Ein goldfarbener Umschlag - man kann dies als Metapher in vielerlei Hinsicht sehen - fassen 180 Seiten ein. So stark ist das zwanzigste und letzte Meininger Spielplan-Buch von Ansgar Haag. Unter den Leuten ist es noch nicht, aber im Theater liegt es schon. Nur kann es niemand dort mitnehmen, denn das Theater ist für die Öffentlichkeit geschlossen. Per Post wird es nun verschickt. Und so dürfte erst nach und nach zum Nachlesen ankommen, was die Meininger in der nächsten Spielzeit vorhaben. Die übliche und eigentlich für diese Woche geplante öffentliche Spielplan-Präsentation wurde aus nahe liegenden Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben.

So steht die Umschlagfarbe für die Krönung der Haagschen Theaterkunst in Meiningen. Was der Intendant natürlich ganz uneitel abstreiten würde. Und sie steht für das Motto, das sich aus den Stücken erschließt, die auf die Bühne kommen sollen. Ein ganzes Land im Krisenmodus - das konnte Ansgar Haag bei der Programmplanung nicht voraussehen. Aber die großen Konflikte unserer Zeit, die sich im Kleinen auch in Meiningen zeigen, die fühlte er schon. Als "Kampf um die Demokratie" will er dieses letzte Programm beschreiben. Nicht nur wegen rechter Rheotrik, nicht nur wegen völkischer Flügel oder den Wahlergebnissen der AfD. Ansgar Haag sieht unbestreitbare gesellschaftliche Verwerfungen als Angriff auf die Demokratie. "Wir machen uns ernsthaft Sorgen um die Demokratie. Nicht irgendwer muss für sie kämpfen, sondern wir, das Volk, und damit auch wir, das Theater", sagt er.

Gegen den Kapitalismus

Deswegen steht "Maria Stuart" auf dem Spielplan. Deswegen will er noch einmal selbst Schiller auf die Bühne bringen. Menschenwürde und Gerechtigkeit - große Themen, sicher. Aber Schiller buchstabiert eben, wie eng Diktatur und Demokratie beieinander liegen. So lässt sich auch das 1800 in Weimar uraufgeführte Politdrama lesen. So wird es der Intendant auf die Bühne bringen. Und da ist noch etwas, das ihn umtreibt: Der moderne Kapitalismus. Als Angriff auf ihn und seine zerstörerische Kraft will Ansgar Haag Brechts "Dreigroschenoper" verstanden wissen. Schauspieldirektor Tobias Rott wird sie inszenieren. Um, wie Haag sagt, das beim Publikum beliebte Musical-Genre zu bedienen. Vielleicht auch, weil Meiningen ja einst Brecht-Bühne in der frühen DDR gewesen ist. Ganz bestimmt aber wegen der Botschaft des Stücks selbst - die wiederum die Metapher des goldenen Umschlags bedient.

Der Spielplan für die neue Spielzeit 2020/21 lässt diesen politischen Blick des Theaters auf die Gesellschaft explizit zu. "Darauf kommt es mir auch an", sagt Ansgar Haag. Wie kein anderes aus seiner Feder ist es Programm aus modernen Texten und Stücken - sowohl im Schauspiel, als auch im Musiktheater. Ob sich das auf der Bühne am Ende so zugespitzt erleben lässt, wird abzuwarten sein. Aber Ansgar Haag versucht, nachdem er das Meininger Theater viele Jahre lang vor allem mit den dort beliebten Klassikern bedient hat, nun doch eine deutliche Zuwendung zu anderen Werken. Das ist eine Gratwanderung, doch der Intendant nennt das treue Publikum und die jungen Leute in einem Satz. Das Interesse für jüngeres Publikum, zu dem, was Schulen machen, ist überfällig. Und vor allem für Meiningen eine schwierige Kür, das fernab eines großstädtischen Publikums, bei dem jedes Theaterstück sein Pläsierchen findet, eben immer möglichst mit vielen Stücken gefallen muss.

Und so steht da eben im Musiktheater Beethovens frühe "Fidelio"-Fassung "Leonore" (Regie wird Carl Philip von Maldeghem, der Intendant des Salzburger Landestheaters, führen) neben Jules Massenets musikalischem Drama "Werther" (Regie führt Opern-Direktorin Corinna Jarosch). So steht die Strauß‘ Operette "Eine Nacht in Venedig" neben der zeitgenössischen Oper "The Tempest" von Thomas Adés (Regie führt Ansgar Haag). Und so wird Richard Strauss’ komödienhafte "Arabella" die Spielzeit beschließen. Haag hat sich dazu noch einmal den seit seiner "Capriccio"-Inszenierung in Meinungen hoch geschätzten Regisseur Anthony Pilavachi eingeladen.

Zu "Dreigroschenoper" und "Maria Stuart" gesellt sich im Schauspiel Tilmann von Blombergs Revue "Heiße Zeiten" ins Große Haus. Dazu das Stück "Liliom" des ungarischen Schriftstellers Ferenc Molnár. Für die Kammerspiele hat Ansgar Haag ein sehr ambitioniertes und oft zeitgenössisches Schauspiel-Programm geplant: "Sklaven Leben" von Konstantin Küspert, "Wir sind noch einmal davongekommen" von Thornton Wilder - eigentlich ein Anti-Kriegs-Drama, das sich nun in Corona-Zeiten auch anders lesen lässt, die Komödie "Babysitterin" von Catherine Léger sowie Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter". "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" soll das nächste Weihnachtsmärchen sein, dazu gibt es drei Ballett-Premieren (zwei davon im großen Haus).

Einfach Abwarten

Ob das alles so kommen wird, hängt natürlich auch von der Dauer der Krise ab. Ansgar Haag ist zuversichtlich, dass sich der neue Spielplan so umsetzen lässt, sollte das Theater am 19. April wieder seinen Spiel- und Probebetrieb aufnehmen können. Andernfalls werde es eng. In der laufenden Spielzeit gestrichen sind bereits die Schultheatertage und "Der Camille-Claudel-Komplex" von Annett Kruschke. Die Bürgerbühnen-Premiere "Volkshaus Blues" ist verschoben. "Der fliegende Holländer" - Premiere sollte diesen Freitag sein - ist so gut wie fertig und wird so schnell wie möglich ins Programm genommen. Im Moment bleibt den Theaterleuten aber nur eins - abwarten: Am 16. April will die Landesregierung entscheiden, wie es auf den Bühnen des Freistaats weitergeht.