Es ist dieser eine Satz, der das Flair vergangener Zeiten in das Museum Schloss Elisabethenburg weht: "Das Leben ist eine Begleiterscheinung zum Kaffeehaus."

Der Duft frisch gemahlener Bohnen, das Rascheln von Zeitungsseiten und das Gemurmel der Literaten, das Kratzen ihrer Bleistifte auf Papier scheinen den Besucher zu umhüllen. Eine Atmosphäre, die so gar nicht zum wilden Anarchisten Erich Mühsam passen will, um den sich die neue Ausstellung in Meiningen dreht. Und doch stammt der zitierte Satz aus seinem Mund. Kaffeehaus-Romantik trifft auf politischen Querschläger. Gefühl auf kämpferische Härte.

Erich Mühsam hat diese zwei Pole in sich vereint. "Er war ein Enfant terrible", sagt Andreas Seifert, der die Ausstellung betreut. "Er wusste nicht wohin mit sich. Mit seinem Elternhaus hatte er sich verkracht und der Sprung in die Freiheit führte ihn in Künstlerkneipen."

Konflikt mit dem Vater

Das Leben von Mühsam beginnt im Jahr 1878 in Berlin. Schon früh schwelt der Konflikt mit seinem Vater Siegfried. Der will den Sohn in die für seine Familie logische bürgerliche Bahn lenken: Erich soll einmal die Apotheke des Vaters übernehmen und als Jude folglich eine jüdische Frau heiraten. Letzteres hält Siegfried sogar in seinem Testament fest - als Bedingung dafür, dass Erich sein Erbe bekommt. Beide Wünsche erfüllt der Sohn dem Vater nicht.

Im Gegenteil: Wie tief die Kluft zwischen den beiden ist, zeigt sich bereits zu Schulzeiten. Als sich Lehrer über das Benehmen des Gymnasiasten und seinen mangelnden Fleiß beklagen, antwortet der Vater: "An Strenge meinerseits soll es nicht fehlen." Und er schließt Erich künftig von Familienausflügen aus.

Entgegen seiner Überzeugung lernt der Junge später zuerst den Beruf des Apothekers, entscheidet sich aber 1901 dazu, als freier Schriftsteller sein Geld zu verdienen. Ein Jahr danach knüpft er erste Kontakte zu anarchistischen Gruppen. Wie haltlos er sich trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen fühlt, beschreibt Erich Mühsam in seinem Lyrikband "Die Wüste" von 1904.

"Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt", heißt es darin. Und: "Ich bin ein Träumer, den ein Lichtlein narrt; der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt."

Die diffuse Sehnsucht, der der junge Mann hinterherjagt und die sich nie zu erfüllen scheint, spiegelt sich in seinem Lebensstil wider: Ausschweifungen, ein freizügiges Liebesleben, ständige Geldsorgen und rauschende Künstlerfeste - all das hält der Literat ab 1910, nach seinem Umzug nach München, in Tagebüchern fest. Und immer unterschwellig in seinem Herzen: Die Auflehnung gegen seinen Vater, die er mit seinem verlotterten Erscheinungsbild auch äußerlich deutlich zu machen versucht.

Seine Wut und Verzweiflung hämmert Erich Mühsam in die Tasten seiner Schreibmaschine. Von 1911 an erscheint über drei Jahre seine "Zeitschrift für Menschlichkeit", wie sich der Untertitel nennt. Der eigentliche Titel: "Kain". Angelehnt an die Bibel, an den Brudermörder Kain als Symbol für die Rebellion des Menschen gegen Ungerechtigkeit und Herrschermacht. Mühsam kritisiert in seinen Texten scharf die imperialistische Politik und den Militarismus im Kaiserreich. Kirchliche Moral und bürgerliche Sittlichkeit sind für ihn nichts als Unterdrückungssysteme. Seine Kritik reicht noch weiter: Die deutsche Sozialdemokratie habe sich demnach vom revolutionären sozialistischen System verabschiedet. Zu Kompromissen zeigt er sich nicht bereit: "Die Utopie ist Vorbedingung jeder Entwicklung."

Mit Schlinge um den Hals

Tatsächlich setzen sich die Anarchisten im Jahr 1919 durch: Mühsam und sein Weggefährte Gustav Landauer proklamieren am 7. April die Münchner Räterepublik. Nur eine Woche später, am 13. April, wird Erich Mühsam nach einem Putsch der bürgerlichen Regierung verhaftet und landet im Gefängnis. Dort verschlechtert sich sein psychischer und körperlicher Gesundheitszustand derart, dass er später selbst der Überzeugung ist: Kein Jahr länger hätte er die Schikane mit Schreib- und Besuchsverbot oder Schlafentzug länger durchgehalten.

Nach seiner Freilassung 1924 erwartet Mühsam ein triumphaler Empfang von Anarchisten und Kommunisten. Für sie ist er inzwischen zum Helden ihrer Ideale geworden. Als er 1933 in Schutzhaft ins Konzentrationslager gesteckt wird, wenden sich sogar Mitglieder des britischen House of Commons direkt an Adolf Hitler und bitten um die Freilassung von Erich Mühsam. Doch es gibt keine Gnade für den unbequemen Aktivisten: Sich selbst erhängen soll er Juli 1934, so der Befehl der SS. Tatsächlich wird er mit einer Schlinge um den Hals auf der Toilette gefunden. Tot.

Was genau passiert ist, bleibt ungeklärt. Die Leiche hat laut Zeugen keine Anzeichen eines Erhängungstods aufgewiesen. Vermutlich haben ihm seine Mörder die Schlinge erst postum umgelegt.

Erich Mühsams Beisetzung verläuft unspektakulär. Nur eine kleine Trauergemeinde kommt zusammen, darunter keine prominenten Schriftsteller. Zu diesem Zeitpunkt ist der Literat wieder da, wo er mal begonnen hat: Ein unscheinbarer Künstler. Einst in Kaffeehäusern umgetrieben, um sich mit Stegreif-Dichtung finanziell über Wasser zu halten.

Die Ausstellung über Erich Mühsam ist auf Initiative des Wandervereins Bakuninhütte entstanden, erklärt Andreas Seifert. Der Verein setzt sich dafür ein, den geschichtsträchtigen Ort wieder öffentlich zugänglich zu machen: Ursprünglich ist die Hütte auf einer Selbstversorgungsfläche hungernder Arbeiter in den 1920er Jahren entstanden. Zu Zeiten des Nationalsozialismus diente sie der SS und der NS-Jugend, nach 1945 wurde sie dem SED-Kreisvorstand übertragen und vielfältig genutzt. Die Geschichte der Bakuninhütte bildet ebenfalls einen Teil der Ausstellung, genauso wie ein Überblick über weitere lebensreformatorische Bewegungen. Erich Mühsam selbst war mehrere Male in der Hütte bei den Meininger Syndikalisten zu Gast.

"Sich fügen heißt lügen! Mühsam in Meiningen und seine Anarchisten", Ausstellung der Erich-Mühsam-Gesellschaft Lübeck, des Wandervereins Bakuninhütte und der Meininger Museen, Schloss Elisabethenburg, 17. Mai bis 27. September, Eröffnung am Sonntag, 17. Mai, zum Internationalen Museumstag um 15 Uhr in der Schlosskirche. Museumsabend am Sonntag, 14. Juni, als Abschluss einer Fachtagung.