Fünfzig Mal wurde an der Elbe ermittelt, fünfzig Mal wurden die Türen der schicken Villa aufgesperrt: "Der ZDF-Samstagskrimi "Von Fall zu Fall" wurde in zwei Jahrzehnten zum beliebten Familien-Dauerbrenner. Nicht nur der Polizeiarbeit wegen freilich. Sondern auch, weil die Zuschauer Familie Stubbe ins Wohnzimmer schauen durften: Tochter Chrissie wurde erwachsen und Vater Wilfried bekam graue Haare. Heute Abend ermittelt er um 20.15 Uhr in "Mordfall Maria" zum letzten Mal. Ein Gespräch zum Abschied mit Wolfgang Stumph.

Stubbe im Ruhestand? Das glauben wir nicht! Kommissare können doch nicht wirklich loslassen von ihrem Beruf. Wenn die Kamera nun nicht mehr dabei ist: Was macht Stubbe in Ihrer Fantasie?

Da müsste ich Gedanken erraten, die im Kopf der Zuschauer entstehen. In der letzten Folge wird Stubbe weder erschossen noch überfahren, sondern er kommt im Auto seines Schwiegersohns zu Besuch nach Dresden. Und damit ist am Ende alles offen und der Zuschauer kann sich nun überlegen: Wird er zur Frau ziehen? Bleibt er so stur mit seinem Hang zum Haus, zur Tochter und zur Enkelin, oder was wird? Und so spricht man dann über diesen letzten "Stubbe" - ähnlich wie bei meinem Film "Stilles Tal" über die Flut 2002. In dem wird - vielleicht erinnert sich der ein oder andere - die Hauptfigur von der Flut überrollt und stirbt. Viele haben damals gefragt: Muss das sein? "Happy End wird abgeblend'" - sind wir doch gewöhnt. Nee, eben nicht. Man muss auch anecken. Nur wer aneckt, bringt etwas in Bewegung.

Und am Samstag spricht vielleicht der ein oder andere über den letzten Stubbe! Aber mal ehrlich: Wäre Stumph wirklich Stubbe, würde es ihn nach Dresden ziehen, oder?

Ja, das ist richtig. Es ist ja nicht umsonst meine Heimatstadt, für die ich, wie ich meine, auch viel tue. Allein schon durch die Krimiserie oder auch durch den Film "Das blaue Wunder" mit Martina Gedeck. Der spielt nicht irgendwo am Rhein, sondern an der Elbe in Dresden - mit Absicht! Ich will die Mentalität der Sachsen und die Schönheit von Kultur und Landschaft anderen Menschen schmackhaft machen. Es war in meinen Filmen eigentlich immer ein Thema, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu befördern.

Stubbe geht in Ruhestand, was aber macht Stumph?

Stumph bleibt im Unruhestand. Ich habe jetzt 50 Krimis gedreht und ich mache Schluss, weil ich nicht will, dass nach 70 Folgen jemand sagt: Na so toll ist es auch nicht mehr. Ich möchte die Gunst der Zuschauer nutzen für Neugierde auf die nächsten Projekte. Und ich kann versprechen: Da kommen noch einige. Egoistisch gesagt, möchte ich auch ein bisschen mehr Lebensgenuss und Arbeitsgenuss entwickeln. Es war für mich harte Arbeit, drei bis vier "Stubbe"-Filme im Jahr zu drehen, dazu noch ein, zwei andere Filme und Kabarett zu spielen. Vor drei Jahren habe ich gesagt: Wir drehen sportlich bis zum fünfzigsten Fall und strengen uns an, dass wir erfolgreich bis dorthin kommen. Das scheint uns zu gelingen.

Der Erfolg Ihrer "St"-Figur Stubbe war vor 20 Jahren nicht absehbar. Was hat ihn so beliebt gemacht?

So, wie ein Leistungssportler mit dem Training beginnt um erfolgreich zu sein, tritt auch ein Künstler an, um sein Publikum zu gewinnen. Es war schon mein Ziel, gegen den Strom zu schwimmen und keine Krimis zu machen, wie man sie bereits kennt. Damals waren Derrick, Schimanski und "Der Alte" auf dem Bildschirm, die hatten alle keine Familie. Ich sagte mir: Das machst du ganz anders! Mit Familie, mit Berufsortwechsel - nicht ein Leihbeamter aus dem Westen in den Osten, sondern umgekehrt. Nicht als Wessi etwas im Osten erben, sondern als Ossi etwas erben und zurückholen im Westen. Die Sichtweise von Ost- und Westdeutschen miteinander zu verschmelzen war schon mein Ziel. Die Probleme, die wir wirklich haben - Arbeitslosigkeit, Mietwucher, Armut - sind doch gesamtdeutsche Probleme. Und so haben wir auch Rechtsradikalismus thematisiert, was aus meiner Sicht nicht nur ein ostdeutsches Problem ist. Die Filme tun eigentlich das, was ich wollte: Wir hören uns gegenseitig zu und versuchen, uns zu verstehen.

Sie haben mit dem ermittelnden Familienvater Stubbe einen neuen Typ Kommissar geschaffen. Welchen Vorteil hat es, wenn ein Krimi mehr erzählt als nur den Fall?

Man kann authentischere, dem Leben abgelauschte Situationen zeigen. Da hat jemand Beruf, Familie und auch Probleme: Er muss sich nämlich mit seiner Haltung in der Gesellschaft zurechtfinden.

Der Täter fällt bei Stubbe nur selten aus heiterem Himmel, sondern er hat oft auch seine eigene Geschichte. Warum?

Wenn man nicht nur die Wirkung zeigen will, sondern fragt, warum ein Mensch böse ist, muss man auch die Ursachen zeigen. Ich habe nie mit Autoren nach Themen gesucht: Russische Mafia, die Reichen und die Schönen, explodierende Autos oder wilde Schießereien. Ich habe in 50 Fällen nie einen Schuss von mir gegeben. Meine Waffe war das Argument. Ich habe einmal nach einer Waffe gegriffen, aber das war schon das Höchste der Gefühle. Schon bei der Mitarbeit an den Drehbüchern habe ich mich dagegen gewehrt und die Autoren haben es auch nie geschrieben. Sie wussten: Ich würde es wieder streichen.

Sie sagten es gerade: Wolfgang Stumph schrieb bei Wilfried Stubbe kräftig mit. Wie viel "Stumph-Sinn" ist denn in den Filmen?

Bei meinen Filmfiguren, die mit "St" anfangen - also Stankowski, Stankoweit, Strunz, Stille, Stubbe, usw. - soll mir und dem Publikum signalisiert werden: Ich habe die Verantwortung für die Moral dieses Filmes. Ich habe einen künstlerischen Anspruch und ich möchte, dass meine Haltung darin erkennbar ist. Egal ob gut, böse, schlecht, lustig, frecher Junge, sensibler Typ - wer diese Filme sieht, weiß ungefähr, wie ich auch im Leben bin. Aber ich bin nie nur so wie Stubbe oder Stankoweit.

Wie muss man sich das vorstellen? Sie lesen das Drehbuch und sagen dann: "Nu gloar" oder "Oh nee"?

Nee, ich lese das Exposé. Ich entwickle gemeinsam mit dem Autor den Plot und dann lese ich die erste, zweite, dritte Fassung, bin bei den Diskussionen dabei, ich schaue Muster an, ich bin beim Schnitt dabei, ich bin bei der Abnahme dabei! Alle Autoren und Regisseure haben sich daran gewöhnt, dass es bei mir eben so ist.

Als Kabarettist sind sie ein Mann der Pointe, in ihren Filmen glaubt man jemanden zu erkennen, der nach den Seelenleben seiner Figuren sucht. Es geht Ihnen oft um Gerechtigkeit, Moral, Anstand. Vielleicht sogar um eine ostdeutsche Perspektive - warum?

Ich blicke mit der Moral eines politisch denkenden Schauspielers auf die Gesellschaft - etwa in Filmen wie "Bankraub für Anfänger". Da geht es um einen Finanzberater. Er überfällt seine eigene Bank und gibt den Leuten, die er über den Tisch gezogen hat, heimlich ihr Geld zurück. Da geht es weniger um einen Ostdeutschen, die Figur ist zuzusagen gesamtdeutsch gestrickt. Die ostdeutsche Sicht, wie ich sie etwa bei "Salto Postale" gezeigt habe, spielt so vordergründig bei mir kaum eine Rolle. Und wenn, dann versuche ich sie wie bei "Das stille Tal" zu verzahnen. Ich zeige beide Sichtweisen, die von Ost und die von West. Beide müssen einander zuhören: Dass der eine dabei draufgeht, soll dem Film die nötige Kraft geben, darüber zu sprechen. Aber ich wehre mich ein bisschen dagegen, der Anwalt der Ostdeutschen zu sein. Wenn ich der Anwalt der Sachsen bin und der Anwalt der Menschen, die kaum eine Lobby haben, dies ja.

Trotzdem war Ihnen die ostdeutsche Seele immer sehr nah. In Stubbe erinnert sich der Kommissar stets liebevoll zurück - und sei es bei der Reparatur des alten Campingkochers aus DDR-Produktion.

Stubbe kann ja nicht verleugnen, dass er Sachse ist - das muss ja dramaturgische Folgen haben. Und er will auch die Moral der 40 Jahre, die er in diesem Land gelebt hat, nicht leugnen. Er will diese Erfahrung einbringen, etwa wenn er sagt: "Ja, aber bei uns ...". Solche kleinen Sticheleien sind in den Anfängen der Reihe. Der Stubbe bleibt schon jemand, der sagt: "Ich habe Schweißen gelernt!", und "Hummer essen ist nicht mein Größtes!". Sonst wäre er ja nicht authentisch in seinem Lebensweg.

Und Stumph nicht in dem seinen?

Bei Blick zurück, erinnert man sich ja nicht nur daran, wie beschissen es war in den fünfziger Jahren. Ich spüre ja auch die Zeit des Aufbruchs, die nach Perestroika kam. Ich spüre ja auch meine Aufgabe die ich als politisch satirischer Kabarettist in diesem Land versucht habe zu erfüllen. Ich habe versucht, klar zu kommen mit einem System und einer Hoffnung. Satire will immer die Utopie. Im "Stubbe" will ich biografisch stark bei mir bleiben. Ich will meine moralische Sicht, die mein Leben, meine Kultur und meine Erfahrung auch in den letzten 23 Jahren spiegelt, wiedergeben. Dazu suche ich Verbündete, nehme jeden Plot an, der das bedient oder mich künstlerisch herausfordert. Aber es muss immer einen bestimmten Wert für meine Arbeit und für mein Anliegen haben. Um nur aus dem Fernseher zu gucken und populär zu werden, könnte ich in viele Koch- oder Quizsendungen gehen. Das will ich nicht. Dann spiele ich lieber Kleinkunst.

Die Szenen, die im "Stubbe" so viel über Wolfgang Stumpf erzählen, sind diejenigen, die mit dem Sofa verbunden sind. Es war ihnen ziemlich wichtig, oder?

Mich ärgert, dass wir es nicht konsequent durchgezogen haben. Ich hab ja schon aufgepasst, dass ich immer Fahrrad fahren durfte. Ich musste durch das Fahrrad erkennbar sein. Das Denke-Sofa war mir eigentlich fast zu wenig. Jeder hat doch so ein Ritual, zu Erkenntnissen zu kommen oder etwas zu überwinden. Für Stubbe war es das Sofa. Ich bin in den letzten drei Filmen auch noch einmal aufs Sofa gekommen. Hätte ich den letzten "Stubbe" mit einem Happy End beendet, wäre ich nach Dresden umgezogen und hätte als erstes das Sofa ausgeladen. Das wäre mir aber zu einfach gewesen.

Bald werden die fünf DVD-Boxen mit den "Stubbe"-Fällen vollständig sein: 20 Jahre, 50 Folgen - wie sieht Wolfgang Stumph seinen Beitrag zur Fernsehkultur?

So, wie einer in seinen Garten reinguckt und stolz sagt: Das habe ich gepflanzt!, so kann ich sagen: Das bleibt, auch wenn ich nicht bleibe. Und wenn Stubbe die Menschen ein wenig zusammengebracht hat - Mensch Herz, was willst du mehr!

Mit Wolfgang Stumph sprach Peter Lauterbach