Scherzer hat Kuchen mitgebracht. Und er ist - natürlich - pünktlich. Vor der Tür steht der weiße Lieferwagen, mit dem Evangelos Pantermanlis gerade von einer Tour zurückgekommen ist. Woche für Woche bringt er seine Becher mit Weißkäsesalat, Zaziki, Oliven oder Tamaras-Paste in die Supermärkte der Umgebung. Wer will, kann ihn sogar in der Kühltruhe anschauen. Denn der schnauzbärtige Mann lächelt seinen potenziellen Kunden von jedem Becher entgegen. Darauf ist er stolz. Schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass große Handelsketten kleine Produzenten im Sortiment haben. "Das hat unsere Qualität geschafft", sagt Evangelos Pantermanlis.

Auch er ist pünktlich. Überaus pünktlich sogar. Griechen kommen immer zu spät? Das muss eine Legende sein. Es ist nämlich gar nicht so leicht, ihn zu treffen. Wenn er nicht an Rührgerät oder Abfüllmaschine steht, liefert er aus. Nun aber schiebt er Bildschirm, Tastatur und Zettelstapel beiseite. Rückt die Kuchenstücke, die Landolf Scherzer noch einmal geviertelt hat, in die Mitte seines Schreibtisches. In einer Ecke seines Büros lässt er Kaffee durch eine Maschine laufen. Denn Evangelos Pantermanlis ist auch seine eigene Sekretärin. Seit einem Jahr hat er in einem alten Einkaufsmarkt in Suhl-Heinrichs seine kleine Firma. "Griechische Feinkost Metaxas" steht auf den Bechern und auf dem Lieferwagen. Und noch immer wirkt Evangelos Pantermanlis erstaunt darüber, dass er zu einem der "Helden" im neuen Buch von Landolf Scherzer geworden ist.

Zwei Reisen

Heute Abend wird es der Autor im Suhler Buchhaus vorstellen. Wie immer bei Scherzers Büchern gehört die erste Lesung seiner Heimatstadt. Übermorgen fährt er zur Buchmesse nach Leipzig. Auch dort wird er lesen, und er wird diskutieren. "Stürzt die Götter vom Olymp" hat Landolf Scherzer sein Buch genannt. Unter den großen Titel-Lettern steht klein geschrieben: "Das andere Griechenland". Denn darum geht es ihm. Er misstraut dem Griechenland, das sich scheinbar so leicht aus Zeitungsartikeln und Fernsehberichten schälen lässt. Scherzer will genauer hinsehen.

Unpolitisch waren seine Reportagen ja nie. Aber diesmal spürt der Autor ein besonderes Verlangen, die Menschen zu treffen, über die seit Ausbruch der Finanzkrise so oft und so oft abfällig geredet wird. Zweimal ist er nach Griechenland aufgebrochen. Einmal als Pauschaltourist "all inclusive" in das 5-Sterne-Hotel "Oceania Club" nach Nea Moudania im Nordosten Griechenlands. Einmal als Rucksack-Reisender in das Hotel "Europa" nach Thessaloniki. Hier kostet das Zimmer 30 Euro die Nacht - aber auch nur für Ausländer wie ihn. Sonst wäre es billiger. Frühstück gibt es in der Bäckerei um die Ecke - auf eigene Rechnung.

Zwei Welten ein und desselben Landes sind ihm so begegnet: Einmal lässt er sich von Griechen bedienen, einmal mischt er sich unter sie. Man muss Landolf Scherzer nicht sonderlich gut kennen, um zu wissen, wem bei diesem Blick auf die Welt sein Herz gehört: Denjenigen nämlich, die zu leiden haben unter den Folgen der Finanzkrise. Da ist Peruz Kasparian, die einen kleinen Kaffeeladen in Thessaloniki betreibt. Das ist die Putzfrau Christina, die einmal die Woche in einem Ärztezentrum sauber macht. Oder da sind Lisa und Nikos, die in einem Handwerker-Geschäft in der Altstadt Thessalonikis versuchen, ökologische Farben aus Deutschland zu verkaufen. Alle schlagen sich irgendwie durch.

"Ich habe etwas über die Mentalität der Menschen erfahren", sagt Landolf Scherzer auf die Frage, ob er nach seinen Reisen nach Griechenland nun klarer sieht. "Sie sind anders, aber sie sind genauso beschissen dran wie überall dort, wo die kleinen Leute an den Rand gedrängt werden." Wo sie schuften, und trotzdem kaum etwas verdienen. Arbeitslosigkeit, Armut - die soziale Probleme ähnelten sich, sagt Scherzer. Doch es gibt einen Unterschied: "Das Geld ist alle, die Leute haben nichts mehr", sagt Evangelos Pantermanlis. Der griechische Staat kann nicht für sie sorgen. Keine Sozialversicherung, kein Wohngeld, keine Arbeitslosenhilfe, die für die Unkosten des Lebens aufkommen würde. Für Strom oder Miete, für Medikamente, Arztbesuche, Operationen.

Etwas aufgebaut

Selbst schuld? So einfach ist es eben nicht. Denn die Griechen liegen ja nicht kollektiv auf der faulen Haut. Das beste Beispiel ist Evangelos Pantermanlis selbst: "Zielstrebig und fleißig hat er sich etwas aufgebaut", sagt Landolf Scherzer. Ihm hat sich der Grieche - der inzwischen perfekt Deutsch spricht und die Deutschen so gut kennt, dass er selbst mit dem Wort "Klimbim" etwas anfangen kann - geöffnet. Hat ihm die Erlebnisse seiner Kindheit erzählt, die oft von Traurigkeit überschattet war, weil er nicht bei den Eltern aufwachsen konnte. Hat ihm erzählt, wie er in den Achtzigerjahren nach Deutschland kam, wie er nach der Wende 18 Jahre lang ein griechisches Restaurant in Neuhaus am Rennweg führte, wie er die "Metaxa"-Soße erfand, und wie er nun, in Suhl, mit seiner kleinen Feinkostfabrik noch einmal neu anfing.

Nebenbei schmeißt er den Haushalt, sorgt als allein erziehender Vater für seine beiden Söhne, kocht, putzt und wäscht. Auf einmal versteht man, warum Evangelos Pantermanlis so stolz darauf ist, das seine Feinkost-Salate im Kühlregal stehen: Es ist seiner Hände Arbeit. In langen Gesprächen, von denen Landolf Scherzer nur einen kurzen Moment in sein Buch eingefügt hat, ist eine Freundschaft entstanden. "Er ist ein gerechter Mensch", sagt Pantermanlis über Scherzer. Und der gibt zu, dass er großen Respekt vor seinem griechischen Freund habe. Wenn man so will, haben die beiden gängige Vorurteile mit der ältesten Kulturtechnik der Menschheit aus der Welt geschafft: Miteinander reden, sich füreinander interessieren.

Evangelos Pantermanlis weiß, dass die Griechen ihre Gesellschaft neu sortieren müssen. Dass sie selbst Schuld tragen an ausgeuferter Staatsbürokratie. Dass sie zugelassen haben, wenn einige wenige reich wurden und viele arm blieben. Kritik sei berechtigt, natürlich. Aber er empfindet es als ungerecht, wenn nur mit den Fingern auf seine Landsleute gezeigt wird und Wahrheiten unter der Decke bleiben. "Ich finde schade, wenn nicht gesagt wird, dass die Kredite für Griechenland den Deutschen Gewinn bringen und keinen Verlust. Denn Griechenland muss Zinsen für sie zahlen."

Evangelos Pantermanlis spürt, wie unsicher die Deutschen sind, wenn sie über Griechenland reden. Er freut sich, wenn er Menschen trifft, denen leid tut, was mit den Griechen passiert. "Ich bin traurig, dass meine Heimat jetzt auf so brutale Weise verändert werden muss", sagt er. "Das muss doch sanfter passieren. Das muss doch so passieren, dass die Leute ihre Würde behalten." Die Würde behalten. Darauf ist auch Landolf Scherzer immer wieder gestoßen. Vielen Menschen, die im Buch zu Wort kommen, ist es peinlich, über Armut zu sprechen. Sie versuchen, sie zu verbergen, schämen sich für sie. Andererseits sind es gerade die Deutschen, die den Griechen per se weniger zutrauen als sich selbst. Scherzer spricht von einem deutschen "Leistungsnationalismus".

Das Lieblingsvolk

"Die Deutschen", sagt Evangelos Pantermanlis, "das ist doch das Lieblingsvolk der Griechen, das ist unsere Geliebte". Und nun ist es ein bisschen so, als seien die Griechen von ihrer Geliebten betrogen worden. Das ist natürlich das Schlimmste, was passieren kann. Hätten Türken oder Bulgaren gelästert - die Griechen hätten einfach gelacht. Aber gerade, weil es die Deutschen sind, gab es in Griechenland auch wütende Proteste. Evangelos Pantermanlis fand das nicht gut. Und Landolf Scherzer lacht. "Er nimmt uns Deutsche immer in Schutz", sagt er. Der Suhler Grieche hat eben auch sie lieben gelernt - seine zweite Heimat.

Landolf Scherzer: "Stürzt die Götter vom Olymp". Aufbau 2014 - 19,99 Euro. Buchlesung heute Abend, 19.30 Uhr, im Buchhaus Suhl. Die Sitzplätze sind ausverkauft - wer Glück hat, findet vielleicht noch ein Plätzchen auf der Treppe.