Früher war mehr Grandezza: Statt Volant-Kleid trägt Carmen Military-Look, statt Pumps Springerstiefel. Von Kitsch und Klischees befreit kommt die berühmte femme fatale auf die Coburger Bühne, die statt andalusischer Postkartenidylle das karge Leben der einfachen Leute zeigt: In einem schmucklosen Halbrund, das Stierkampfarena und Gefängnis, Fabrikhof und Schmugglercamp in sich vereint, entflammt der tragische Kampf auf Liebe und Tod, um Freiheit und Unterwerfung.

Es geht um Macht in dieser Geschlechter-Corrida, an deren Ende das Freiheitssymbol Carmen erlegt wird wie ein wilder Stier - vor aller Augen. Das macht Alexander Müller-Elmau in seiner ersten Inszenierung am Landestheater Coburg klar, die die realistische Volksoper von romantisierender Firnis befreit und mehr noch als Carmens Magie den Machismo in den Fokus rückt. Mit nüchternem Blick verortet der Regisseur und Bühnenbildner die Tragödie in einer von Armut und sozialer Kälte geprägten Gesellschaft und hinterfragt die Leidenschaft mit Todesfolge.

Die ganz großen Gefühle wogen derweil im Graben: Vom ersten Moment an ziehen Bizets Klänge das Publikum in Bann. GMD Roland Kluttig führt das exzellente Philharmonische Orchester mit Verve und Leidenschaft durch die äußerst bild- und farbenreiche Partitur, in der sich ein Hit an den anderen reiht, ohne in hispanisierende Folklore-Sentimentalitäten zu verfallen. So kann sich der mitreißende Charme dieser Musik voll entfalten. Zudem gelingt es Kluttig, Bühne und Orchester stets in perfekter Balance zu halten.

Kein leichtes Unterfangen in Anbetracht der Massen, die sich in und um Sevilla tummeln: Derbe Soltadeska, luftig gekleidete Fabrikarbeiterinnen, abgetauchte Schmuggler und aufgepushtes Stierkampfpublikum, von Julia Kaschlinski typgerecht eingekleidet und von Alexander Müller Elmau in prägnanten Tableaus arrangiert. Chor und Extrachor - bestens einstudiert von Mikko Sidoroff - gestalten die Volksszenen mit gewohnter Spielfreude und Präzision, verstärkt vom eifrig und aufmerksam agierenden Kinderchor und Mitgliedern der Statisterie.

Der "wilden Vogel" Carmen, die feurige "Zigeunerin", die virile Begierden und Ängste weckt, ist ein Produkt von Männerfantasien, vom Autor der Vorlage, Prosper Mérimée, über die Librettisten bis hin zum Komponisten Georges Bizet. Konsequent wählt der Regisseur darum eine männliche Erzählperspektive: Zum Tode verurteilt blickt der Brigadier Don José auf das alptraumhafte Geschehen zurück, das ihn zum Mörder werden ließ. Unter wechselnden Lichtstimmungen überblenden sich Kern- und Rahmenhandlung, Don Jose wird immer wieder vom Beobachter zum Akteur.

"Die Andalusierinnen machen mir Angst", bekennt der Soldat, dessen Hormonhaushalt vom Liebreiz der koketten Carmen komplett verwirrt wurde. Von Kränkung und Eifersucht zerfressen ist er fürwahr kein Held, eher eine traurig-tragische Figur, der immer wieder der gehörnte Stierschädel übergestülpt wird. Als Don Jose brilliert einmal mehr Milen Bozhkov: Die Herausforderung dieser äußerst anspruchsvollen Partie meistert er bravourös, alle Facetten seines perfekt geführten Tenors bringt er zum Leuchten.

Dass der brave Soldat Kopf und Herz verliert, ist angesichts der hinreißenden "Habanera" kein Wunder, nach der Carmen ihn aus eher praktischen Gründen mehr überwältigt denn verführt: Emily Lorini gibt die "Zigeunerin" als temperamentvoll-lasziven Männermagneten, als gesellschaftliche Außenseiterin, die ihr einziges Machtmittel offenherzig zu nutzen versteht. Mit ihrem angenehm timbrierten und äußerst geschmeidigen Mezzo beherrscht Lorini die hochdramatische Partie perfekt. Die provozierende, aggressive Sinnlichkeit ihrer Figur weiß sie ebenso zu transportieren wie den selbstmörderischen Freiheitswillen, der Carmen beherrscht.

Gefeierter Torero

Mühelos erobert sie auch den gefeierten Torero Escamillo, der sie in die Galerie seiner Trophäen einreiht. Als testosteronpraller Alpha-Held weiß Marvin Zobel zu überzeugen. Micaela, das schüchterne Mädchen vom Land, das José in treuer Liebe zugetan ist, gilt gemeinhin als Gegenentwurf zur Figur der Carmen. In der Coburger Produktion wird sie von Olga Shurshina gesungen, die diese Partie mit ihrem hochdramatischen, großen Sopran fernab von jeder süßen Lyrik gestaltet.

Frasquita und Mercédès sind mit Dimitra Kotidou und Anne Heßling gesanglich wie auch darstellerisch höchst adäquat besetzt. Dies gilt in gleichem Maß auch für die beiden Schmuggler Remendado und Dancairo (Peter Aisher und Christian Huber), für Zuniga (Bartosz Araszkiewicz) und Moralès (Michael Lion).

Nächste Vorstellungen: 13./16./28. Juni, im Juli und wieder ab Herbst