Elternzeit? Das ist ein Stück über uns" schreibt Autor Tomo Mirko Pavlovic im Programmheft zur Uraufführung seines Schauspiels am Donnerstagabend in den Meininger Kammerspielen. Es sei "gallige Satire", "tiefernste Suada", "zynischer Kommentar" und "leiser Abgesang". Und zwar über Bildungsbürger, die Liebe, die sogenannte "neue Mitte" und die Familie.

Darüber kann man nach knapp zwei Stunden zugegebenermaßen amüsanten Spiel durchaus anderer Meinung sein. Nicht eine einzige Stelle gibt es in dem Stück, an der wir "uns" wiedererkennen. Müssen wir "uns" darüber wundern? Nein! Wir sind nämlich nicht "neue Mitte" - oder wer immer damit in den Augen des Autoren auch gemeint sein könnte. Folglich können wir auch mit deren angeblichen Lebensphilosophie, und um die geht es in "Elternzeit", nicht wirklich etwas anfangen. Wir haben auch ein Problem damit, aus der vor uns ausgebreiteten soziale Fiktion, in der permanent übertrieben wird, etwas anderes herauszulesen, als dass permanent übertrieben wird. Und wir finden, dass die vulgäre und unflätige Umgangssprache der Damen und Herren beim Publikum den gleichen Zweck erfüllt wie es die Zoten eines Dieter Bohlen im Fernsehen tun. Wenn also das Töchterchen die Frau Mama als "heruntergekommene und versoffene RAF-Sympathisantin" bezeichnet, und Frau Mama einen Besuch beim Töchterchen als Stippvisite bei der "Wohlstandsbrut", dann befriedigt das einzig und allein voyeuristische Triebe.

In den Loft gebeamt

"Elternzeit" soll ein Stück über Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sein. Über junge und vor allem erfolgreiche Leute, die Lebenspläne bis ins kleinste Detail schmieden, sich moderne Wohnungen einrichten, gutes Geld verdienen, die um sich herum ein funktionierendes System aufbauen, in dem sie dann selbst nur noch funktionieren müssen. Menschen, die scheinbar alles besitzen - nur keine menschlichen Regungen. Und das macht misstrauisch. Tomo Mirko Pavlovic zeichnet alle seine Figuren - die Putzfrau ausgenommen - als seelen- und somit gefühlslose Wesen. Als hätte sie jemand vom fernen Planeten Ork in eine moderne Loft-Wohnung gebeamt, haben sich Marie und Jo mit dem "Kind" (Marie: "Unser Ein und Alles, unser Prestigeprojekt") und dem Gehalt eines "Key-Account-Managers" auf der Erde eingerichtet.

Zwei Mittdreißiger auf der Erfolgsspur. Zwei, die es geschafft haben. Zwei, die ein Problem haben: Sie wollen weg an diesem Abend. Mit ihren Freunden Karla und Tim. "Die Schöne und das Biest" wird gegeben. Geplant ist, dabei zu sein. Nur das einst geplante Kind wird zum Störfall, als die für die Kinderbetreuung an diesem Abend eingeplanten Eltern von Jo nicht eintreffen, weil Jos Vater ganz ungeplant einen Schlaganfall erleidet. Es ist der Moment, indem Marie durchdreht. Gerade hat sie die Absage ihres Verlags für ihr geplantes Kinderbuch bekommen - ein Hausfrauen-Prestigeprojekt. Vorher besuchte sie noch ungeplant ihre Mutter. Jetzt der Schlaganfall. Sie nimmt Jo's elektrische Heckenschere und schreitet ins Kinderzimmer. . .

Eine soziale Fiktion? Werden wir alle mal so sein? Natürlich nicht! Wer sich ernsthaft von "Elternzeit" Antworten auf Zeitfragen erhofft hat, dem wird spätestens an dieser Stelle klar geworden sein, dass er es in diesem Stück nicht um Menschen geht, sondern mit kranke Wesen. Und das ist schade. Denn es gibt sie ja wirklich, die Mittelschicht, die Angst vor dem sozialen Abstieg in der Krise hat. Es gibt auch das Armutsrisiko Kind. "Elternzeit" jedoch verarbeitet lediglich bekannte Horrorvisionen: Wenn das so weiter geht, in unserer Gesellschaft, gibt es keine Liebe mehr, alle reden aneinander vorbei und die weiter oben behandeln die weiter unten wie den letzten Dreck.

Regisseurin Meike Niemeyer und die Schauspieler holen aus diesem Stoff mit einer bewundernswerten Kraftanstrengung heraus, was herauszuholen ist: Evelyn Fuchs spielt Marie, die treibende Kraft des Stücks. Benjamin Krüger ihren Ehemann Jo, Liljana Elges und Peer Roggendorf das befreundete Paar Karla und Tim, Marianne Thielmann Maries Mutter und Anita Twarowska die Putzfrau. Und alle bis auf die Putzfrau haben das gleiche Problem: Sie dürfen keine Gefühle zeigen. Dadurch können sie auch keine Figuren entwickeln, bleiben unverstanden, unnahbar, fremd. Sie spielen im Grunde genommen Figuren-Klischees. Präzise, amüsant, mit Verve, ja natürlich. Aber was sie tun, erscheint vollkommen irrational und nicht einmal als menschliche Tragödie, denn auch das wäre ja ein Gefühl.