Schwarze Pumpe", Stoff für Erzählungen, Hörspiele und ihren Roman sucht. In den Briefen der Geschwister geht es, wie Hampel formuliert, um Ermutigungen, Beichten, "Weiberkram". Ihr inniges Verhältnis zu ihrer zehn Jahre jüngeren Schwester Dorli, die ihr als Teenager freche Briefe schreibt, und zu dem jüngsten Bruder werden deutlich. Besonders mit Ludwig (Lutz), der in den Westen geflohen war, streitet sie erbittert über Politik. Er lässt ihr auch Literatur aus dem Westen zukommen. "Brigitte Reimanns Musikwünsche sind nirgendwo so artikuliert wie im Briefwechsel mit dem Bruder", sagt Hampel. Auch werde aus den Briefen deutlich, welche Bücher sie las, während sie "Franziska Linkerhand" schrieb.

Wie in Reimanns Erzählung "Die Geschwister" zieht sich Hampel zufolge die deutsche Teilung durch das Buch. "Was ganz deutlich zutage tritt: Die Haltung zur Politik der DDR war sehr, sehr unterschiedlich", sagt sie. Der Vater äußert angesichts des "Hamburger" Sohnes wiederholt den Wunsch: "Wir lassen uns als Familie nicht auseinanderreißen."

Am Ende ihres Lebens bezeichnet sich Reimann ironisch als "schwarzes Schaf" der Familie: kinderlos, krebskrank, der Roman unvollendet. Nun waren es die Geschwister, die ihr Mut machten. Die Briefe der vier fügen sich den Herausgeberinnen zufolge zu einem deutsch-deutschen Familienroman. "Es ist ein grundehrliches Buch entstanden", meint Hampel. Reimann selbst blieb keine Zeit, über ihre Geschwister zu schreiben. "Vielleicht ist das hiermit passiert", sagt Heide Hampel.

Brigitte Reimann: "Post vom schwarzen Schaf". Aufbau Verlag Berlin 2018, 22 Euro,