Feuilleton Keine Küsse, keine Kämpfe

Antje Rößler
Ganz bleibt der Vorhang für das Musiktheater ab September hierzulande nicht zu. Große Oper aber rückt in weite Ferne. Foto: Szyza/dpa Quelle: Unbekannt

Das Theater steckt in der Corona-Krise, und das Musiktheater im besonderen. Oper, Operette, Musical: Alles schwierig wegen der Gefahren für Sänger und Musiker. Viele Opernhäuser starten mit Sonder-Spielplänen in die Saison. - auch in Thüringen.

 
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Verdi, Wagner oder Tschaikowski - sie alle komponierten große Opern, mit fast hundert Musikern im Graben und voluminösem Chor. Doch an solche Aufführungen ist derzeit nicht zu denken. Wann werden wir "Aida" oder die "Götterdämmerung" wieder wie so früher auf der Bühne erleben? In der anstehenden Spielzeit gibt es vermutlich keine "normalen" Aufführungen - eine Katastrophe für Deutschlands einmalige Theaterlandschaft. Wie sich die Sache entwickelt, hängt natürlich von Corona-Fallzahlen, Hygienekonzepten und Impfstoffen ab. Und auch davon, wie sich ein Experiment im Berliner Ensemble entwickelt: Hier testet man einen desinfizierenden Nebel, der die im Raum schwebenden Viren lahmlegt.

Spielzeit 2020/21

Die Thüringer Theater planen die Spielzeit wie folgt zu beginnen:

Meininger Theater

Spielzeiteröffnung am 11. September mit der Premiere der Komödie "Die Kassette"

Landestheater Eisenach

Spielzeiteröffnung am 13. September mit dem Kinderstück "Mäuseken Wackelohr"

Landestheater Coburg

Spielzeitbeginn am 6. September mit dem Konzert "Fly to the Moon"

Landestheater Rudolstadt

Spielzeitbeginn am 5. September mit einem Manfred-Krug-Liederabend "Du bist mir wie neu"

Nach dem Lockdown hatte zuerst die Dresdener Semperoper im Juni den Betrieb wieder aufgenommen. Hier kondensiert man große Opern zu einer konzertanten Arien-Auslese in 90 Minuten. Die Sänger, deren Kostüme im 60-Grad-Waschgang keimfrei bleiben, treten im Sicherheitsabstand von sechs Metern auf. Die Thüringer Theater dürfen ab 30. August wieder ihre Häuser öffnen. Doch bis auf Weiteres verbieten sich Küsse und Kämpfe zwischen den Darstellern ebenso wie eng-sitzende Musiker und Aerosol-spuckende Chöre.

Viele Häuser haben daher in der Sommerpause ihre Spielplan-Änderungen angekündigt. Gestrichen werden vor allem groß besetzte Aufführungen. Als Alternativen eignen sich barocke Lustspiele ebenso wie klassische und frühromantische Einakter oder aber modernes Musiktheater. Und dann stellt sich auch noch die Frage, ob sich große Oper vor kleinem Publikum künstlerisch wie finanziell für die einzelnen Häuser überhaupt lohnt - und ob das ganze denen, die in die Vorstellungen kommen, angesichts der Hygiene-Regeln auch noch Spaß macht.

Kreative Spielpläne

Die ganze Bandbreite kleinerer Besetzungen zeigt das Theater Erfurt , das vier neue Musiktheater-Produktionen plant, wobei das Orchester auf der Bühne sitzt. Das Spektrum reicht von der turbulenten Operncollage "Drunter und Drüber" bis zu Mozarts Mini-Oper "Der Schauspieldirektor".

Das Theater Altenburg-Gera schmeißt den regulären Spielplan bis Dezember um. Nur die Hälfte der vorgesehenen Produktionen sei auch unter Corona-Bedingungen umsetzbar, hat die Intendanz erklärt.

Am Meininger Theater gilt zunächst bis Ende Oktober ein Sonderspielplan. Am 25. September läuft die Premiere von Luke Bedfords Opernkrimi "Through His Teeth". Das Stück erfordert drei Sänger und acht Musiker; damit ist es infektionstechnisch eher unproblematisch.

Kleinbesetzungen gibt es auch am Theater Nordhausen , wo Tschaikowskis große romantische Oper "Eugen Onegin" ohne Orchester und Chor auskommen muss. Man behilft sich stattdessen mit zwei Pianisten auf der Bühne.

Das Coburger Landestheater versucht es mit einem Frank Sinatra-Song-Abend (auf der Bühne stehen ein Jazz-Trio und zwei Sänger) und der Mono-Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" als Solo-Stück mit einer Stunde Aufführungsdauer und ohne Pause.

Ratlosigkeit besteht überall, was den Chor angeht. Auch auf großen Bühnen lässt sich der geforderte Abstand zwischen den Sängern nicht einhalten. Deshalb hat die Berliner Staatsoper als erste Opernvorstellung nach der Sommerpause die chorlose "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss vorgesehen, deren Orchester so spärlich besetzt ist, dass man im Graben auf Lücke sitzen kann. Von den 1300 Plätzen will man rund 370 besetzen.

Ohnehin bereitet der Infektionsschutz für die Theatergänger vergleichsweise geringste Probleme: Bei kaum einer anderen Menschenmenge lässt sich so genau feststellen, wann wer kommt, wer wo sitzt. Und das Opernpublikum selbst ist wohl das artigste, das man sich denken kann.

Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, hält nichts von der Hängepartie eines Sonderspielplans. Er hat eine komplette erste Spielzeithälfte präsentiert, die den neuen Anforderungen Rechnung trägt. Dabei wird das Orchester in sämtlichen Vorstellungen auf 16 Musiker reduziert.

Obwohl das Haus in den letzten Monaten fast fünf Millionen Euro Verlust eingefahren und 90 Prozent der Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt hat, begreift Kosky die Einschränkungen vor allem als künstlerische Herausforderung.

Voluminöse Kleider

In seiner eigenen Neuinszenierung von Jacques Offenbachs Operette "Die Großherzogin von Gerolstein" löst er das Abstandsproblem, indem er besonders voluminöse Kostüme schneidern lässt, die Distanz erzwingen. Außerdem wird für die Premiere am 31. Oktober mit zwei getrennten Besetzungen geprobt: Falls die eine in Quarantäne muss, übernimmt die andere. Barrie Koskys Enthusiasmus lässt an jene alten Theater-Compagnien denken, die noch in jeder Lebenslage und unter übelsten Umständen eine tolle Show boten.

Experimentierfreudig geht man aber auch am Weimarer Nationaltheater vor. Hier wird unter dem Titel "In den Seilen (Vom Ende)" ab 11. September zu einem Theater-Rundgang eingeladen. Streicher der Staatskapelle und Jazzmusiker stromern dann auf den Spuren von Monteverdi durchs Haus.

Wirtschaftlich arbeiten können die Theater schwerlich, solange sie nur einen Bruchteil der Sitzkapazitäten verkaufen. Bislang wird aber nicht befürchtet, dass Staats- und Landestheater hierzulande in Schwierigkeiten kommen. Sie erhalten einen Sonderzuschuss aus der Thüringer Landeskasse. Für die zahlreichen privat geführten Häuser hat die Krise jedoch böse Folgen.

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