Wer sich mit Erwin Strittmatter anlässlich seines 100. Geburtstags am heutigen Dienstag beschäftigt, der kommt um Begriffe wie "zwiespältig" oder "umstritten" nicht herum. Recherchen der letzten Jahre haben ergeben, dass der erfolgreiche Autor seine Vergangenheit während des Nationalsozialismus Zeit seines Lebens beschönigt hat. Entgegen anders lautender Selbstauskünfte gehörte Strittmatter zwischen 1941 und 1944 nicht allein als Schreiber der Schutzpolizei an, sondern war als Mitglied der Ordnungspolizei, die im Kriegsverlauf der Waffen-SS unterstellt wurde, an Einsätzen gegen Partisanen in Slowenien und Griechenland beteiligt.

Diese Tatsachen werden in der gerade erschienen Biographie von Annette Leo (Aufbau Verlag) abermals bestätigt. Erstmals durfte die Autorin mit Einverständnis der Söhne Strittmatters Briefe aus den Jahren 1939 bis 1942 einsehen und zitieren, aus denen hervorgeht, dass der spätere Schriftsteller weitaus stärker in das Kriegsgeschehen einbezogen war, als er es je eingeräumt hat. Belegt wird auch, dass sich Strittmatter sowohl zur Wehrmacht und zur Schutzpolizei, wie auch zur Waffen-SS freiwillig gemeldet hat. Leo resümiert, "die Schichten von Schweigen und Ausflucht, Vereinfachung und Umdeutung" hätten sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer subjektiven Wahrheit verdichtet, an der Strittmatter bis zu seinem Tod nicht rührte.

Ohne dessen Versäumnisse relativieren zu wollen: Die nachträgliche Verharmlosung und Uminterpretation der eigenen Rolle in der Wehrmacht und im NS-Regime ist ein Phänomen, das hunderttausende Soldaten und Staatsdiener während des Zweiten Weltkriegs betrifft. Das private oder gar öffentliche Eingeständnis von persönlicher Schuld war in den 50er und 60er Jahren in Ost wie West eher selten. Kritische Selbstreflexion bleibt bis in die Gegenwart ein schwieriges Unterfangen, wie man mitunter auch an grotesken Selbsteinschätzungen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter feststellen kann.

Schatten der Biographie

Und damit zurück zu Strittmatter. Es fällt auch deshalb schwer, ihn als moralische Instanz zu akzeptieren, weil er zwischen 1958 und 1964 als geheimer Informant der Staatssicherheit tätig war. Auch darüber findet sich in seinen privaten Tagebuchaufzeichnungen kein Wort. Es kann und soll an dieser Stelle nicht der Stab über die politische Glaubwürdigkeit Strittmatters gebrochen werden. Doch es steht zweifelsfrei fest, dass er keineswegs hilfreiche Berichte über einige seiner Autoren-Kollegen verfasste wie er auch später in den 70er Jahren die Ausbürgerung prominenter Künstler befürwortete und sich zu keiner Zeit öffentlich gegen diese unselige Praxis des Mundtotmachens stellte.

Auf diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum sich Strittmatters Heimatstadt Spremberg seit einigen Jahren so schwer tut mit ihrem berühmtesten Sohn. Seit 1988 ist er Ehrenbürger der Stadt in der Niederlausitz, zum 100. Geburtstag aber wird es keine offizielle Ehrung geben. Zwischenzeitlich wurde gar im Stadtrat heftig darüber gestritten, ob die Strittmatter-Promenade wieder umbenannt werden soll. Vorerst wird nichts geändert, auch das örtliche Gymnasium trägt weiterhin den Namen des Autors. Hingegen beschloss die brandenburgische Landesregierung 2008, den Literaturpreis Umwelt nicht mehr nach Strittmatter zu benennen.

So ist es wohl die Tragik des Erwin Strittmatter, dass zu seinem 100. Geburtstag das literarische Werk in den Schatten der Biographie gerät. Mit seinen frühen und bekanntesten Werken wie "Ochsenkutscher", "Tinko" und "Ole Bienkopp" hat er die eigenwillig-liebenswerte Verschrobenheit der Menschen auf dem Land treffend beschrieben. Seine lakonische, kantig-schroffe Sprache hat die Literatur um einen schnörkellosen Zungenschlag bereichert. Und Strittmatter hat als einer der ersten die Widersprüche auf den Punkt gebracht, wenn gesunder Menschenverstand und starre Bürokratie aufeinander prallen. Wie wenige andere seiner Zeitgenossen beschreibt er die Hoffnungen und das Aufbruchsgefühl einer Generation, die schon bald an der Gängelung des Staatsapparates zu verzweifeln droht. Zudem fängt er intensiv Stimmungen und Verunsicherungen der Nachkriegsjahre ein, in denen die familiären Strukturen durch die gefallenen oder erst heimkehrenden Väter überaus fragil sind.

Im Westen des Landes blieb Strittmatter lange Zeit weitestgehend unbekannt. Erst durch die Trilogie "Der Laden" und insbesondere deren Verfilmung 1998 wurde Strittmatter auch außerhalb der ehemaligen DDR schlagartig populär. Seiner niederlausitzischen Heimat und der sorbischen Minderheit hat der Schriftsteller mit seinen autobiographisch gefärbten Romanen ein Denkmal gesetzt. Die Bücher schildern mit einer wunderbaren Mischung aus Wehmut und Eigensinn die Nöte und Freuden einer Familie, deren Leben sich um den dörflichen Laden dreht. Die Romane verbinden Zeitgeschichte der 20er bis 40er Jahre mit den Eigenheiten des dörflichen Kosmos - komisch und traurig zugleich.

Ländlicher Mikrokosmos

Die drei Teile des "Laden", 1983, 1987 und 1992 entstanden, führen Strittmatters schriftstellerische Gabe am eindrücklichsten vor Augen: Als sensibler Beobachter hat er den ländlichen Mikrokosmos mit all seinen Geheimnissen und Widersprüchen beschrieben. Seine große Kraft liegt im kindlichen Staunen, aber auch der forschen Direktheit seiner Figuren, die mit den Füßen fest auf dem Boden stehen. Strittmatter, der seit 1954 bis zu seinem Tod 1994 zurückgezogen in Schulzenhof im Ruppiner Land lebte, lässt wie nebenher seine Verbundenheit zur Natur einfließen, betörend und ehrfurchtsvoll.

In der Literatur- und überhaupt in der Kulturgeschichte gibt es viele Beispiele für Künstler, die in ihrem privaten oder öffentlichen Leben wenig glaubwürdig agiert haben. Und dennoch ein einzigartiges, unverwechselbares Werk hinterlassen haben. In diese Gruppe gehört gewiss auch Erwin Strittmatter.