Da stehen sie, erstarrte Posen. Ganz in Weiß die Braut und spricht: "Mir wurde alles beige-brach . . ." Alles, was sie braucht für ihren Job als Frau. Und dass sie geliebt werden will, und dass sie eine Seele hat. Für sie wird's rote Rosen regnen, wenigstens jetzt, am Anfang der Geschichte.

Gustave Flaubert beginnt "Madame Bovary" mit der Beschreibung einer Mütze, die einen Menschen beschreibt. Tine Rahel Völcker beginnt ihre Stückfassung von "Madame Bovary" mit Madame Bovary und einem Statement, das die Absicht von Tine Rahel Völcker beschreibt. Dieser didaktisch-feministische Impuls ist dem Stück unausrottbar eingeschrieben, da kann sich ein Regisseur strecken wie er will, da kann ein Dramaturg, denn beide wissen das auch, streichen wie er will, es bleibt doch: ein soziologisches Skelett, dessen dramatischen Knochen abzunagen eine Zumutung für die Schauspieler ist, die da nur ehrenwert verhungern können. Es geschieht.

Frank Hänig, der Bühnenbildner, inszeniert am Landestheater Rudolstadt offenkundig im Bewusstsein des Problems. So nimmt er, in dieser Doppelfunktion, alles "Milieu", alles Kleinstädtische aus dem Abend. Aufziehbare Jalousien strukturieren den schnell verwandelbaren Raum, der nichts erzählt. Denn diese Geschichte aus der französischen Provinz, in der eine junge Frau scheitert an ihren Ansprüchen und den Möglichkeiten dazu in ihrer Zeit, Opfer und Schuldige zugleich, soll eine Jetztzeit-Geschichte sein. Nicht, dass es heute kein Selbstverwirklichungs-Problem für Frauen gäbe, keine Ungerechtigkeiten, aber sie machen sich an anderen Konstellationen fest. Also inszeniert Hänig gleichsam wie es geschrieben ist: abstrakt.

Nur Geschwätz

Emmas Geschichte aber, wie sie Flaubert zur Weltliteratur werden ließ, ist nicht abstrakt, sie lebt von den konkreten, wunderbar präzise beschriebenen Umständen. Von diesen kleinem Ort und seinen Menschen, von der großen Enge und den heimlichen Träumen. In der Optik, die Hänig schafft, in der Kühle, die er inszeniert, da könnte sich ebenso ein älteres Stück von Botho Strauß zutragen. Es ist aber nicht Botho Strauß, es ist Gustave Flaubert. Im Prinzip. Und im Detail ist es: Geschwätz. Es hat Konsequenz, dass diese Inszenierung zwar eine erkennbare Struktur besitzt, aber keine wirklichen Figuren, keine Menschen.

Und am ärmsten dran ist hier, wer die größte Rolle spielen muss. Diese Figur soll den Abend tragen, um sie geht es, für sie geschieht das alles: Und hat doch nichts, womit sie das erzählen kann, kein Material, keine Situationen, keine Konflikte. Nur Statements, nur Behauptungen. Carola Sigg wurde mit dieser Rolle bestraft. Die Schauspielerin hat schon manches gekonnt, eine gute Klytaimnestra zum Beispiel, aber hier wird sie von der Rolle verschlissen. Dass sie gut ist, zeigt sich darin, dass sie fast nie peinlich ist.

Die Schauspielerin hat wenige Momente, ihren Abschied etwa, im Übrigen muss sie ihre Figur von einer Behauptung zur nächsten treiben. Sie ist glücklich, zack! Sie ist unglücklich, zack! Sie ist geil, zack! Sie findet Männer doof, zack. Kein Anlauf, keine Chance, etwas zu erzählen, zu entwickeln.

Als sie mit Rodolphe schläft - Johannes Geißer tritt auf als arrogantes, Pardon: Arschloch -, als sie es also treiben, da zieht er das Hemd aus, die beiden verschwinden hinter der Couch und dann kommt die Explosion: auf der Leinwand, ein Feuerwerks-Video. Wir verstehen: So ist es für Emma. Weil sie es nicht zeigen können, nicht den Sex, aber die Leidenschaft, das Weggerissensein. Nicht, weil die Schauspielerin es nicht könnte: Weil sie kein Material dafür hat.

Später, beim nächsten Mann, da schreit sie "Einmal quer durch die Stadt gevögelt!" und Leon - Andreas Mittermeier hat für die Figur vornehmlich sein offenes Haar -, der Lover, also entgegnet Sekunden später: "Du bist so nüchtern." Das sind so Dialoge. Wenigstens erspart der Regisseur seiner Hauptdarstellerin und uns das von der Autorin gewünschte Messer, sie fährt sich mit der Hand über die Kehle statt mit dem Skalpell über die Brust.

Und so geht es durch die knapp zweieinhalb Stunden. Markus Seidensticker als Ehemann gibt, was soll er auch tun, routiniert den braven, tumben Tropf; am Ende, über der Leiche seiner Frau, hat er einen wirklichen Augenblick. Und trägt Anzug, denn dies - Achtung! - ist Gegenwart und wir sollen nur nicht denken, das ginge uns nichts mehr an.

Es hilft alles nichts

Was es auch tatsächlich nicht tut, nicht als Theater. Ausgenommen Anne Kies, die spielt den von der Autorin in eine Frau verwandelten Betrüger. Frauen, heißt das wohl, haben's nur besser, wenn sie noch böser sind als die Kerle. Kies spielt eine Art Mephistofine, sie hat es am besten, sie kann für ihre abgeschlossene Figur einen klaren Gestus entwickeln, weil sie nicht abhängig ist von der Geschichte.

Frank Hänig fährt manches auf, Leonhard Cohen singt "Hallelujah", Nina Hagen Rammstein, es hilft alles nichts. Am Ende stehen die selbstgefälligen Bürger mit einer letzten Bekundung ihrer arrogant-dummen Ignoranz im Gegenlicht vor Emma, soll wohl heißen, ihrem Opfer. Aber tatsächlich wurde das ganze Ensemble Opfer einer schlechten Entscheidung.

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