Noch einmal sattelt mir den Hippogryfen, ihr Musen, zum Ritt ins alte romantische Land!" Auf geflügeltem Dichter-Ross, mit überlegen schelmischem Lächeln, schwingt er sich in die höchsten Sphären. Verse schmiedend und Sinnsprüche klopfend, hinein galoppierend in die Welt der Märchen und Feen, uneingeladen sich an Ritter Artus' und Kaiser Karls Tafel setzend, sich ungezwungen zuprostend mit Tasso und Ariost, mit Horaz und Lukian, frei heraus diskutierend mit Sokraten und der halben Antike. Doch eines ist er nicht: ein Originalgenie.

Wozu auch, hört man ihn fragen. Die Genieästhetik und der Originalitätsanspruch des 19. Jahrhunderts sind ihm fremd. Geht es doch um den Blick auf die Dinge, die sich ewig gleich bleiben, um das Erzählen selbst, um dichterische und kulturelle Traditionen. Die häufigen Anspielungen setzt er augenzwinkernd und immer so, dass der Leser sie verstehen muss. Wieland ist Aufklärer in mehrerlei Hinsicht - und legt in oft geschwätzigen Fußnoten Hintergründe offen.

Die französischen und englischen Feenmärchen und Ritterromane, die ganze italienische Renaissance samt Mittelalter, die antike Mythologie - sie alle stehen Spalier, wenn Wieland den Zauberstab seine Dichtkunst zückt, um ihnen neues Leben einzuhauchen. Auch die Alexandriner, Stanzen und anderen Versfüße ergeben sich willig seiner Feder. Und da, wo sie sich sperren, werden sie zum Mittel der verspielten Fabulierlaune und Freude Wielands an der ganzen Reimerei. Seine Verserzählungen sind einmalig in der Literaturgeschichte, sie gelten als der einzige ernstzunehmende deutschsprachige Beitrag zur europäischen Rokokodichtung. Sein "Oberon" bildet das erste große Werk der Weimarer Klassik.

Aber Wieland verkehrt nicht nur mit Göttern, Helden und - Goethe, er kokettiert auch mit seinem Leser. Das amüsiert, aber belehren tut es nie. Die Moral - ein viel zu weites Feld! - liegt in der heiter-ironischen Unentschiedenheit seines Erzählens. Da ist kein erhobener Zeigefinger. Der Leser scheint ganz unabhängig gegenüber der fabelhaften Erzählerei im doppelten Sinn. Wieland psychologisiert und verzeiht dabei beinah jede menschliche Schwäche - er straft allein mit Spott. Selbst ein Feengott ist eben auch nur ein Mensch! Das Komische ist vom Tragischen nicht fein geschieden, das Lächerliche und das Erhabene sind zwei Seiten einer Medaille. Bei den Zeitgenossen - darunter Lessing, Herder und Goethe - fand diese humoristische Klassik breiten Anklang, die Frühromantiker dagegen zollten ihm ihre aufrichtigste Verachtung.

Ideal und Wirklichkeit

Am 5. September 1733 als Sohn eines protestantischen Pfarrers in Oberholzheim in Schwaben geboren, erfuhr Wieland eine streng pietistische Erziehung, bevor er für acht Jahre in der Schweiz weilte und eine Zeit lang als Gast Johann Jacob Bodmers dessen Schüler und Jünger wurde. Dies schlug sich in seiner frühen christlich-empfindsamen, moralisierenden Dichtung nieder. Lessing traute dieser Sprache nicht und Friedrich Nicolai brachte es wohl auf den Punkt, wenn er Wielands Muse schon früh mit einer jungen Schönen verglich, die die Betschwester spielen will und sich ehestens in eine Kokotte verwandeln könne. Spätestens als Student in Erfurt und später in Tübingen kam Wieland in Kontakt mit aufklärerisch-philosophischem Denken, zu dessen klassischem Vertreter er sich mauserte, nahe Lessing und Rousseau. 1760 kam er als Senator und Kanzleivorsteher der Reichsstadt Biberach in die Heimat zurück. Er schreibt den ersten großen Roman, übersetzt Shakespeare. Hinter der hohlen Maske einer überirdischen Tugendschwärmerei entlarvt er indessen nur allzu oft die sinnliche Lüsternheit und den Sieg des Fleisches. Doch Wieland wäre nicht Wieland, ließe er es dabei bewenden. Er sucht nach der wahrhaft humanen Mitte zwischen Ideal und Wirklichkeit. Es drängt ihn, den Gegensatz zwischen körperlich-sinnlicher und geistig-seelischer Liebe zu überwinden, Verstand und Herz, Tugend und Genuss, Kultur und Natur, Ethik und Ästhetik zu versöhnen. Sein "Agathon" wird zum ersten modernen deutschen Entwicklungs- und Erziehungsroman. Die "Musarion", deren Anmut den jungen Goethe entzückte, verkündet das neue Ideal der Harmonie in einer Philosophie der Grazien voll heiterer Sinnlichkeit und Weltfreude, in der das Schöne und das Gute eins geworden sind.

Seit 1769 lehrte Wieland als erster "Professor der Weltweisheit" an der Universität Erfurt. Hier verfasste er den Staatsroman "Der goldene Spiegel", infolgedessen Herzogin Anna Amalia ihn 1772 - zur Erziehung ihrer Söhne - nach Weimar berief. Dort traf er auf Deutschlands große Geister: Musäus, Bertuch und von Knebel, dann Herder und Goethe. Als herzoglicher Hofrat hatte Wieland ein gesichertes Einkommen. Seine Singspiele "Alceste" und "Die Wahl des Herkules" bescherten ihm breite Anerkennung. Mit dem "Teutschen Merkur" konnte er die Idee einer eigenen literarischen Zeitschrift in die Tat umsetzen. Seit dem Regierungsantritt Carl Augusts 1775 widmete sich Wieland ausschließlich seiner schriftstellerischen Arbeit. 1797 bis 1803 lebte er mit seiner Familie auf Gut Oßmannstedt nahe Weimar, auf seiner "Insel des Friedens und des Glücks".

Moderner Prophet

Der späte Wieland sieht sich nicht als ein moderner Prophet, auch sein Christentum ist ein kritisch reflektiertes geworden. Er nutzt die Tradition als Stoff, der sich in seinen Händen formen lässt, - und entmythologisiert sie, doch ohne sie zu entwerten. Die lose Dichtermuse ist ihm dabei eine liebe Freundin, deren ätherischem, schwärmerischen Wesen er die alltägliche Prosa entgegensetzt, indem er sie - und mit ihr den Mythos selbst - auf ein gemütlich plüschiges Möbel herabzwingt: "Komm, lass dich nieder zu uns auf diesen Kanapee!" - Setzen wir uns doch auch einmal dazu und lauschen wir, was Wieland und die Muse wohl heute wieder zu beschwatzen haben!

Begraben wurde er nach eigenem Wunsch im Schlossgarten von Oßmannstedt neben seiner Frau Dorothea und Sophie Brentano, der Enkelin seiner früheren Verlobten Sophie La Roche.