Sie hat das Buch "Masserberg" geschrieben, das die ARD vor Ort im Thüringer Wald verfilmt hat: Else Buschheuer. Wir haben uns bei der Filmpremiere mit der Schriftstellerin und TV-Moderatorin unterhalten.

Frau Buschheuer, die Verfilmung Ihres Romans "Masserberg" paart eine Stasi-Geschichte mit einer Syphilis-Erkrankung.

Ich möchte darauf hinweisen, dass der Roman nicht autobiografisch ist und der Film vieles rafft. Dadurch ist die Rolle der Stasi im Vergleich zum Buch größer geworden. An der Syphilis hat mich der Nelson-Test fasziniert, mit dem man sie diagnostiziert. Weil er so gut klang. Ein Augenleiden durch so eine Krankheit - das fand ich erstmal spannend. Und es ist ja doch auch ein bisschen meine eigene Geschichte, denn ich war 1985 selbst Patientin in Masserberg und habe Hunderte Spritzen gekriegt, zwei verschiedene Arten: in die Bindehaut und hinter den Augapfel.

Also doch ein autobiografisches Buch.

Teilweise. Die Liebesgeschichte ist fiktional. Trotzdem finde ich mich in der Hauptdarstellerin wieder. Dieses Schnodderige, Direkte, die Art wie sie liebt, da erkenne ich mich selbst, aber auch die junge Nina Hagen wieder. Das Andersseinwollen, das Auffallen und ständige Opponieren ist auch Teil meiner Ostbiografie.

Beliebt beim Staat waren Sie nicht.

Nö, aber auch keine Dissidentin. Eher eine provokante Träumerin. Ich hab nie Flugblätter verteilt, sondern optisch kenntlich gemacht, dass ich den Einheitsbrei nicht esse. Stattdessen habe ich Vopo-Mützen aufgesetzt und mir knallbunten Nagellack angerührt.

War die Klinik so trist wie im Film geschildert?

Ich habe den Ort gehasst, was aber an der Situation lag, festgehalten zu werden - in Masserberg so sehr wie im ganzen Land. Als ich die Klinik letztes Jahr bei den Dreharbeiten besucht hab, war es da pappen-duster, kein Licht, wie in weiten Teilen des Landes.

Machen sich Buch und Film übers Provinzielle lustig?

Nicht vordergründig. Aber durch den gehässigen Umgang mit dem Provinziellen machen sich beide über das Provinzielle der gesamten DDR lustig. Die ganze DDR war ja Provinz. Sogar in Ostberlin, auch wenn die Hauptstadt für uns alle das Größte war, das man erreichen konnte.

Was ist denn das, Provinz?

Provinz ist soziale Kontrolle, Provinz ist Mangel, Provinz ist Vorurteil, Provinz ist fest gefügter Ablauf, Provinz ist Disziplinierung von außen. Provinz ist, dass jeder jeden beobachtet.

Unterscheidet sich da Ost- von Westprovinz?

Letztlich wohl nicht. So gesehen ist der Film allgemein gültig. Abgesehen von der schrecklichen Tapete, die es seinerzeit mit etwas Vorlauf sicher auch im Westen gab, ist "Masserberg" also keine reine Ostzonengeschichte. Zwangsverhältnisse zwischen Arzt und Patienten, hierarchische Abhängigkeiten, ungleiche Liebesbeziehungen gab es hüben wie drüben. Dass die Ästhetik dabei so ungeheuer realsozialistisch wirkt, liegt auch an der Detailversessenheit der Requisiteure, die es ja auch in ganz normalen Wohnungen gibt.

Wenn man wie Sie aus der Provinz direkt für vier Jahre nach New York geht - wie fühlt sich Provinz aus dieser Perspektive an?

Am Anfang ist man froh, weg zu sein. Man träumt ja immer vom Nächstgrößeren und hat als Kleinstädterin wie ich noch das Maximum vor sich. Wenn man dann alle Zwischenschritte überspringt und in New York landet, stellt sich umso schneller Heimweh ein. Ich fand damals alles andere als Deutsche interessanter. Ich hatte das Deutsche satt. Nicht das Ostdeutsche: alles. Zunächst habe ich kein Deutsch gesprochen, Deutsche gemieden, konnte nicht mal Bratwurst essen. Mit der Zeit aber wird man selbst bei Schlagern weinerlich und sehnt sich nach jedem Zipfel Erinnerung, sogar an Dinge, die man gehasst hat. Ich bin ja regelrecht aus Heimweh zurückgegangen, wenngleich in die größere Provinz, nach Leipzig.

Geheilt von der Metropole?

Eher vom negativen Blick auf die eigene Herkunft. Man vermisst in der Ferne ja weniger den Ort als Teile der Biografie. In den USA habe ich lange Zeit einen großen Bogen um Ossis gemacht, um mich von früher abzugrenzen. Als ich aber mal einen traf, haben wir bald alte Kampflieder von Ernst Busch gesungen. Die Ablehnung der Vergangenheit hört irgendwann auf und man sucht selbst in dem, was man gehasst hat, Erinnerung.

Ist das Ostalgie?

Überhaupt nicht. Ich bin in Leipzig von Ostalgikern umgeben, erkenne aber bei genauem Hinsehen oft eher eine Sehnsucht nach Jugend als nach ihren Begleitumständen. Dieses "damals": Damals waren wir noch mit wenigem zufrieden, damals reichte uns, damals war Freundschaft noch, damals waren wir jung und verliebt - das ist doch eine normale Begleiterscheinung des Alterns überall.

Es dürstet sie nicht nach Spreewaldgurken?

Nein. Ich habe "Goodbye Lenin" gehasst, als ich den Film in einem New Yorker Kino sah. Mich hat es vor allem gestört, dass nun alle denken, so sind die Ossis. Spreewaldgurken schmecken überhaupt nicht und die alte Zeit holt man sich damit schon gar nicht zurück.

Wie dann?

Über Filme. "Solo Sunny", "Die Legende von Paul und Paula", da spielen sich Parallelfilme von damals im Kopf ab, aber das betreibe ich nicht gezielt. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Film wie "Masserberg" dazu dient, sich kurz zurückzufühlen. Die DDR war nicht nur altbacken, sondern auch schrill. Man musste nur etwas länger suchen.

Interview: Jan Freitag

Filmkritik
So ziemlich alles falsch gemacht

So war sie also – die DDR. Alles grau-beige, staubig, muffig, langweilig und selbst am Tage duster. Wenn Masserberg auch nur ein bisschen dem Staat drumherum glich, im Jahr 1984, dann gab es eigentlich nichts Lebenswertes im Osten. So erscheint es, wenn die ARD einen Film macht. „Masserberg“ von Martin Enlen verwandelt Else Buschheuers Roman in eine Art Dramanze, die so ziemlich alles falsch macht, was anspruchsvolle Unterhaltung ausmacht.

Es geht um die junge Melanie, die in der Augenklinik von Masserberg mit einem rätselhaften Sehleiden kämpft und dabei in eine Liebesgeschichte zwischen Ehebruch, Stasi und Systemkritik gerät. Alles gut gemeint, alles gut gespielt. Doch zu dick aufgetragen sind die Gefühle, zu holzschnittartig die Charaktere, zu überdreht die Konstellationen – da kann auch die schöne Umgebung nichts ausrichten.

Selbst die Autorin ratlos

Es gibt epische Sexszenen ohne jeden Halt im Plot; Denunzianten sind hässlich und Dissidenten hübsch; das einzige Kind mit Sprechrolle muss stottern und die Bürokratie zischen. Es wird jedes Gefühl überbetont, jede Regung überzeichnet und am Ende implodiert alles in einem Pathos, das selbst Autorin Buschheuer ratlos zurücklässt.

Dabei geben sich die Schauspieler alle Mühe, dem Inhalt Leben einzuhauchen. Allen voran Anna Fischer als quirlige, aufsässige, aber harmlose Hauptfigur. Pasquale Aleardi versucht einiges, den kubanischen Gastarzt Carlo Sanchez von allen Drehbuchklischees zu befreien. Maria Simon glänzt als seine betrogene Frau. Doch es hilft nichts: „Masserberg“ ist, wenn man so will, der verlorene Kampf zwischen Seriosität und Populismus im öffentlich-rechtlichen Programm. Dann lieber Buschheuer lesen. jfr