Mehr als zehn Jahre lang beschäftigt sich der Suhler Lothar Günther bereits mit dem Luftkrieg über Südthüringen und dem Einmarsch der amerikanischen Armee zwischen Rhön, Werratal und Thüringer Wald. Fünf Bücher über das Geschehen der letzten beiden Kriegsjahre sind in dieser Zeit entstanden. Das jüngste ist 430 Seiten stark und trägt einen Titel, der andeutet, dass sich der Autor nicht nur mit der Schilderung von Ereignissen begnügen möchte. "Missionen und Schicksale" hat Günther den Band genannt.

Wer blättert, merkt schnell: Was der Autor zusammengetragen hat, geht reicht weit über den Thüringer Kriegsschauplatz hinaus. So kenntnisreich wie noch nie beschreibt er das Geschehen: Angriffe, Überflüge, Abwehrkämpfe, Abstürze - kaum ein Fleck blieb auch in Südthüringen unberührt vom Luftkrieg, der lange vor dem Einmarsch der Amerikaner Anfang April 1945 begann. Aber all das hat Günther kenntnisreich in die militärische und politische "Großwetterlage", in Motive, Pläne, Handlungen sowohl der NS-Führung als auch der Alliierten, eingewoben. Das Buch beginnt im Grunde beim Versailler Vertrag - und endet mit einer sehr lesenswerten Nachbetrachtung, die in die Frage mündet, warum die Amerikaner im Frühjahr 1944 die Zerstörung der deutschen Rüstungsindustrie nicht vollendet und den Krieg damit nicht nur entscheidend verkürzt, sondern auch Millionen Menschenleben gerettet hätten. Die Antwort rekonstruiert der Autor aus prominenten Zeitzeugen-Zitaten.

Wer sich jahrzehntelang mit Krieg beschäftigt, wer Zahlen recherchiert, Ereignissen nachspürt, von bewegenden Schicksalen erfährt, den prägt natürlich die Arbeit an einem solchen Buch. "Unzählige Stunden", sagt Lothar Günther, habe er am Computer verbracht. Dabei ist er vielen Menschen nah gekommen: Jenen, die den Krieg überlebt haben und noch heute als Mitglieder amerikanischer Veteranenverbände mit ihm in freundschaftlichen Kontakt stehen. Und jenen, die er nur den Namen nach kennt, oder von denen es sogar ein Foto gibt. Manchmal reduziert sich ein Mensch nur auf ein Fragezeichen - etwa in der Liste der in Südthüringen abgestürzten Militärflugzeuge. Im Auf und Ab der Gefühle nicht Partei zu ergreifen, wertfrei zu recherchieren und zu schildern, dass hat Lothar Günther zum Arbeitsprinzip erklärt. Nicht vom "Bombenterror" zu sprechen, fällt ihm mitunter schwer. Aber er hat versucht, sich in die Lage der Soldaten hineinzuversetzen - bei Abfangjägern und Bombenbesatzungen, bei Deutschen wie Amerikanern oder Briten. Das Ziel seiner Bücher erschien ihm dabei immer klarer: "Ich will zeigen, wie schlimm Krieg ist und wie sinnlos das Leben von so vielen jungen Menschen geopfert wurde."

Keine Bomben auf Suhl

Der Impuls für seine historische Arbeit liegt weit zurück - in eben jenen Kriegstagen des Jahres 1945. Als Zehnjähriger hat Lothar Günther den amerikanischen Einmarsch in Schleusingen erlebt. So etwas, sagt er, vergisst man nicht. Einige der Soldaten von einst sind ihm 2005 und 2010 persönlich begegnet - als Veteranen, die noch einmal an die Kriegsschauplätze zurückkehrten. Lothar Günther hat ihre Erlebnisberichte gelesen, die Aufzeichnungen deutscher Offiziere und immer wieder auch Militärakten. So hat er zum Beispiel zweifelsfrei die Frage klären können, warum ausgerechnet die Waffenstadt Suhl bis auf die Bombardierung einer Siedlung am Fröhlichen Mann im März 1945 von den alliierten Bombern nicht angegriffen worden ist. Es sei eine Legende, die einstigen Simson-Eigner hätten dafür gesorgt, dass ihre Fabrik nicht zerstört wird, sagt Günther. Suhl galt vielmehr nicht die größte Aufmerksamkeit der amerikanischen Strategen. Und dann hat die Stadt einfach nur Glück gehabt.

Auch Lothar Günther hat sich seine Gedanken gemacht über die strategischen Entscheidungen dieses Krieges. Und hat erkannt, dass sich die Rolle Amerikas, der Luftkrieg und die Landung in der Normandie im Spiel mit den russischen Interessen heute durchaus unterschiedlich beurteilen lässt. Von dieser Spannbreite - den politischen Interessen, den Schicksalen Einzelner und den Thüringer Ereignissen erzählt das Buch.

Lothar Günther: Missionen und Schicksale. Wehry-Verlag Untermaßfeld - 2014