Man braucht die Gemeinsamkeiten nicht mühevoll konstruieren: Zwei aufstrebende junge Männer, mit Talent und Umtriebigkeit ihrer Kunst verschrieben. Beide ein wenig Dandy, ein wenig Flegel. Von der eigenen Berühmtheit noch überrascht, haftet ihnen schon das Etikett des Bürgerschrecks an. Dem einen, weil er seinem zweiten Roman ein unverholen antisemitisches Vorwort voranstellen lässt. Dem anderen, weil er manches Mal vorschnell redet, wenn eine Kamera auf ihn gerichtet ist. Sich etwa wie jüngst in einer harmlosen Fernseh-Plauderrunde polemische Ansichten zu brennenden Oberklasse-Wagen nicht verkneifen kann.

Vielleicht war es bei so vielen Gemeinsamkeiten sinnfällig, dass der eine irgendwann dem anderen seine Stimme leiht. Dass Robert Stadlober, der auf schwierige und sensible Charaktere abonnierte Schauspieler, irgendwann aus den Tagebüchern des rumänisch-jüdischen Schriftstellers Mihail Sebastian (1907-1945) liest. Entstanden war der bedrückende Abend vor vier Jahren im "politbüro", einer Hamburger Bühne, die jedes Jahr zum 8. Mai unter dem Motto "Bücherverbrennung - nie wieder!" einen im Dritten Reich verfolgten Autor vorstellt.

Damals fiel die Wahl auf Mihail Sebastian, dessen knapp 900 Seiten umfassendes Tagebuch von Thomas Ebermann und Berthold Brunner zu einer zweistündigen szenischen Lesung dramatisiert wurde. Brunner war es auch, der den heute 29-jährigen Stadlober als Protagonisten vorschlug. Hatte doch dieser sein literarisches Einfühlungsvermögen schon 2004 beim Einsprechen von Peter Weiss' Roman "Die Ästhetik des Widerstands" bewiesen.

Salon und Schreibtisch

Beides - das Hörspiel und die Lesung - gab es nun als Nachlese zum diesjährigen Provinzschrei im Congress Centrum Suhl zu erleben. Nachdem der Schauspieler, der unter anderem durch seine Filmrollen in "Der Sonnenallee", "Crazy", "Engel & Joe" und "Krabat" bekannt geworden war, seinem Publikum nachmittags Rede und Antwort zu seiner Person stand, tauchte er am Abend im Bankettsaal Kaluga tief in die Geschichte von Mihail Sebastian.

Ein karger Schreibtisch mit Leselampe, eine dekadente rote Chaiselongue und ein Stehtisch mit der obligatorischen Rotweinflasche markieren die drei Eckpunkte, zwischen denen sich in Bukarest das Leben des Autoren abspielt: Schreiben, amouröse Eskapaden und Salonleben. Ihre Bedeutung freilich verschiebt sich während der Tagebuchaufzeichnungen, die 1935 beginnen und 1944 mit der Besetzung der Stadt durch die Rote Armee endet.

"Ich bin eine Art Wrack, das von Zufällen bestimmt ist, von der Angst vor Einsamkeit, von Lebensmüdigkeit", notiert Mihail Sebastian Ende der 1930er Jahre, als die Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung Rumäniens auch sein eigenes Künstlerdasein zunehmend aus den Fugen reißen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der aufkeimende Antisemitismus längst in sein Privatleben gefressen. Manche junge Frau will nur noch heimlich das Bett mit dem begehrten Juden teilen, seine Freunde entgleisen selbst in seiner Gegenwart in rassistischen Anfällen.

Dazu kommt die Einschränkung seiner schriftstellerischen Arbeit, Engagements bleiben aus, Existenznot macht sich breit. - Es ist ein schwerer Abend, den Robert Stadlober und Thomas Ebermann ihrem Suhler Publikum zumuten. Doch die feine Selbstironie von Mihail Sebastian, seine kraftvolle und präzise Beobachtungsgabe, nicht zuletzt die Intensität, mit der Stadlober die Tagebucheinträge auf der Bühne durchleidet, versüßen die bitteren Schilderungen des ins Abseits Getriebenen.

Kann nur Jude sein

Dreht sich anfangs noch alles um die kapriziöse Leni, jenes "kleine, reizende Ungeheuer", erscheint Mihail Sebastian seine aufopfernde Verehrung für die Theaterschauspielerin im Laufe der gut zweistündigen Lesung zunehmend banal. So wie vieles unbedeutend wird, im Angesicht des Massenmords, nur nicht seine Religion. Auf einer kleinen Insel in der Südsee wäre sie ihm wohl egal gewesen, doch "hier und jetzt kann ich nichts anderes sein, will ich nichts anderes sein als ein Jude".

Mihail Sebastian überlebte den Holocaust, um - Ironie des Schicksals - am 29. Mai 1945 beim Überqueren einer Straße tödlich von einem Lastwagen erfasst zu werden. Sein tragisches Ende vor der Zeit hat dem Wunderkind der intellektuellen Bohème von Bukarest mit Sicherheit den literarischen Ruhm im Ausland gekostet. Ein Autoren-Schicksal, das Robert Stadlober zumindest in Suhl eindringlich korrigiert haben dürfte.