Feuilleton Legenden vom Leben hinter Gittern

Beate Baum
Die Kunst-Installation "Sich von Zeit zu Zeit vergessen" von Rodrigue Glombard ist Teil der Ausstellung im Hygiene-Museum. Foto: dpa

Eine neue Sonderausstellung im Dresdner Hygiene-Museum entführt die Besucher an einen für die allermeisten ungewohnten Ort - ins Gefängnis.

 
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Wenn Sie sich in letzter Zeit etwas eingesperrt gefühlt haben...". Verschmitzt beginnt Klaus Vogel, Direktor des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, seine Präsentation der neuen Sonderausstellung "Im Gefängnis - Vom Entzug der Freiheit", und verweist gleich auf einen ewigen Widerspruch: "Das Paradox des Gefängnisses ist ja,dass man glaubt,die Bösen bekehren zu können, indem wir sie zusammen einsperren."

Kann man das? Die Fragen "Warum strafen?" und "Anders strafen?" bilden die Klammer dieser Ausstellung, die sehr künstlerisch-sinnlich aufgebaut ist. Drei orangefarbene Käfige umschließen unter anderem Kunstwerke, die ehemalige Gefangene gefertigt haben, der Blick aus dem einen fällt zur einen Seite auf ein Paneel gigantischer Sanduhren, zur anderen auf Fotografien von Angehörigen, die über hohe Mauern und Zäune Botschaften senden wollen. Ihre ausdrucksstarken Gesichter bezeugen den Schmerz, den das Einsperren eines Familienmitglieds mit sich bringt.

Urteile der Richter

Als erstes sehen wir im Eingangsbereich einen Wegweiser, an dem eine Richterrobe hängt. Die Pfeile, sie zielen auf Delinquenten durch die Jahrhunderte und die über sie verhängten Strafen. So heißt es da: "Frau, 25 Jahre alt, 15. Jahrhundert, Hexerei, Scheiterhaufen" oder "Männer, 20 Jahre alt, 2011 England, Aufruf zum Notstand in den sozialen Netzwerken, 4 Jahre". In Irland wurde noch 2014 ein Mann wegen einer Abtreibung zu 14 Jahren Haft verurteilt. Eine Tafel erinnert jedoch auch daran, dass die "Geburt des Gefängnisses" nach der Französischen Revolution ein Fortschritt war, weil damit die bis dahin übliche körperliche Züchtigung abgeschafft wurde und man bereits damals damit den Gedanken der Resozialisierung verband.

Dann betreten die Besucher eine stilisierte Zelle, in der echte Gefängnisgeräusche abgespielt werden: Das Zufallen von Türen und das Abschließen, Scheppern von Metall, Schritte. Wer sich nun schon dadurch bedrängt fühlt, den erwartet am Ausgang mit Fotos von Zellen in den USA und Italien ein Realitätsschock: Die kleinen Räume sind mit drei, in Italien sogar fünf Männern belegt, bei der Abbildung aus den USA befindet sich die metallene Kloschüssel direkt neben dem Bett. Eine Vitrine zeigt etliche von den Häftlingen zu Waffen umfunktionierte Alltagsgegenstände - in der Mitte jedoch liegt der große Schlüsselbund des Schließers und zeigt an, wer die Macht hat in dieser Konstellation.

In einer zweiten Zelle kann der Besucher dann tatsächlich das Unbehagen des Eingesperrtseins erleben - wegen der Dunkelheit, und weil es keine offenen, sondern nur eine geschlossene Tür mit einem kleinen Fenster gibt. Und der darin gezeigten Collage wegen: In einem 20 Minuten langen Film sind mehr oder weniger berühmte Gefängnisszenen aus 27 Filmen zusammengeschnitten. Da ist Lars van Triers "Dancer in the Dark" ebenso dabei wie die "Blues Brothers" oder Jim Jarmusch‘ "Down by Law".

Schachspiel aus Seife

Schriftsteller sind übrigens immer mal wieder im Gefängnis gelandet, sei es wegen tatsächlicher Straftaten oder auch ihre politischen Überzeugung oder ihrer Sexualität wegen. Hinter Gittern finden sich denn auch in der Ausstellung die Werke des Marquis de Sade, von Dostojewski, Artur Koestler, Solschenizin und vielen anderen.

Zu den Kunstwerken, die auch "normale" Straftäter herstellten, gehören natürlich gemalte und gezeichnete Bilder, aber auch beispielsweise ein wunderschönes Schachspiel aus Seife oder ein detailreiches Puppenhaus aus Pappe.

Wie stets im Hygiene-Museum finden sich neben etlichen Medien-Stationen, an denen der Besucher die Häftlinge selbst hören und sehen kann, auch jede Menge Daten und Fakten. Spannend der Zahlenvergleich zwischen den Deutschland, Frankreich, Italien und den USA. Dass die USA fast in allen Bereichen am schlechtesten abschneidet - so stehen 661 Inhaftierten pro 100 000 Einwohnern in Deutschland lediglich 78 gegenüber - war zu erwarten. Dass die Situation jedoch in Frankreich, was etwa die Überbelegung der Gefängnisse betrifft, auch extrem ist, überrascht dann doch.

Und was ist das Ziel? Verbunden mit der Schlussfrage nach alternativen Methoden, um straffällig gewordene Menschen sinnvoll wieder in die Gesellschaft einzugliedern, ist die letzte Station der Ausstellung: Ein Käfig mit kunstvollen Holz-Labyrinthen, in denen Tafeln und Bildern vom ohnmächtigen Protest gegen Inhaftierungen berichten. Selbstverstümmelungen und Hungerstreiks tauchen da ebenso auf, wie das Anzünden der eigenen Zelle, um auf die schwer erträgliche Situation aufmerksam zu machen.

Im Gefängnis - Vom Entzug der Freiheit. Ausstellung im Deutsches Hygiene-Museum Dresden (Lingnerplatz 1) bis zum 31. Mai Di bis So 10 bis 18 Uhr. Eintritt nur mit Zeitfenster-Ticket. Zur Ausstellung gibt es einen Katalog

Bilder